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Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle lasse ich Sie jeden Freitag an meinem Standpunkt teilhaben - immer kritisch, selbstverständlich unabhängig, meist unbequem. Lesen Sie, was in dieser Woche auf meinem Schreibtisch lag!
10.05.2024 20:01
Lesezeit: 6 min

Liebe Leserinnen und Leser,

fahren Sie manchmal mit der Deutschen Bahn? Dann können Sie eventuell nachvollziehen, was ich jede Woche auf meinem Weg quer durch Deutschland erlebe. Davon möchte ich in diesem Kommentar berichten, der weniger ein objektiver Kommentar ist und vielmehr ein subjektiver Aufreger. Denn: Langsam mache ich mir wirklich Sorgen um Deutschland. Aber der Reihe nach …

Sie haben es vielleicht in diesen ersten Zeilen bemerkt: Ich bin etwas emotional und möchte am liebsten alle Gedanken, die ich seit Wochen mit mir herumtrage, gleichzeitig in einen Satz packen. Aber das funktioniert nicht, das wissen Sie und das weiß ich, dafür muss niemand Chefredakteur sein.

Aber seit ich DWN-Chefredakteur bin, hat sich etwas geändert in meinem Leben. Und dabei geht es gar nicht per se um die neue berufliche Aufgabe, nein, es geht vor allem darum: Ich fahre nun jede Woche Bahn, Deutsche Bahn, ICE um genau zu sein.

Ich fahre also seit 1. Januar jede Woche mit dem Flaggschiff der Eisenbahn in unserem Lande, was eigentlich nichts Besonderes sein sollte. Doch es ist etwas Besonderes – leider, muss ich sagen!

Vor meiner Zeit bei den Deutschen Wirtschaftsnachrichten bin ich quasi nie Zug gefahren. Mit meinem Auto bin ich immer überall hingekommen, wo ich hinwollte. Das war zwar nicht immer besonders stressfrei, für mich aber schon immer Normalität. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und wohne in einer kleinen Stadt, in der es keinen Bahnhof gibt. Die Bahn war bisher für mich gar keine echte Alternative. Vor allem hatte ich als Autofahrer mein Schicksal immer in der eigenen Hand.

Oft hatte ich von Freunden gehört, dass es nicht immer einfach sei, mit der Bahn zu fahren. Und über die verschiedensten Medien waren mit natürlich die Meldungen über schlechte Infrastruktur, verspätete Züge und technische Probleme mit den Klimaanlagen bekannt. Aber „etwas über die Bahn gehört“ zu haben ist eben etwas anderes als dies „am eigenen Leib in der Bahn zu erleben“.

Und so lege ich inzwischen jede Woche mein Schicksal in die Hände der Deutschen Bahn – und „Schicksal“ ist hier wirklich wörtlich zu nehmen, wie Sie meinem nun folgenden Erlebnisbericht entnehmen dürfen. Ich möchte betonen, dass dies bei einer einzigen Fahrt mit dem ICE passiert ist. Diese Fahrt dauert eigentlich fünf Stunden. Doch an diesem Donnerstagabend Mitte März war alles anders!

Es begann am Hauptbahnhof in Berlin, wo ich am späten Nachmittag – gut gelaunt und noch ohne Vorahnung des bald folgenden Dramas – in „meinen“ ICE einsteigen wollte. Über die App der Deutschen Bahn wurde ich im Vorfeld informiert, dass der Zug den Zielort etwa 20 Minuten später erreichen würde: „Verspätetes Personal aus vorheriger Fahrt“ und „Reparatur an der Oberleitung“ stand dort als Hinweis.

Eine normale Meldung, bei der ich mir zunächst keine weiteren Gedanken machte. Ich wartete nun also wie alle anderen Fahrgäste am Gleis auf den ICE.

Plötzlich sah ich immer mehr Menschen, die gebannt auf ihre Handys schauten und sich angeregt unterhielten. Nach und nach verließen die Menschen das Gleis. Ich blickte nun also auch leicht besorgt und etwas verwirrt auf mein Handy – wohlgemerkt sollte der Zug in fünf Minuten abfahren: Das Gleis für die Abfahrt wurde geändert, „Gleis 4“ stand da nun statt „Gleis 2“. Jetzt hieß es: Gepäck schnappen, mit der Rolltreppe nach oben hetzen und beim anderen Gleis mit der Rolltreppe wieder nach unten fahren. Parallel zu meiner Ankunft am neuen Gleis fuhr auch der Zug in den Bahnhof ein – gerade noch geschafft.

