Politik

Dauerrezession: DIHK fürchtet historische Krise

Die Industrie- und Handelskammer sieht Deutschlands Zukunft äußerst pessimistisch. Man rechnet auch 2024 mit einer schrumpfenden Wirtschaft – entgegen den Prognosen der Bundesregierung. Die Verbände sind jetzt im Dauerkrisenmodus und drängen die Regierung zum Handeln.
15.02.2024 16:11
Aktualisiert: 15.02.2024 16:11
Lesezeit: 3 min
Dauerrezession: DIHK fürchtet historische Krise
Deutschland steckt seit mehr als sechs Monaten in einer Rezession und die Aussichten bleiben schlecht. (Foto: dpa)

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet in diesem Jahr mit einer erneut schrumpfenden Wirtschaft. Nach der Befragung von mehr als 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen erwartet der Verband ein Minus von 0,5 Prozent. 2023 ging das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,3 Prozent zurück. "Die schlechte Stimmung der Unternehmen verfestigt sich", teilte die DIHK am Donnerstag in Berlin mit.

Größte Wirtschaftskrise seit 20 Jahren

Es wäre erst das zweite Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfen würde. Das letzte und einzige Mal war dies 2002 und 2003 der Fall. Damals reagierte die rot-grüne Regierung mit der "Agenda 2010" - weitreichenden Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen.

Der Verband drängt die Bundesregierung angesichts schlechter Wirtschaftsprognosen zum Handeln. "Die Regierung hat keine bessere Alternative, als voll loszulegen", mahnt DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben. "Die Krise ist da." Es müsse alles getan werden, was zu einem größeren Angebot der Unternehmen führe, ohne gleichzeitig die Inflation anzuheizen. Zumal die Konjunktur durch die starken Zinserhöhungen zur Bekämpfung der hohen Inflation ohnehin gebremst würde.

Als Beispiel nennt er einen deutlichen Abbau der Bürokratie. "Das deutsche Lieferkettengesetz muss jetzt ausgesetzt werden", sagt Wansleben. DasLieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), wie es offiziell heißt, gilt für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Sie müssen unter anderem analysieren, wie groß das Risiko ist, dass sie von Menschenrechtsverstößen wie Zwangsarbeit profitieren, ein Risikomanagement sowie einen Beschwerdemechanismus aufsetzen und öffentlich darüber berichten. Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen laut Gesetz unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen

Schwaches Deutschland-Geschäft, Lichtblicke nur im Ausland

Nicht alles ist schlecht. "Das internationale Geschäft läuft weniger schlecht als befürchtet", erklärt der DIHK-Chef. Teilweise seien sogar zarte Lichtblicke zu beobachten. Das Problem liege in Deutschland. Fast drei von fünf Unternehmen (57 Prozent) sähen mittlerweile in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein Geschäftsrisiko. "Das ist ein besorgniserregender Höchstwert in unseren Befragungen." Im Frühsommer 2023 waren es nur 43 Prozent.

Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP will laut Finanzminister Christian Lindner bis zum Frühjahr ein Konzept zur Stärkung des heimischen Wirtschaftsstandorts vorlegen. Dies solle vermutlich synchronisiert werden mit den Gesprächen über den Haushaltsentwurf für 2025, der im Sommer präsentiert werden soll. Sowohl FDP-Chef Lindner als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatten Deutschland als Standort zuletzt als nicht mehr wettbewerbsfähig bezeichnet.

"Wenn wir nichts tun, wird unser Land zurückfallen. Dann wird Deutschland ärmer“, so Lindner. Die Grünen plädieren für ein über Schulden finanziertes Sondervermögen für Investitionen, während die FDP auf Steuererleichterungen und Bürokratieabbau setzt.

In der Umfrage der DIHK verwiesen besonders viele Betriebe auf die allgegenwärtige Bürokratie als Problemzone hin. Als Geschäftsrisiken wurden zudem die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel, die schwache Inlandsnachfrage sowie die hohen Arbeitskosten genannt. Dies geht immer öfter zulasten von Investitionen. 33 Prozent der Betriebe gaben an, ihre Investitionen in Deutschland verringern zu wollen. Nur 24 Prozent planen eine Ausweitung.

