Das Phänomen in Berlin-Mitte erinnert schon fast ein wenig an Manhattan. Doch während in New York die Straßen voll gelber Taxis sind, sind sie in der deutschen Hauptstadt überwiegend an Schriftzügen wie Bolt, Uber oder Freenow zu erkennen. Die klassischen Taxi-Fahrer können kaum mehr mit dem Angebot konkurrieren. In anderen großen deutschen Städten ist das Problem vergleichbar präsent.
Die Fahrt vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor zum Beispiel kostet gerade mal so viel wie ein Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe. Nicht im beigefarbenen Taxi - allerdings wenn man über eine App einen Bolt-Fahrer oder einen Uber-Wagen ruft. Viele Passagiere dürften sich bereits im Stillen gewundert haben, wie sich das eigentlich rechnen kann. Womöglich liegt es daran, dass viele Fahrer in der Hauptstadt ohne amtliche Konzession unterwegs sind.
Den Fahrer darauf frank und frei angesprochen, erhält der neugierige Fahrgast zumeist nur ein Achselzuckeln. Er sei nur als Fahrer eines Subunternehmens unterwegs, zu den Zahlen könne er rein gar nichts sagen. Ob ein Fahrzeug überhaupt für die Personen-Beförderung zugelassen ist, weiß er natürlich unter diesen Umständen auch nicht. Aber selbst die verantwortlichen Behörden in Berlin sind sich da nicht sicher, scheinen komplett den Überblick verloren zu haben.
Recherche: Mindestens jeder fünfte Wagen fährt ohne Konzession
Das legt eine breitangelegte Recherche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Berlin nahe. Eine Erhebung des RBB hat ergeben, dass „mindestens jedes fünfte solcher Autos keine Genehmigung (besitzt), bei rund 4.500 gültigen Fahrzeug-Konzessionen in Berlin (Stand: Januar 2024)".
Was das bedeutet ist klar: Wer Touren über die gängigen Plattformen bestellt, könnte Gefahr laufen, in ein illegales Fahrzeug einzusteigen. Unversichert unter Umständen, alles auf volles Risiko. Per App werden nämlich offenbar häufig Fahrten mit sogenannten Mietwagenfirmen vermittelt, denen die Autos gehören. Freilich dreht es sich nicht um die klassischen Anbieter wie Sixt, Hertz oder Alamo, sondern im wahrsten Sinne des Wortes oft um ominöse Hinterhof-Klitschen ohne richtiges Büro - sondern bestenfalls mit einem Klingelknopf an einem Neuköllner Altbau, drei Stiegen hoch im Seitenflügel.
Nicht selten gibt es überhaupt keine Firma hinter dem Beförderungsgeschäft - und ergo auch keine Steuernummer. Manche Firmen sind im Handelsregister längst gelöscht worden, bieten trotzdem weiter ihre Dienste über die Plattformen an. Bei Besuchen an den angeblichen Firmensitzen ist meist niemand anzutreffen. Anfragen bleiben unbeantwortet. Eine regelrechte Schattenwirtschaft.
Die Passagiere wollen es vermutlich gleichfalls gar nicht so genau wissen. Hauptsache schnell unterwegs und zügig am Ziel - zu unschlagbar günstigen Preisen. Da lohnt es sich nicht einmal, einen Roller freizuschalten oder ein Pedelec. Im regulären Taxi bekommt man wenigstens noch eine Quittung ausgehändigt, bei Uber & Co. geht einfach nur die Tür auf, der Passagier steigt ein und befindet sich in einem mitunter rechtsfreien Raum.
Die große Überraschung ist, dass sich die zuständige Behörde des Problems durchaus bewusst ist. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) bestätigt die Ergebnisse der Untersuchung und spricht unverhohlen von „organisierter Kriminalität", die sich da in den vergangenen Jahren zusehends breit gemacht habe - zum Nachteil der regulären Taxi-Unternehmen am Markt, die das Nachsehen haben und an der illegalen Konkurrenz verzweifeln. Um wie viele Wagen es sich genau dreht, weiß das Labo nicht. Der verkehrspolitische Sprecher der Berliner SPD-Fraktion, Tino Schopf, geht von „mindestens 2.000 Fahrzeugen" aus, die ohne amtliche Genehmigung unterwegs sind.
Verbraucherzentrale warnt vor fehlendem Versicherungsschutz
Und es kommt noch schlimmer: Selbst Alexander Mönch, Präsident der Plattform Freenow in Deutschland und Österreich, hält die Schätzungen aus Berlin für nicht abwegig: „Ich kann selbst nicht ausschließen", so Mönch, „dass illegale Fahrzeuge über unsere Plattform vermittelt werden."
