Viele Anleger unterliegen einem teuren Irrtum. Sie halten die Entwicklung eines Fonds, eines Wertpapiers oder einer gesamten Anlageklasse in der jüngeren Vergangenheit für aussagekräftiger als die Entwicklung in der weiter zurückliegenden Vergangenheit. Finanzökonomen sprechen vom Recency Bias oder dem Rezenzeffekt.
Anleger würden maximal auf die Renditen der vergangenen zehn Jahre schauen, berichtet etwa Ingo Schröder von Maiwerk gegenüber DWN. „Dann überlegen sie sich, ob sie die Schwellenländer überhaupt noch im Portfolio benötigen oder in den S&P 500 statt den MSCI World investieren sollen“, erklärt der Honorar-Finanzanlagenberater. Das führe zu Klumpenrisiken und einer schlechteren Rendite.
Zwar liefen etwa Schwellenländer in den vergangenen zehn Jahren schlechter als Industrieländer. Langfristig ist aber aufgrund des erhöhten politischen Risikos mit einer höheren Rendite zu rechnen. Experten sprechen vom „Political-Risk-Faktor“. „Schaut man sich langfristige Daten über 50 Jahre und mehr an, dann haben Schwellenländer deutlich mehr Rendite gebracht als ein MSCI World“, erklärt Schröder.
Recency Bias ist ein teurer Anlegerfehler
Ali Masarwah vom Fondsvermittler Envestor hält den Recency Bias für einen der gravierendsten Anlegerirrtümer. „Wer generell nur aufgrund der Vergangenheits-Performance eines Fonds oder einer Aktie investiert, droht Schiffbruch zu erleiden“, warnt er gegenüber DWN. Die Vergangenheitsrenditen seien nicht nur kein Anhaltspunkt für die künftige Performance.
„Schlimmer noch: In der Regel sind die Bewertungen von Investments, die im Wert stark gestiegen sind, hoch. Das wiederum ist ein Indikator dafür, dass die künftige Rendite relativ schlecht ausfallen wird“, erklärt der Fondsexperte.
Laut Finanzexperten schwanken die Renditen von Aktien und anderen Anlageklassen um einen langfristigen historischen Mittelwert. Bei globalen Aktien lag dieser in den vergangenen 120 Jahren bei 5 Prozent pro Jahr nach Abzug der Inflation, wie Zahlen des „Global Investment Returns Yearbook 2023“ zeigen.
Dabei rentieren einzelne Märkte, Länder oder Branchen immer wieder jahrelang überdurchschnittlich, um anschließend hinter den historischen Schnitt zurückzufallen. Finanzökonomen sprechen von der Regression zum Mittelwert. Nach guten Börsenjahren kommen also tendenziell eher wieder schlechte. Diese Phasen der Out- und Underperformance können zehn Jahre und länger dauern.
Etwa rentierten US-Internetfirmen zwischen 1985 und 1999 rund 15 Jahre überdurchschnittlich, um anschließend scharf zu korrigieren. Deutsche Wohnimmobilien stiegen von circa 2010 bis 2022 überdurchschnittlich, während die Preise von 1995 bis 2010 inflationsbereinigt fielen.
Wann sich die Entwicklung eines Marktes umkehrt, lässt sich laut Ali Masarwah nicht vorhersagen. „Keiner hat eine Glaskugel“, erklärt er. Auch professionelle Fondsmanager schaffen es meist nicht, den Markt korrekt auf Basis von Prognosen zu timen und einen Index zu schlagen.
