Mit dem Versuch einer «feindlichen Übernahme» fängt es an: Am Abend des 17. März 1997 wird bekannt, dass der Stahlkonzern Krupp-Hoesch den Branchenprimus Thyssen übernehmen will. Das Thyssen-Management selbst macht dies öffentlich - und lässt keinen Zweifel an seiner Ablehnung: Es handele sich um einen «unbegreiflichen Vorgang». Von «Wildwestmanieren», die völlig inakzeptabel seien, ist die Rede. Nach einigen Wendungen und Hindernissen kommt es anders: Exakt zwei Jahre später wird die fusionierte Thyssen Krupp AG ins Handelsregister eingetragen.
Eierwerfen gegen den Krupp-Chef
Die Pläne sorgen zunächst für heftige Proteste. Zehntausende Arbeitsplätze seien durch eine Fusion gefährdet, schreibt der Thyssen-Vorstand am Folgetag in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Tausende Stahlarbeiter beider Unternehmen machen sich daraufhin auf nach Essen zur Krupp-Konzernzentrale. Krupp-Chef Gerhard Cromme spricht dagegen von «reiner Panikmache» - und wird von aufgebrachten Arbeitern mit Eiern beworfen. «Wir lassen uns nicht verramschen», sagt ein Gewerkschafter. «Es geht nicht um die Geldbörse oder Almosen, sondern schlicht um unsern Arsch.» Thyssen-Chef Dieter Vogel will zunächst nicht mit Cromme sprechen.
Die Politik ist alarmiert: Eine für diesen Tag angesetzte gemeinsame Kabinettssitzung der Regierungen von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen wird kurzerhand abgeblasen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau erklärt, die Landesregierung könne «eine solche feindliche Übernahme keinesfalls billigen». Bundeskanzler Helmut Kohl fordert einige Tage später die Führung beider Unternehmen auf, eine Lösung im Interesse der Beschäftigten und des wirtschaftlichen und sozialen Klimas im Lande zu finden. Auch an den folgenden Tagen protestieren zahlreiche Beschäftigte und organisieren Mahnwachen.
Betriebsrat: Arbeitskampf ebnete Weg
Die Konzerne finden dann doch zueinander. In einem ersten Schritt schließen sich die unter Absatzschwierigkeiten leidenden Stahlsparten, später dann die Gesamtkonzerne zusammen. Die Arbeitnehmervertreter hätten dabei eine wichtige Rolle gespielt, betont der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Tekin Nasikkol. «Unser Arbeitskampf und unsere Solidarität haben den Weg zu einer freundlichen Fusion geebnet», erklärte er anlässlich des Jahrestages.
Nach Beschwerden mehrerer Aktionäre kann die Fusion erst ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrags tatsächlich ins Handelsregister eingetragen werden - rückwirkend zum 1. Oktober 1998. Der neue Konzern geht mit 174.600 Beschäftigten und einem Umsatz von 67 Milliarden Mark (34 Milliarden Euro) an den Start. Nach der Fusion steht zweieinhalb Jahre lang eine Doppelspitze aus Cromme und Thyssen-Manager Ekkehard Schulz an der Spitze des Konzerns. Nach einem Wechsel Crommes an die Spitze des Aufsichtsrats steht Stahlexperte Schulz allein am Ruder.
Aufzuggeschäft verkauft
Seitdem ist viel geschehen, vor allem in der stark konjunkturabhängigen Stahlsparte: Börsenpläne dieser Sparte werden wieder abgesagt, Fehlinvestitionen in neue Stahlwerke in Brasilien und den USA kosten Milliarden. Eine Fusion der Stahlsparte mit dem indischen Konkurrenten Tata scheitert. Später wird ein geplanter Verkauf an Liberty Steel abgesagt. Luft verschafft sich Thyssenkrupp 2020 mit dem Verkauf der Aufzugsparte mit mehr als 50 000 Beschäftigten. Der Konzern erhält dafür mehr als 17 Milliarden Euro.
Derzeit ist der Konzern auch in den Sparten Autoteile, Werkstoffe, Militärschiffbau und neuerdings Dekarbonisierungs-Technologien tätig. Die Sparten Stahl und Militärschiffbau sollen verselbstständigt werden. Die Stahlherstellung soll gleichzeitig in Richtung Klimaneutralität umgebaut werden. Dazu sollen die klassischen Hochöfen nach und nach durch umweltfreundlichere Anlagen ersetzt werden. Darin soll klimaneutral erzeugter Wasserstoff zum Einsatz kommen und nicht mehr Koks.
Grüne Transformation
In der neuen Sparte «Decarbon Technologies» hat Thyssenkrupp seine Technologien zur CO2-Verringerung gebündelt, etwa den Anlagenbauer Nucera, der Elektrolyseure für die Wasserstoff-Produktion anbietet. Thyssenkrupp setzt große Hoffnungen auf das Thema Klimaneutralität: «Mit dem klimaneutralen Umbau der globalen Industrie richten wir das Unternehmen auf klimafreundliche Technologien aus und machen Thyssenkrupp zum Wegbereiter der grünen Transformation», erklärt Konzernchef Miguel López auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Größte Einzelaktionärin des Konzerns ist nach wie vor die Krupp-Stiftung mit einem Anteilsbesitz von rund 21 Prozent. Das Unternehmen ist im Börsensegment MDax notiert. Im Geschäftsjahr 2022/2023 lag der Umsatz bei 37,5 Milliarden Euro.
«Wieder in die Spur bringen»
López leitet seit Juni die Geschicke des Konzerns, der vor allem wegen der Konjunkturschwäche unter großem Druck steht. Der Manager will den Konzern «wieder in die Spur bringen» und für profitables Wachstum sorgen. «Wir müssen Ihnen in Zukunft wieder mehr bieten als eine minimale Rendite und einen unbefriedigenden Aktienkurs», sagte er Anfang Februar den Aktionären bei der Hauptversammlung.
Die Zukunft der unter Absatz- und Preisdruck stehenden Stahlsparte steht wieder im Fokus. Von den derzeit 100 000 Konzernbeschäftigten arbeiten 27 000 in der Stahlsparte, davon allein rund 13 000 in Duisburg. Stahl-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel hatte neulich in einem Interview der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» für Mitte April Vorschläge des Vorstands für eine grundlegende Neustrukturierung angekündigt. Hintergrund seien dauerhafte Absatzrückgänge. Bei Kapazitätsanpassungen könne auch ein Beschäftigungsabbau nicht ausgeschlossen werden.
IG Metall und Betriebsrat sind skeptisch. Den angekündigten Plan des Vorstands werde man «sehr genau unter die Lupe nehmen – sehr sorgfältig und kritisch», hieß es neulich in einem Flugblatt. Man wolle nicht zuschauen, «wie Stahl klein geschrumpft oder kaputtsaniert» werde. Am 30. April soll es eine gemeinsame Betriebsversammlung aller Stahlstandorte in Duisburg geben. (dpa)