Weltwirtschaft

Energie: Wer hat Angst vor Preiskontrollen?

Lesezeit: 3 min
31.03.2024 10:10
Ist es Zeit, den wirtschaftlichen Werkzeugkasten für Notsituationen um Preisdeckel zu ergänzen? Der beispiellose Anstieg der Energiepreise nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine hat in Europa viele Zweifel über die Wirksamkeit traditioneller Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung ausgelöst.
Energie: Wer hat Angst vor Preiskontrollen?
Sollten Energiepreisbremsen eingeführt werden? (Foto: iStockphoto/Stadtratte)
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Die EU hat in Reaktion auf diesen Energieschock einen allgemeinen Preisdeckel auf Erdgas verhängt, und mehrere Mitgliedsstaaten haben die Gewinnmargen, die Preise für Grundnahrungsmittel und die Mieten gedeckelt sowie wieder Steuern auf Zufallsgewinne eingeführt.

Doch trotz weit verbreiteter Einführung von Preiskontrollen und der Unterstützung durch einige prominente Ökonomen hegt der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream weiter Bedenken gegenüber Maßnahmen, die die Preissignale stören könnten. Dieses Widerstreben ist nirgends ausgeprägter als in Deutschland, wo der verzögerte Einsatz wirksamer Preisdeckel weit reichende politische Folgen haben könnte.

In einem jüngsten Arbeitspapier argumentieren wir, dass die Angst der Ökonomen vor Preiskontrollen unbegründet ist und katastrophale Folgen haben könnte. Deutschland dient dabei angesichts seiner starken Abhängigkeit von russischem Erdgas und der direkten Auswirkungen des Energieschocks von 2022 auf seine Wirtschaft als nützliches Fallbeispiel.

Während viele deutsche Mainstream-Ökonomen die Auswirkungen des Schocks herunterspielten und sich allen politischen Maßnahmen widersetzten, die auf die Kontrolle der Inflation bei den Energiepreisen zielten, hat die Krise von 2022 der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft einen hohen Tribut abgefordert. Sie führte zu einem kurzfristigen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4 Prozent, der die Erholung des Landes von der Pandemie behinderte und einen Wirtschaftsabschwung auslöste, der dem der Pandemie und der Finanzkrise des Jahres 2008 gleichkam. Und für deutsche Arbeitnehmer stellte der Energieschock von 2022 die schwerste Wirtschaftskrise seit Ende des Zweiten Weltkriegs dar.

Die Inflationsrate Deutschlands stieg 2022 auf ein Niveau, wie man es seit den 1970er Jahren nicht erlebt hatte, und überstieg das nominale Lohnwachstum deutlich. Dies führte zu einem 4 Prozent-igen jährlichen Rückgang der Reallöhne – dem größten Rückgang innerhalb eines Jahres in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Zusätzlich zu diesen kurzfristigen Verlusten mehren sich die Anzeichen, dass die Energiekrise der deutschen Wirtschaft auch langfristigen Schaden zufügt. Die Erholung verläuft weiterhin schleppend; Wirtschaftsleistung und Reallöhne liegen derzeit um 7 Prozent bzw. 10 Prozent unter dem Niveau vor der Pandemie.

Laut Internationalem Währungsfonds war Deutschland die einzige entwickelte Volkswirtschaft, die 2023 ein negatives BIP-Wachstum verzeichnete, und die Wachstumsprognosen für 2024 und 2025 sind niedriger als die der meisten vergleichbaren Volkswirtschaften. Im Verbund mit der erhöhten Unsicherheit helfen diese beispiellosen Einkommensverluste, die wirtschaftliche Besorgnis der deutschen Arbeitnehmer zu erklären.

Darüber hinaus widerlegen diese Trends Behauptungen von Ökonomen, dass Deutschland den Energieschock überraschend leicht bewältigt habe, und auch die Aussage von Finanzminister Christian Lindner, es sei Zeit für eine „Normalisierung“ der Fiskalpolitik. Das wirtschaftspolitische Establishment scheint viel zu eifrig darauf bedacht, ein Ende der Krise zu proklamieren und potenziell katastrophale Sparmaßnahmen zu verhängen.