Shiller-KGV ist brauchbares Indiz
Wichtig ist laut Ali Masarwah daher, die aktuelle Bewertung zum langfristigen Durchschnitt zu vergleichen. Etwa sei das Shiller-KGV dafür ein brauchbares Werkzeug. „Ein Beispiel: Der US-Aktienmarkt ist aktuell im langfristigen Durchschnitt hoch bewertet“, erklärt Masarwah. „Das deutet auf eine künftige unterdurchschnittliche Performance hin. Wie hoch die allerdings konkret sein wird, ist ungewiss.“
Derzeit liegt das Shiller-KGV von US-Aktien bei 34 (Stand: 29. Februar 2024). Historisch gesehen war das Verhältnis aus dem inflationsbereinigten Aktienkurs zum Schnitt der inflationsbereinigten Unternehmensgewinne der vergangenen zehn Jahre bei 15 bis 20. Stieg die Kennzahl über 30, dann waren die inflationsbereinigten Renditen in den folgenden zehn bis 15 Jahren laut einer Studie sehr gering. Im Schnitt lagen sie zwischen 1979 und 2015 über 17 Länder hinweg bei 0,5 Prozent pro Jahr.
Allerdings lässt sich laut Experten mit dem Shiller-KGV nicht zuverlässig die Zukunft voraussagen. Market-Timing gehe meistens schief, also das Ausrichten des Portfolios anhand von Prognosen, erklärte etwa der Honorar-Finanzanlagenberater Michael Ritzau gegenüber DWN.
Bereits im Jahr 2018 sei das KGV von US-Aktien hoch gewesen. Dennoch hätten US-Aktien weiter haussiert. Experten wie Ritzau empfehlen daher, eine feste Strategie beizubehalten - etwa 60 Prozent in Aktien und 40 Prozent in Anleihen - und an der Aufteilung über Anlageklassen und Regionen nichts im Zeitablauf zu ändern.
Anleger schaden sich Studien zufolge mit dem Blick in den Rückspiegel enorm. Laut einer Morningstar-Analyse fallen die tatsächlichen Anlegerrenditen geringer aus als die ausgewiesenen Fondsrenditen. Sobald sich ein Fonds nämlich gut entwickelt, bringen Anleger neue Gelder ein. Im Anschluss entwickeln sich Fonds häufig unterdurchschnittlich.
Morningstar nennt als Beispiel den „ishares Global Clean Energy“. Nachdem der ETF um 120 Prozent im Jahr 2020 gestiegen war, investierten Anleger über 6 Milliarden US-Dollar. In den folgenden beiden Kalenderjahren erzielten sie gewichtet an den Zuflüssen Verluste von 3 Prozent pro Jahr. Finanzexperten warnen daher vor Performance-Chasing - also dem Kaufen von Fonds und Wertpapieren, die sich in der Vergangenheit besonders gut entwickelt haben.
In der Analyse „Mind the Gap“ untersuchte Morningstar rund 10.000 aktive und passive Aktien-, Anleihen- und alternative Fonds aus Australien, Hongkong, dem Vereinigten Königreich, Luxemburg, Singapur und Irland. Das Ergebnis: Die nach den Mittelflüssen gewichteten Renditen waren in allen Ländern sowie über alle Fonds und ETFs geringer als die Fondsrenditen. Der Rückstand lag je nach Land zwischen 0,32 und 0,82 Prozentpunkten pro Jahr. Anleger erzielten eine um 7 bis 41 Prozent schlechtere Rendite als die ausgewiesene Fondsrendite.
Was können Anleger tun?
Morningstar rät Privatanlegern daher, sich über die historische Entwicklung der Finanzmärkte kundig zu machen. Die Kurse würden relativ häufig einbrechen und sich anschließend rasch erholen. Langfristig seien die Börsen aber immer auf neue Hochs gestiegen. Wer sich dessen bewusst sei, schlafe in volatilen Marktphasen besser.
Außerdem sollten sich Anleger gerade in volatilen Zeiten nicht mit der Börse beschäftigen. „Versuchen Sie, einen Zeitplan festzulegen, wie oft Sie Ihr Portfolio und die Nachrichten überprüfen“, rät die Ratingagentur. Einmal pro Quartal ins Depot zu schauen reiche vollkommen aus.
Bevor man ein Wertpapier verkaufe, solle man sich außerdem die Kapitalertragssteuern und Handelskosten vergegenwärtigen, die die Transaktion auslöse. Forscher hätten herausgefunden, dass viele Anleger die Zahlung von Steuern noch mehr verabscheuten als die Aussicht auf einen Wertverlust bei einem Marktabschwung.