Deutschland befindet sich wirtschaftlich in einer Krise. Gleichzeitig sind mehr als 1,5 Millionen Stellen unbesetzt. Das will der IHK-Tag 2024 in Berlin deutlich machen, wie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mitteilt. „Die Dimension dieser Herausforderung wird noch immer unterschätzt. Sie birgt – ebenso wie das Thema Energie – eine große Gefahr für unsere Unternehmen“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian bei der Vorstellung eines Potenzial-Katalogs zur Verbesserung der Situation.
„Diese Lücke wird immer größer und bedroht ganz konkret unseren Wohlstand“, warnte Adrian. Er betonte, dass selbst wenn nur eine Million Stellen unbesetzt bleiben, der deutschen Volkswirtschaft Jahr für Jahr rund 50 Milliarden Euro an Wertschöpfung verloren gehen würden.
Der IHK-Tag 2024 findet diesen Mittwoch in Berlin statt. Zu den Teilnehmern gehören auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Ziel der Veranstaltung ist es, Unternehmen, Fachleute aus den IHKs sowie Experten mit Vertretern aus der Politik zusammenzubringen, um Zukunftsfragen zu diskutieren. Dabei stehen praxistaugliche Strategien zur Fachkräftesicherung im Mittelpunkt. „Wir setzen deshalb auf eine gemeinsame Kraftanstrengung. Denn klar ist: Ohne Fachkräfte keine Wirtschaft“, so Adrian weiter.
Potenziale sind bislang nicht ausgeschöpft
Der Austausch mit der Politik ist dabei essenziell. „Wir wollen die Politik auf allen Ebenen mit ins Boot holen“, erklärte Adrian. „Es gilt, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Probleme aus dem Weg zu räumen – im Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft.“
Der Präsident der DIHK wies auf die Notwendigkeit hin, alle Potenziale zu nutzen: „Wir haben in Deutschland noch so viele Potenziale, die wir nutzen können.“ Dies beginne bei einer besseren Berufsorientierung für junge Menschen und reiche bis zur Integration von Migranten und der Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand für Ältere. „Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir alle Register ziehen“, forderte Adrian.
Mobilisierung der Fachkräfte
Laut DIHK gibt es mehrere Potenziale zur Mobilisierung von Fachkräften: Die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren motiviert jährlich bis zu 270.000 Fachkräfte, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Flexible Angebote zur Weiterarbeit statt Anreize zum Aufhören seien notwendig. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) könnte die Erwerbsbeteiligung Älterer bis 2035 um 2,4 Millionen höher liegen.
Jährlich werden im IHK-Bereich etwa 60.000 Prüfungen in der Höheren Berufsbildung abgelegt. Ein Zuwachs von nur zehn Prozent würde zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von etwa einer Milliarde Euro führen. Obwohl 60 Prozent der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildung teilnehmen, liegt die Beteiligung bei Arbeitslosen nur bei 34 Prozent. Ein Anstieg dieses Anteils um 20 Prozent könnte ein zusätzliches Potenzial von knapp 200.000 besser qualifizierten Personen erschließen.
Deutschlands Wochenarbeitszeit liegt unter dem EU-Durchschnitt. Eine Erhöhung der Teilzeitarbeit um 2,5 Stunden pro Woche könnte etwa 1,2 Millionen zusätzlichen Vollzeitstellen entsprechen. Durch Weiterbildung sowie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung bestehen neue Möglichkeiten. Eine Verdoppelung der Produktivitätssteigerung würde etwa 450.000 Fachkräfte zusätzlich für neue Aufgaben bereitstellen.
Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund
Auch die Erwerbsmigration aus Drittstaaten könnte durch eine bessere Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes gesteigert werden. Ziel ist es, die Zahl der Erwerbsmigranten auf 100.000 zu erhöhen. Trotz Fortschritten liegt die Beschäftigungsquote von Menschen ohne deutschen Pass deutlich unter der der Deutschen. Maßnahmen zur Integration und Qualifikation könnten etwa 500.000 zusätzliche Beschäftigte mobilisieren.
Die Partizipationsquote bei Frauen mit Migrationshintergrund liegt bis zu 20 Prozentpunkte unter der von deutschen Frauen. Eine bessere Integration könnte das Erwerbspersonenpotenzial um mehrere hunderttausend Arbeitskräfte erhöhen. Durch eine praxisorientierte Berufsorientierung und den Ausbau von Konfliktbewältigungshilfen könnten laut DIHK etwa 40.000 reale Vertragslösungen vermieden werden. Eine bessere Berufsorientierung und ein verstärktes Ausbildungsmarketing könnten schätzungsweise knapp 50.000 junge Menschen zusätzlich den Weg in eine Ausbildung ebnen.