Die Fahrt mit Mietwagen ohne Konzession bedeutet ein erhebliches Risiko für die Fahrgäste, warnt die Verbraucherzentrale. Passagiere können nicht erkennen, ob der Fahrer die Tauglichkeitsprüfung der Industrie- und Handelskammer absolviert hat. Vor allem bleibt unklar, ob das Fahrzeug überhaupt versichert sei. Für die gewerbliche Fahrgast-Beförderung ist auch eine entsprechende Versicherung erforderlich. Für die Insassen kann dies bei einem Unfall ganz dramatische Folgen mit sich bringen.
Ob ein Wagen zugelassen ist, erkennen Fahrgäste bestenfalls daran, dass ein blauer Sticker mit einer vierstelligen Nummer am Heck des Fahrzeugs aufgeklebt ist – die Konzessionsnummer. Der zuständige Referatsleiter im Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Günter Schwarz, räumt ein, dass sich diese natürlich leicht fälschen ließen. Die Zahl der Mietwagen, die von Uber, Bolt und Freenow Fahraufträge vermittelt bekommen, habe sich in den vergangenen gut zehn Jahren verdreifacht. Illegale Anbieter zu entlarven und herauszufiltern, sei schwierig. Der Datenabgleich zwischen den Mobilitäts-Apps und der Aufsichtsbehörde fehlt - die Behörde fungiert bestenfalls als Registratur, aber nicht als Aufsicht. Datenschutz-Bedenken und eine fehlende Handhabe durch eine klare Gesetzeslage werden als Exkulpation vorgeschoben. Das ganze Verfahren ist eine Blackbox, die alteingesessenen Taxifahrer dürften nur noch staunen, was auf Deutschlands Straßen inzwischen alles möglich ist.
Vielleicht aber kommt jetzt Bewegung in die Sache. Marktführer Uber weicht unangenehmen Nachfragen zwar schon seit Jahren aus, wenn es sich vermeiden lässt. Doch Bolt und Freenow scheinen zu einem Datenaustausch mit den Behörden bereit zu ein. „Freenow setzt sich seit längerem aktiv dafür ein, dass die Bestandsunternehmen vom Labo überprüft werden", sagt der Präsident des Unternehmens Alexander Mönch. Er plädiert für einen Stichtag, um die Wettbewerbsgleichheit zwischen den Plattformen gewährleisten zu können. Mönch hofft so, dass die Branche schlagartig sauber wird und die Probleme gelöst werden. Günter Schwarz vom Labo bestätigt die Bemühungen: „Das machen wir jetzt seit zwei Jahren und tasten uns Schritt für Schritt voran."
Zuständige Behörde mitverantwortlich an „mafiösen Strukturen"
Der SPD-Abgeordnete Tino Schopf indessen hält das Labo für mitverantwortlich: „Hätte die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde von Anfang an vernünftig gearbeitet, dann hätten wir diese mafiösen Strukturen nicht." Im Dezember 2023 habe er Akteneinsicht für 38 Mietwagenfirmen erwirkt und unhaltbare Zustände vorgefunden. „Wir sind vor Ort die Akten im Einzelnen durchgegangen und haben gravierende Mängel gefunden." Bei etwa der Hälfte der Firmen hätten Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden müssen. Günter Schwarz vom Labo räumt selbstkritisch ein, man sei „im Laufe der Zeit zu der Erkenntnis gekommen, dass man tiefer prüfen kann und auch muss.“
Illegale Strukturen in der Mietwagenbranche, warnt Alexander Mönch von Freenow, hätten bei ihm keine Zukunft. „Wir haben die Expansion längst gestoppt. Wir haben sämtliche Investitionen, die wir in die Mietwagen gegeben haben, schon letztes Jahr komplett auf Taxi umgelenkt." Das gesamte Geschäftsmodell müsse endlich geordnet werden. Denn in Deutschland vermitteln Plattformen wie Uber, Bolt und Freenow die Fahraufträge nicht direkt an einzelne Fahrer, sondern an sogenannte Mietwagen-Unternehmen. Ihnen gehören die Autos und bei ihnen sind die Fahrer angestellt.
Zum Hintergrund: Aufgabe des Labo in Berlin ist bei Erteilung einer Genehmigung zum einen die finanzielle Leistungsfähigkeit des Mietwagenanbieters, zum anderen die fachliche Eignung und persönliche Zuverlässigkeit der Geschäftsführung zu prüfen. Außerdem ob Firmensitz, Zahl der Stellplätze und die ordnungsgemäße Zulassung der Wagen in Ordnung ist. Ein halbes Jahr nach Konzessionserteilung und bei Verlängerung wird die Überprüfung wiederholt. Außerdem beim Wechsel der Geschäftsführung oder des Firmensitzes. 2024 gab es 4.498 gültige Konzessionen in Berlin.