Eine Lautsprecherdurchsage bezüglich des Gleiswechsels kam übrigens, als ich mit allen anderen Passagieren in den Zug einstieg. Ich quetschte mich also zu meinem im Vorfeld reservierten Sitzplatz (tolle Sache), verstaute mein Gepäck und setzte mich hin. Die Anzeigen im ICE sind klasse, es ist wirklich sehr leicht, den eigenen Platz zu finden.

Da ich im Zug regelmäßig noch ein paar Themen abarbeite, klappte ich meinen Laptop auf und begann mit dem Beantworten von E-Mails. Ich korrigiere: Ich wollte mit dem Beantworten von E-Mails beginnen. Leider hatte das WLAN im ICE keinen guten Tag erwischt und ich bekam einfach keine Verbindung. Rund um Berlin passiert das regelmäßig – etwas verwunderlich, dass gerade in der Hauptstadt und in der bevölkerungsreichsten Stadt Deutschlands das Internet im ICE schlechter ist als in anderen deutschen Großstädten.

Aus Langeweile schaute ich auf mein Handy und in die noch geöffnete DB-App. Für meinen Blutdruck war das keine gute Idee: Statt der mit Verspätung angegebenen Zielzeit um 22:13 Uhr stand dort plötzlich 23:14 Uhr als neue Zielzeit – Schockschwerenot, was war passiert?

Zu den bereits bekannten Meldungen kam folgende hinzu: „Für ICE 123 verkehrt Ersatzfahrt ICE 4567 zwischen ABC und XYZ“. Na, was ist denn das für ein Mist? Als Höhepunkt stand in der App auch noch „Halt entfällt“ bei meinem Zielbahnhof. What? Komme ich später an oder gar nicht? Fährt mein Zug einfach durch meinen Zielbahnhof durch?

Doch es kam noch schlimmer – und das möchte ich in aller Kürze beschreiben, denn es wird lächerlich und vor allem peinlich für die Deutsche Bahn: An einem Bahnhof auf der Strecke musste mein Zug eine halbe Stunde stehen, weil das neue Personal meinen Zug nicht rechtzeitig erreichte. Raten Sie mal, warum? Genau, das neue Personal kam mit einem Zug, der – Sie ahnen es – ebenfalls Verspätung hatte.

Dann musste mein ICE den bereits genannten Oberleitungsschaden umfahren, was mir und den anderen Fahrgästen etwas mehr als eine halbe Stunde zusätzliche Fahrtzeit bescherte. Die Folge: An einem weiteren Bahnhof machte der Zug dann erneut fast eine halbe Stunde Halt, weil der Lokführer seine „Lenkzeit“ überschritten hatte – wäre das in diesem Moment nicht einfach nur nervig gewesen, im Zug wäre sicherlich Gelächter ausgebrochen.

Leider war es zu diesem Zeitpunkt auch nicht möglich, einen Kaffee (oder einen Schnaps!!!) im Bordbistro zu holen, weil dort – Überraschung – das Personal wechselte. Ach: Das Internet (im ICE) funktionierte ebenfalls gerade mal wieder nicht, was die Laune der Passagiere nicht unbedingt besserte.

Doch damit nicht genug: Kurz nach Weiterfahrt ploppte auf dem Deckenmonitor plötzlich die Meldung auf, dass der Zug im nächsten Bahnhof endet. „Das ist jetzt wirklich ein Scherz“, dachte ich, buchte mir aber zur Sicherheit über die DB-App schnell einen Sitzplatz in einem anderen Zug, in den ich umsteigen wollte.

