Die deutsche Wirtschaft steht massiv unter Druck. Laut der jüngsten Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) herrscht akuter Handlungsbedarf: Die Attraktivität als Industriestandort hat ein Allzeittief erreicht. Eine zunehmende Regulierungsdichte, bürokratische Hürden und steigende Energiepreise stellen erhebliche Belastungen dar. Zudem werden komplexe Steuergesetze und langwierige Genehmigungsprozesse als kritische Hemmnisse für das Geschäftsleben angesehen.
Die Bewertung der Standortfaktoren ist auf ein historisches Tief von 4,0 gesunken – gerade noch „ausreichend". Auch das Vertrauen in die Effektivität der aktuellen Wirtschaftspolitik ist tief erschüttert, mit einer Rekordbewertung von 4,8 – dem schlechtesten Ergebnis seit Beginn der Erhebungen.
Vor diesem Hintergrund verliert Deutschland „rapide an Attraktivität“ für Industrie und angrenzende Sektoren, wie der Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben von der DIHK feststellt. Besonders energiepolitische Schwierigkeiten bewegen immer mehr Betriebe dazu, ihre Kapazitäten ins Ausland zu verlagern – eine Entwicklung, die sich letztes Jahr mit einer geplanten oder realisierten Abwanderungsrate von 31-Prozent dramatisch zuspitzte.
Deutschland im Ländervergleich: Regulierungsdichte und Energiepreise als Zünglein an der Waage
Dies verdeutlicht, wie dringend Deutschland reagieren muss – ist die Industrieabwanderung nicht nur ein Signal für lokale politische oder wirtschaftliche Missstände, sondern auch ein Indikator für Deutschlands Rolle in der veränderten Weltwirtschaftsordnung. Während die USA und Asien ihre jeweiligen Vorteile ausspielen, kämpft Deutschland mit strukturellen Schwächen.
Die USA sichern sich durch niedrigere Energiekosten einen Wettbewerbsvorteil, und Asien lockt mit fortschrittlichen Infrastrukturen, einem flexibleren Arbeitsmarkt sowie einem großen Angebot an Fachkräften. Deutschland steht diesen Entwicklungen mit hohen Energiepreisen, starren Arbeitsgesetzen und einem Mangel an Fachkräften gegenüber. Diese Maßnahmen anderer Länder, genauso wie niedrigere Steuern für Unternehmen oder bessere digitale und verkehrliche Infrastrukturen, schaffen ein Umfeld, das Unternehmen anzieht – ein Umfeld, das Deutschland derzeit so nicht bieten kann.
Diese internationalen Bedingungen sind es, die deutsche Unternehmen dazu bewegen, ihren Standort zu verlagern, was wiederum gravierende Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt und das Expertenwissen nach sich zieht und die Steuereinnahmen schwächt. Die Innovationsdynamik und globale Wettbewerbsposition Deutschlands drohen zu erodieren, was die langfristige wirtschaftliche Vormachtstellung innerhalb Europas gefährdet.
Wende in der Wirtschaftspolitik: DIHK und VDMA fordern entschlossenes Handeln
Angesichts der angespannten Lage der deutschen Wirtschaft, die im Jahr 2023 um 0,4 Prozent schrumpfte, plädieren sowohl der DIHK als auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) für entschlossenes Handeln. Sie unterstreichen die Bedeutung einer Politik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland revitalisiert.
Peter Adrian, Präsident des DIHK, appelliert an die Bundesregierung: „Arbeiten Sie bitte daran, dass unsere Unternehmen wieder verlässliche und vernünftige Rahmenbedingungen bekommen."
Die Verbände fordern ein Paket an Reformen, um Abhilfe zu schaffen: Die Senkung der Energiekosten, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die Vereinfachung des Steuerrechts sowie eine agile Zuwanderungspolitik und die Integration älterer Arbeitskräfte. Eine Modernisierung der digitalen und verkehrstechnischen Infrastruktur ist ebenso unerlässlich wie die Rückkehr zu mehr unternehmerischer Freiheit – im Sinne einer lebendigen sozialen Marktwirtschaft.
Karl Haeusgen vom VDMA sieht insbesondere im neuen Europäische Lieferkettengesetz eine Gefahr, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sollte der Entwurf des Parlaments umgesetzt werden, würde dies eine weitreichende Überwachung der Lieferanten und ihrer Kunden nach sich ziehen. Haeusgen hält es für unrealistisch, von Unternehmen zu erwarten, dass sie ihren Kunden Vorschriften über den Einsatz von Maschinen machen. Er äußert die Befürchtung, dass das Gesetz insbesondere für KMUs eine unzumutbare Belastung darstellen würde, da diese oft nicht die notwendige Marktmacht haben, um die Anforderungen zu erfüllen.
Wirtschaftsweichen stellen: Deutschlands Kampf um den Status als führender Standort
Fakt ist: Um die Abwanderung von Unternehmen zu stoppen, bedarf es einer umfassenden und vorausschauenden Strategie. Deutschland muss sich den dynamischen globalen Märkten anpassen, um nicht zum Schatten seiner selbst zu werden. Es gilt zu verhindern, dass Deutschland erneut als „der kranke Mann Europas“ bezeichnet wird – eine Etikettierung, die vom „Economist“ zu Beginn des Jahrtausends geprägt und die leider wieder aktuell werden könnte. Die Anpassung an internationale Standards, die Bewältigung des digitalen Wandels und die Positionierung als attraktiver Investitionsstandort sind zentrale Herausforderungen, denen sich die Bundesrepublik stellen muss.
In Anbetracht dieser Situation hat die Bundesregierung ein bedeutendes Maßnahmenpaket geschnürt, um die Wirtschaft anzukurbeln und Innovation sowie ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Der Plan, der steuerliche und investive Anreize von 100 Milliarden Euro sowie einen Klima- und Transformationsfonds von rund 200 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2024 bis 2027 vorsieht, soll insbesondere KMUs unterstützen und die Wirtschaft aus der Stagnation führen. Investitionen in Zukunftstechnologien, die Förderung von KMUs und Start-ups sowie die aktuellen Signale in Richtung einer Unternehmenssteuerreform zeigen, dass die Unterstützung von Unternehmen politisch priorisiert wird.
Diese politischen Initiativen spiegeln teilweise die Forderungen von DIHK und VDMA wider und könnten bei konsequenter und zügiger Umsetzung maßgeblich zur Lösung beitragen. Kritische Stimmen mahnen jedoch zur Wachsamkeit: Die Effektivität muss sich erst in der praktischen Umsetzung und in ihrer Fähigkeit beweisen, die Industrieabwanderung zu stoppen.