Im Jahr 2023 sind in den iranischen Gefängnissen mindestens 853 Menschen hingerichtet worden, wobei mehr als die Hälfte dieser Todesstrafen in Zusammenhang mit Drogendelikten standen. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hervor. Die Zahlen markieren damit die höchste Hinrichtungsrate seit 2015. Dabei handelt es sich laut Amnesty International um einen Anstieg von 48 Prozent gegenüber 2022 und um 172 Prozent gegenüber 2021. Bereits Anfang des laufenden Jahres zählte Amnesty 95 Hinrichtungen.
„Die massenhaften Hinrichtungen im Iran müssen spürbare diplomatische Konsequenzen haben“, sagt Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung müssten sich für ein Hinrichtungsmoratorium einsetzen. Die Familien der Toten verdienten Gerechtigkeit.
Der Bericht befasst sich auch mit der diskriminierenden Wirkung der Antidrogenpolitik der Regierung der Islamisten in Teheran auf ethnische Minderheiten, vor allem auf die belutschische Minderheit im Iran. Demnach entfielen 29 Prozent (138) der im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckten Hinrichtungen auf diese Minderheit - und das, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung ausmacht. Seit Jahren kämpft der Provinz Belutschistan im Südosten Irans mit extremer Armut und Dürren. Diese Situation verschlechtert die Lebensbedingungen der belutschischen Minderheit. Folgen des Klimawandels, Wassermangel und geringe landwirtschaftliche Erträge intensivieren dort die humanitären Probleme.
Hintergrund der Proteste und Hinrichtungen
Amnesty International kritisiert die massenhafte Anwendung der Todesstrafe bei Drogendelikten nach grob unfairen Verfahren und verurteilt diese Praxis als „eklatanten Machtmissbrauch“. Laut Amnesty International werden solche Hinrichtungen als Reaktion auf die landesweiten Proteste ergriffen, die durch den Tod der jungen Iranerin Mahsa (Jina) Amini ausgelöst wurden und ein Ende der Herrschaft der Islamisten über das Land forderten: Das Regime wolle dadurch die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und so ihre Macht festigen.
Aminis Tod in Gewahrsam der Sittenpolizei im September 2022 hatte landesweit zu monatelangen Protesten geführt, die niedergeschlagen wurden. Dabei starben nach Angaben der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) mindestens 537 Menschen durch das harte Vorgehen des Sicherheitsapparats.
Laut Amnesty International wurden mindestens 22.000 weitere festgenommen. Die Menschenrechtsorganisation weist darauf hin, dass die Justizbehörde im Jahr 2023 sechs Menschen im Zusammenhang mit diesen Protesten hingerichtet haben und sieben weitere Personen unter dem Todesurteil stehen, bei denen die Gefahr einer Vollstreckung besteht. Insgesamt sind seit 2022 neun Menschen mit Bezug auf Demonstrationen hingerichtet worden.
Internationale Reaktionen
Ein General der Revolutionsgarden (IRGC) im Iran räumte Ende November 2022 erstmals ein, dass bei den Protesten viele Unbeteiligte getötet wurden. Diese Ereignisse stellen Deutschland und die Europäische Union (EU) vor die dringende Frage, wie auf solch gravierende Menschenrechtsverletzungen reagiert werden sollte.
Im Jahr 2022 reagierte die EU mit der Einführung neuer Sanktionen gegen Personen und Organisationen, die an der Unterdrückung beteiligt waren. Deutschland rief bereits mehrfach zu einer stärkeren diplomatischen Position auf und unterstützte internationale Untersuchungen. Die Kritik an der Menschenrechtslage im Iran wurde in internationalen Foren intensiviert. Das Bundesinnenministerium hat im Zuge der Unterdrückungen Mahmoud Farazandeh, den iranischen Botschafter in Berlin, mehrfach wegen der massiven staatlichen Gewalt gegen Demonstranten einbestellt.
Forderungen von Oppositionellen
Trotz weitgehender Maßnahmen in der EU und Deutschland fordern die Oppositionellen im Iran bereits seit 2022 eine noch entschlossenere Vorgehensweise. Laut Menschenrechtsaktivisten stehen sogar die Atomverhandlungen und andere diplomatische Bemühungen unter dem Verdacht, das Regime, das seine Legitimität schon längst verloren habe, indirekt zu stärken. Die geforderten Maßnahmen beinhalteten zudem die Beendigung jeglicher Kooperation mit dem Regime in Teheran, die Ausweisung seiner Botschafter sowie die Aufnahme der IRGC, die an der Unterdrückung der Protestbewegungen beteiligt sind, in die EU-Terrorliste. Die IRGC sind Irans Elitestreitmacht. Sie wird mächtiger eingeschätzt als die konventionellen Streitkräfte.
Deutschland und die EU befinden sich seit der unumkehrbaren Wende gegen den herrschenden Gottesstaat im Iran an einem kritischen Punkt: Die Unterstützung der iranischen Bevölkerung im Kampf um Freiheit und Gleichheit erfordert mehr als diplomatische Überlegungen und vorsichtige Sanktionen, die die oberste Führung im Land unberührt lässt.
Die Ereignisse des Jahres 2022 und die erschreckenden Zahlen von Amnesty International verdeutlichen noch einmal die Notwendigkeit, sich aktiv für die Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen und ein klares Zeichen gegen Unterdrückung zu setzen.