Kaum hatte ich das getan und online bezahlt, kam folgende Lautsprecherdurchsage: „Liebe Fahrgäste, dieser Zug endet natürlich nicht im nächsten Bahnhof, wir erhalten lediglich eine neue Zugnummer! Bleiben Sie also bitte sitzen, Sie erreichen ihr Ziel heute auf alle Fälle!“

Eine gute Nachricht, die bei mir aber nicht sofort als solche ankam. Und den traurigen Höhepunkt hatte sich die Deutsche Bahn an diesem Tag sowieso für den Schluss aufgehoben. Nach dem Personalwechsel wollte ich mir am Bordbistro noch etwas Essbares und einen Kaffee besorgen, schließlich waren wir nun alle seit mehr als sechs Stunden unterwegs. Da noch andere Fahrgäste diese Idee hatten, musste ich etwa 20 Minuten anstehen. Das war nicht schön, aber wegen des schwächelnden Internets hatte ich ja gerade nichts Besseres zu tun.

Wirklich eine große Frechheit war allerdings die Laune des Bistro-Angestellten. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass der Service im ICE immer gut ist und sowohl die Zugbegleiter als auch die Bistro-Angestellten in der Regel freundlich und gut gelaunt sind. An diesem speziellen Abend war aber vieles ganz anders.

Bereits gegenüber mir, der gerade sein Schinken-Käse-Baguette bestellt hatte, war der Mann hinter der Theke sehr unfreundlich. Nun hatte er noch eine letzte Kundin zu bedienen, doch er entschied sich anders: Statt sie nach ihren Wünschen zu fragen, schloss er vor ihrer Nase den Rollladen. „Das kann doch jetzt nicht ihr Ernst sein“, rutschte es mir da ganz spontan heraus. „Doch“, kam da zurück. Er sei schon stundenlang in diesem Zug unterwegs und er werde jetzt Feierabend machen.

Das fand ich schon frech. Das gesamte Bistro war voller Menschen – und alle waren bereits stundenlang unterwegs. Ich denke, es ist nicht der Fehler der Passagiere, wenn ein ICE mehr als 80 Minuten Verspätung hat.

Ich möchte mich hier in diesem Kommentar nicht künstlich aufregen. Ich habe Verständnis für schlechte Laune, ich habe Verständnis für einen verspäteten Zug, ich habe Verständnis für schlechtes WLAN – aber nicht jede Woche!

Ja, diese Zugfahrt war eine sehr spezielle Ausnahme, weil hier tatsächlich alles zusammenkam. Aber Internetprobleme gibt es immer wieder, Verspätungen gibt es immer wieder, Schäden auf der Strecke gibt es immer wieder und auch verspätetes Personal gibt es immer wieder. In den mehr als fünf Monaten, in denen ich regelmäßig quer durch Deutschland fahre, gab es maximal drei Fahrten, bei denen es wirklich überhaupt keine Probleme gab.

Und das geht nicht, finde ich! Das schadet uns als Wirtschaftsstandort Deutschland, das schadet ganz konkret unserer Industrie – und das schadet auch dem Ansehen Deutschlands.

Da darf es nicht sein, dass Bahnvorstände auch noch Millionenboni erhalten. Dieses Geld sollte dringend in die marode Infrastruktur der Bahn investiert werden. Ja, bei 10,7 Milliarden Euro, die 2022 in Ausbau, Erneuerung und Instandhaltung des Netzes, der Bahnhöfe und der Energieanlagen geflossen sind, sind die Boni der Vorstände ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aber zu verstehen ist es nicht, dass die Vorstände der Deutschen Bahn 2022 sechs- bzw. siebenstellige Summen erhalten haben. Allein Bahn-Vorstandschef Richard Lutz bekam einen Bonus von mehr als 1,26 Millionen Euro. Es ist nur richtig, dass sich die Zahlungen künftig stärker an langfristigen Zielen orientieren sollen.

Ich wünsche Ihnen weiterhin wertvolle Einblicke – bleiben Sie immer informiert!

Ihr Markus Gentner

Chefredakteur

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Markus Gentner

Zum Autor:

Markus Gentner ist seit 1. Januar 2024 Chefredakteur bei den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Zuvor war er zwölf Jahre lang für Deutschlands größtes Börsenportal finanzen.net tätig, unter anderem als Redaktionsleiter des Ratgeber-Bereichs sowie als Online-Redakteur in der News-Redaktion. Er arbeitete außerdem für das Deutsche Anlegerfernsehen (DAF), für die Tageszeitung Rheinpfalz und für die Burda-Tochter Stegenwaller, bei der er auch volontierte. Markus Gentner ist studierter Journalist und besitzt einen Master-Abschluss in Germanistik.

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