Der Sommer 2022 ist ein Paradebeispiel dafür. Deutschland reagierte zunächst wirksam auf den Energieschock, indem es ein ehrgeiziges öffentliches Beschaffungsprogramm einleitete. Doch wartete die Politik zu lange mit der Einführung von Energiepreiskontrollen. Trotz der Unzufriedenheit über sinkende Lebensstandards und der enormen Popularität einer Deckelung der Energiepreise schlug die Bundesregierung eine Gasumlage vor – eine Maßnahme, die von Ökonomen favorisiert wurde, die Preisdeckel ablehnten.

Die zögerliche Herangehensweise der Bundesregierung an den Energiepreisschock verlängerte die Phase erhöhter wirtschaftlicher Unsicherheit unnötig und trug zu einem steilen Anstieg der Unterstützung für die rechtsextreme Alternative für Deutschland bei. Der Zulauf für die AfD ließ erst nach, als die Bundesregierung Kurs änderte und im Rahmen ihres als „Doppel-Wumms“ bekannten Stabilisierungspakets im September 2022 eine Energiepreisbremse einführte.

Die eingeführte Preisedeckelung schirmten die privaten Haushalte erfolgreich gegen den Ukraine-Schock ab, doch führte die Regierung nie einen wirksamen Preisdeckel für die industrielle Basis des Landes ein. Sie übertrug die Verantwortung für die Konzeption der Energiepreisbremse einem Gremium aus Ökonomen, von denen die meisten jede Maßnahme, die über simple Pauschalzahlungen an die Industrie hinausging, strikt ablehnten. Die Industrie hatte angesichts steil steigender Energiekosten folglich wenig Anreize, die Produktion aufrechtzuerhalten.

Die verhängnisvollen Folgen dieser Politik sind schwer zu übertreiben. Der Mangel an einer schlüssigen industriellen Strategie könnte im Verbund mit der Entscheidung, die Fiskalpolitik mitten in der Krise zu straffen, das Ende von Deutschlands industrieller Leistungskraft wie wir sie kennen einläuten.

Trotzdem bleibt die Frage: Lässt sich die populistische Welle zurückschlagen? Der potenzielle wirtschaftliche Nutzen von Energiepreiskontrollen – eine wirksame politische Reaktion auf durch endogene Preisunsicherheit verschärfte Energieschocks – legt es nahe. Während Mainstream-Ökonomen Preiskontrollen häufig unverhohlen ablehnen und als ausnahmslos suboptimal darstellen, unterstreicht die geopolitischen Megaschocks wie dem Ukraine-Krieg innewohnende Preisunsicherheit die Notwendigkeit, dass Regierungen ihre Annahmen überdenken.

Sicherlich sollten Preisdeckel immer nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Während sie vorübergehende Erleichterung schaffen, ist ihre Wirksamkeit davon abhängig, wie die Politik sie zur Bekämpfung von Angebotsverknappungen nutzt. Der Aufbau von Reservebeständen an wichtigen Rohstoffen ist dem ausschließlichen Verlass auf Überbrückungsmaßnahmen vorzuziehen. Trotzdem ist es besser, sich Zeit zu erkaufen, als zuzulassen, dass angebotsseitige Schocks Verheerungen in unseren Volkswirtschaften und Gesellschaften anrichten.

Copyright: Project Syndicate, 2024.

www.project-syndicate.org

Tom Krebs ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Mannheim. Er ist Research Fellow am Forum New Economy und Mitglied der deutschen Mindestlohnkommission.

Isabella M. Weber ist Außerordentliche Professorin für Volkswirtschaft an der University of Massachusetts Amherst und die Verfasserin von How China Escaped Shock Therapy: The Market Reform Debate (Routledge, 2021).

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