Die deutschen Unternehmen blicken laut DIHK-Umfrage nach wie vor pessimistisch in die Zukunft. Mit 35 Prozent geht mehr als ein Drittel der Betriebe von einer Verschlechterung in den kommenden zwölf Monaten aus. 14 Prozent rechnen mit Besserung. Die aktuelle Geschäftslage bezeichnen allerdings 29 Prozent der Betriebe als gut und 22 Prozent als schlecht. Insgesamt werde der Negativtrend aber anhalten, so die DIHK.

Wirtschaftsverbände im Alarmmodus: Standort ist in Gefahr

Zuletzt häufen sich die Warnrufe der deutschen Wirtschaftsverbände. So haben etwa die ostdeutschen Industrie- und Handelskammen einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfasst. Die regionale Wirtschaft stecke "in einem sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus" und Ostdeutschland drohe zu einem ökonomischen "Transitland" zu werden. Zudem hat jüngst die Batterie-Industrie die Bundesregierung scharf kritisiert; Auslöser war die Streichung von Fördergeldern.

Neben Großbritannien ist Deutschland das einzige Industrieland, das sich in einer Rezession befindet. Die DIHK prognostiziert für das Jahr 2024 einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent und ist damit pessimistischer als die Bundesregierung, die ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent erwartet. Die Lage in der Industrie ist prekär und die Auftragseingänge sind zuletzt massiv eingebrochen. Der Output der Chemiebranche befindet sich auf dem Niveau von 1995. Die Stimmung im Mittelstand ist schlecht und der Fachkräftemangel bereitet Sorgen. Unternehmen und Investoren kehren dem Land in Scharen den Rücken. 2022 kam es zu einem Rekordkapitalabfluss (negative Netto-Direktinvestitionen) von 125 Milliarden Euro

Exemplarisch für Deutschlands wirtschaftlichen Niedergang und die schleichende Deindustrialisierung ist die Tatsache, dass das Bundesland Bayern seit 2019 mehr importiert, als es exportiert. Bayern galt lange als Aushängeschild der Exportindustrie und die jahrzehntelang starke Handelsbilanz der Bundesrepublik, die mittlerweile nur noch minimal positiv ist. Der Standort Deutschland und sein Wirtschaftsmodell sind akut gefährdet.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kassenbeiträge 2026: Gesundheitsministerium hält Orientierungswert stabil
10.11.2025

Für das kommende Jahr plant Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, den maßgeblichen Orientierungswert für die Entwicklung der...

DWN
Technologie
Technologie KI-Rechenleistung wächst rasant – Europa bleibt im Rückstand
10.11.2025

Die Rechenkapazitäten für Künstliche Intelligenz in Deutschland und Europa sollen laut einer Bitkom-Studie bis 2030 vervierfacht werden....

DWN
Finanzen
Finanzen Goldreserven: Wie der Ukraine-Krieg eine neue Geldordnung auslöst
10.11.2025

Während der Krieg in der Ukraine weiter tobt, sichern sich Zentralbanken weltweit mit Gold ab – aus Furcht vor Sanktionen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Förderstopp bremst Chinas Autoindustrie – auch deutsche Marken betroffen
10.11.2025

Nach dem Ende staatlicher Subventionen für Autos ist der chinesische Pkw-Markt erstmals seit Monaten leicht rückläufig. Im Oktober...

DWN
Politik
Politik Oberstes Gericht könnte Trumps Zölle kippen: Doch was dann?
10.11.2025

Das Oberste Gericht der USA prüft, ob Donald Trump seine Zölle rechtswidrig verhängt hat. Doch selbst wenn die Richter seine Politik...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fachkräfte von morgen fehlen: Zahl der Azubis in Deutschland sinkt weiter
10.11.2025

Die duale Berufsausbildung in Deutschland steht unter Druck: Immer weniger junge Menschen beginnen eine Lehre, während viele...

DWN
Politik
Politik Wagenknechts Zukunft im BSW: Rückzug aus der Parteispitze
10.11.2025

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht will den Bundesvorsitz ihrer Partei abgeben. Dies teilte die 56-Jährige in Berlin mit. Gleichwohl will sie...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt zieht an: Preise für Wohnungen und Häuser steigen kräftig
10.11.2025

Die Preise für Immobilien in Deutschland steigen wieder spürbar – besonders in den Metropolen. Laut aktuellen Zahlen des Verbands...