Unternehmen

Ist die Flexibilität europäischer Unternehmen in Gefahr? Neue EU-Zahlungsfristen wecken Sorgen

Lesezeit: 2 min
12.05.2024 11:52
Starre und praxisferne Zahlungsfristen: Die EU-Pläne für eine einheitliche 30-Tage-Zahlungfrist stoßen auf deutlichen Gegenwind. Während die EU-Kommission die Liquidität und Stabilität für KMUs verbessern möchte, warnen Wirtschaftsverbände vor schwerwiegenden Folgen für Unternehmen.
Ist die Flexibilität europäischer Unternehmen in Gefahr? Neue EU-Zahlungsfristen wecken Sorgen
Die EU-Kommission Pläne stellen vor, einheitliche Zahlungsmodalitäten im EU-Binnenmarkt durchzusetzen. Könnte dieser Ansatz die Komplexität der Geschäftsbeziehungen angemessen berücksichtigen? (Foto: iStock.com, mareesw)
Foto: mareesw

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Kürzlich hat die EU-Kommission Pläne vorgestellt, die auf die Einführung einer einheitlichen Zahlungsfrist im Geschäftsverkehr abzielen – ein Schritt, der notwendig erscheint, da jede vierte Insolvenz auf Zahlungsverzögerungen zurückzuführen sein soll. Doch welchen Preis zahlen wir dafür?

Wirtschaftsverbände schlagen Alarm und warnen vor tiefgreifenden, potenziell schädlichen Auswirkungen auf die Flexibilität und die finanziellen Grundlagen der Unternehmen.

„Die vorgeschlagene Regelung wird den praktischen Bedürfnissen der Unternehmen in der Lieferkette nicht gerecht. Mit den vorgesehenen starren Zahlungsfristen greift sie unverhältnismäßig in die Vertragsfreiheit ein, selbst mit den geplanten Abstufungen“, kommentiert Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE) die neuen Regelungen. Er kritisiert die Bestrebungen, einheitliche Zahlungsmodalitäten im EU-Binnenmarkt durchzusetzen, und hebt hervor, dass dieser Ansatz die Komplexität der Geschäftsbeziehungen nicht angemessen berücksichtigt.

Kernpunkte der Verordnung: Warum striktere Zahlungsfristen?

Nach den Plänen der EU sollen Zahlungsfristen im Geschäftsverkehr grundsätzlich auf maximal 30 Tage beschränkt werden, was alle Transaktionen zwischen Unternehmen und auch mit öffentlichen Einrichtungen betrifft. Die gesamte Prozedur der Annahme und Überprüfung von Lieferungen soll innerhalb dieses Zeitrahmens abgeschlossen sein. Ausnahmen sind nur für spezielle Transaktionstypen vorgesehen.

Betrachten wir ein Beispiel: Die Muster GmbH, ein mittelständischer Zulieferer, liefert Bauteile an die größere Beispiel AG. Nach der neuen EU-Verordnung muss die Beispiel AG die Rechnung innerhalb von 30 Tagen nach Lieferung und Überprüfung der Bauteile begleichen. Damit verkürzen sich die Fristen drastisch: Früher konnte die Überprüfung und damit der Beginn der Zahlungsfrist bis zu 45 Tage in Anspruch nehmen, während die eigentliche Zahlungsfrist danach bis zu 60 Tage betragen konnte.

Diese Änderung beschleunigt nicht nur die Zahlungen, sondern verbessert auch die Liquidität der Muster GmbH und reduziert deren Bedarf an Kreditrahmen. Sie schränkt jedoch gleichzeitig die Flexibilität der Beispiel AG bei der Prüfung und Zahlungsabwicklung ein.

Neue Regelungen bringen auch neue Sanktionen

Ein weiterer zentraler Aspekt der geplanten Gesetzesänderung ist die Einführung verpflichtender Verzugszinsen bei Zahlungsverzögerungen, wodurch Gläubiger automatisch diese Zinsen erhalten. Sollte die Beispiel AG ihre Verpflichtungen nicht innerhalb der vorgegebenen 30 Tage erfüllen, könnte die Muster GmbH unmittelbar ihren Anspruch auf Verzugszinsen geltend machen.

Wird mehr Zahlungsdisziplin kleine Unternehmen schützen?

Obwohl die Kommission behauptet, dass diese Maßnahmen die finanzielle Stabilität und die Zahlungsdisziplin kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) stärken werden, bleibt offen, ob die angestrebten Ziele wirklich erreicht werden können. Dies gilt insbesondere angesichts der Bedenken aus der Wirtschaft über mögliche negative Auswirkungen.

So betont auch Achim Dercks von der Industrie- und Handelskammer die Risiken einheitlicher Zahlungsfristen, insbesondere für kleinere und mittlere Händler, deren Finanzierungskosten durch verkürzte Zahlungsziele erheblich steigen könnten. Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand warnt vor steigenden Finanzierungskosten und Liquiditätsengpässen als Folge der geplanten Reformen. Sie beurteilt die Vorschläge als „im Kern ungeeignet, pünktliche und vertragsgerechte Zahlungen zu gewährleisten“.

Neue EU-Vorschriften gegen Zahlungsverzug: Ein Balanceakt

Die Schwierigkeit ist, ein Gleichgewicht zwischen der Schaffung fairer Marktbedingungen und der Vermeidung von Überregulierung, die etablierte Geschäftspraktiken gefährden könnte, zu finden. Obwohl die vorgeschlagenen Regelungen darauf abzielen, die Liquidität und Stabilität, insbesondere von KMUs, zu verbessern, müssen die Bedenken bezüglich der Einschränkung der betrieblichen Flexibilität und der möglichen Erhöhung der Finanzierungskosten ernst genommen werden.

Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, die Regelungen flexibler zu gestalten und durch aktive Dialoge mit den betroffenen Branchen zu verfeinern. Dies würde sicherstellen, dass die neuen Vorschriften nicht nur auf dem Papier gut funktionieren, sondern auch in der komplexen Wirklichkeit der globalen Märkte.

In jedem Falle erfordern die Ergebnisse dieser Gesetzgebungsinitiative eine sorgfältige Debatte der damit verbundenen Auswirkungen. Nur durch echte Verbesserungen für die Zahlungsdisziplin lässt sich die Vitalität und Innovationskraft der europäischen Wirtschaft fördern. Die kommenden Monate werden zeigen, wie sich die Diskussionen weiterentwickeln und welche Form die endgültige Verordnung annehmen wird.

 


Mehr zum Thema:  

 

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...