Rheinmetall und der Krieg in der Ukraine sind im öffentlichen Bewusstsein fast untrennbar miteinander verbunden. Die Rheinmetall Aktie profitiert maßgeblich von neuen Aufträgen, die von der Lieferung von Bausätzen bis zur Produktion hochmoderner Panzer reicht. Insbesondere der steigende Bedarf der NATO gibt dem Unternehmen einen präzedenzlosen Auftrieb. Denn ob Flugabwehr- oder Kampfpanzersystem — das Düsseldorfer Unternehmen produziert zuverlässig hochmoderne Rüstungsgüter, die eine zunehmende Nachfrage erfahren. Im Ukrainekrieg zeigt sich aber vor allem, dass es nicht an Qualität, sondern an Quantität fehlt. Während Russlands Truppen täglich bis zu 60.000 Artilleriegranaten verschießt, sind es bei den Ukrainern lediglich 6.000 bis 7.000. Um den Bedarf zu decken, bestellen die NATO-Mitglieder große Mengen an Munition bei den Marktführern für Artilleriemunition. Nach dem Spitzenreiter General Dynamics Corporation aus den USA ist die Rheinmetall AG der zweitgrößte Produzent für Artilleriemunition, wie aus einer Studie der Mordor Intelligence hervorgeht.
Fabrik in Ungarn
Um eine schnelle, zuverlässige und günstige Produktion zu gewährleisten, baut Rheinmetall eine große Munitionsfabrik in Várpalota am ungarischen Plattensee aus. Hier sollen Mittel- und Großkalibermunition gefertigt werden, ab 2026 auch für die Panzerhaubitze 2000. Im nahe der österreichischen Grenze gelegenen Zalagerszeg ging im Dezember zudem der erste ungarische Lynx Schützenpanzer vom Band. Das Rheinmetall KF41 System kann zur Flugabwehr und Truppenunterstützung genutzt werden. Laut Rheinmetall wird durch das hochmoderne Entwicklungs- und Fertigungszentrum in Westungarn das weltweite Rheinmetall-Produktionsnetzwerk maßgeblich gestärkt.
Da die US-Lieferungen nicht im versprochenen Tempo erfolgen und mit einer Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA die bisher großzügigen Hilfen für die Ukraine auf Eis gelegt werden könnten, wird die Nachfrage nach deutschen Rüstungsgütern innerhalb der EU mittelfristig stark steigen — was einen Bedeutungsgewinn für Rheinmetall und den Produktionsstandort Ungarn bedeuten dürfte. Doch warum soll ausgerechnet Ungarn zum Produktionsort westlicher Militärtechnik werden und somit maßgeblich zum weiteren Verlauf des Ukrainekonflikts beitragen?
Seit 2010 herrscht eine politische Eiszeit zwischen Budapest und Brüssel, welche nun dramatische Ausmaße annimmt. Die Financial Times berichteten jüngst über einen Plan der EU, Ungarns Wirtschaft zu sabotieren, sollte Budapest weiterhin Hilfen für die Ukraine blockieren. Ungarn gilt neben der Slowakei unter Fico als einer der russlandfreundlichsten Staaten des Wirtschaftsbündnisses. Auch die USA schalten sich ein. So wurde ein bilaterales Steuerabkommen zwischen Washington und Budapest kürzlich wegen mehrerer Bedenken aufgekündigt. Diese Bedenken legen nahe, dass Ungarn scheinbar ein westlicher Partner ist, parallel aber prorussische Politik betreibe. So konstatierte der US-amerikanische
Bottschafter David Pressman, Ungarn lebe in einer Fantasiewelt, in der es von hungarophoben Nachbarn umzingelt sei und von Westeuropa ausgebeutet werde. Infolgedessen würden russische Banken und Propagandakanäle in Ungarn hofiert und weiterhin Energie aus Moskau bezogen werden.
Die Errichtung von Rüstungswerken für Rheinmetall erscheint daher etwas irreführend, denn anstatt Waffen in die Ukraine zu liefern, werden diese in Ungarn produziert und dann, vermutlich über Käufer wie Deutschland, an die Front geliefert. Doch diese Hybris folgt einer Logik, die in Ungarn mittlerweile Konjunktur hat. So lockt das mitteleuropäische Land mit seinen günstigen Standort- und Personalkosten Unternehmen aus aller Welt an. Der chinesische Batteriebauer CATL siedelte sich in der Puszta an und trägt nun dazu bei, dass Ungarn zweitgrößter Produzent elektrischer Batterien weltweit werden könnte.
So fabriziert das Land westliche Rüstungstechnik von Rheinmetall, klassische Verbrennermotoren für Audi und VW, Batterien für Elektroautos von BYD und mehr. Zudem zieht es Investitionen von China an und engagiert sich als eines von wenigen Ländern der EU in der Initiative „Neue Seidenstraße“, baut grüne Energien nach Vorgabe der EU aus und setzt gleichzeitig auf russischen Atomstrom. Das Ziel scheint zu sein, möglichst viel Kapital aus dem Ausland abzuschöpfen und sich nicht von einem Partner abhängig zu machen, seien es Brüssel, Washington, Moskau oder Peking.
Bleibt Ungarn auf der Seite des Westens?
Judit Varga, die ehemalige Justizministerin Ungarns, betonte bei einem Besuch in Düsseldorf, dass Europas Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit eine Priorität in Ungarn darstellen und sie sich im Rahmen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft 2024 für eine dynamische Zusammenarbeit einsetzen werde. Schon jetzt sei die Verbindung einhellig positiv, was sich etwa an den hohen Investitionen des Landes NRW von rund sechs Milliarden Euro in Ungarn und dem positiven Echo deutscher Unternehmer zeige. Denn in Ungarn investieren und ein Unternehmen aufzubauen, ist insbesondere für den deutschen Mittelstand lohnenswert. Günstige Energiepreise, niedrige Steuern, geringe Personalkosten und eine starke Infrastruktur und Bildung machen das Land zunehmend attraktiv, wie das Beispiel Rheinmetalls zeigt. Die durchweg schwierigen Konflikte Budapests mit Brüssel und Berlin sollten daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Ungarn ein günstiges Investitionsklima herrscht.
Orbáns widersprüchlich erscheinenden Schachzüge mögen von einer tiefen Verstrickung mit Moskau und Peking zeugen, doch spricht derzeit nichts dafür, dass diese Verbindungen auch Unternehmensinvestitionen wie die Rheinmetalls gefährden würden. So dürfte die Produktion von gepanzerten Fahrzeugen und Munition in Ungarn maßgeblich zur Rüstungsindustrie Europas und zum Kriegsverlauf in der Ukraine beitragen, auch wenn Budapest seine Nähe zu Moskau nicht aufgeben wird.