Politik

Ukraine-Militärhilfen: Weitere 3,8 Milliarden Euro fordert Verteidigungsminister Pistorius

Lesezeit: 3 min
22.05.2024 06:55
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine geht seit mehr als zwei Jahren ungehindert weiter. Massive tagtägliche Angriffe, wie gerade auf Charkiw, steigern den Rüstungsbedarf ins Unermessliche: Bislang hat die Ampel-Regierung in diesem Jahr 7,1 Milliarden Euro für die Militärhilfe bereitgestellt. Jetzt sollen noch 3,8 Milliarden obendrauf kommen – trotz Schuldenbremse und sinkender Unterstützung der Deutschen
Ukraine-Militärhilfen: Weitere 3,8 Milliarden Euro fordert Verteidigungsminister Pistorius
Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, hat für 2024 weiteren Bedarf bei der Ukraine-Militärhilfe angemeldet. (Foto: dpa)
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Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will einem Medienbericht zufolge die Militärhilfe für die Ukraine noch in diesem Jahr deutlich aufstocken, und zwar anscheinend um 3,8 Milliarden Euro. Im Juni soll dem Parlament die überplanmäßige Genehmigung vorgelegt werden – noch bevor es in die parlamentarische Sommerpause geht.

Finanzchef Christian Lindner signalisiert Zustimmung

Das Finanzministerium von Ressortchef Christian Lindner (FDP) signalisiert generell Zustimmung zu Aufstockung der Hilfe, laut Regierungskreisen. „An Deutschland darf eine Verstärkung der Verteidigung der Ukraine nicht scheitern. Wenn möglich, sollten wir in diesem Jahr weitere Waffen liefern“, hieß es unter Verweis auf sein Ministerium. Eine Aussetzung der Schuldenbremse sei nicht nötig. „Wenn innerhalb der Regierung Konsens hergestellt werden kann, finden wir Wege im laufenden Haushaltsjahr.“ Mit dem Haushaltsposten Militärhilfe bezahlt Deutschland Kriegsgüter, die die Ukraine direkt bei der Industrie einkauft. Außerdem werden damit Nachbestellungen von Waffen finanziert, die die Bundeswehr an die ukrainische Armee abgegeben hat.

Bundeshaushalt: Streit ums knappe Geld

Wenn die Militärausgaben immer weiter steigen, müssen andere Ministerien mehr sparen. Das bedeutet weiterhin Streit um die Verteilung der Gelder für den neuen Haushalt, denn es herrscht große Uneinigkeit darüber, wo gespart werden soll: Mehrere Ministerien (u. a. Entwicklung, Außen, Soziales, Verteidigung) wollen nicht weniger, sondern mehr Geld ausgeben. Dennoch müssen sich Bundeskanzler Scholz (SPD), Vize-Kanzler Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner bis Juli auf einen gemeinsamen Haushalt einigen und das bei weniger Einnahmen: Laut der aktuellen Steuerschätzung wird der Staat im kommenden Jahr 21 Milliarden Euro weniger einnehmen als bisher vorhergesagt. Bis Anfang Juli muss die Regierung entscheiden, wofür sie im Jahr 2025 Geld ausgeben möchte – und wofür nicht. Eine immense Hausforderung in Zeiten knapper Kassen.

Umfrage: Wo Bürger Einsparpotenziale im Bundeshaushalt sehen

Auch lässt die Bereitschaft der Deutschen für mehr finanzielle Unterstützung der Ukraine nach: Im Streit um den Bundeshaushalt sehen die Menschen in Deutschland laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa Einsparpotenzial unter anderem bei der Unterstützung der Ukraine. 40 Prozent der Befragten antworteten entsprechend auf die Frage „Wo sollte die Regierung Ihrer Ansicht nach sparen?“, lautete die Frage. 38 Prozent nannten die Entwicklungshilfe, 36 Prozent meinten den Angaben zufolge, dass beim Bürgergeld gespart werden sollte. Zur Auswahl standen zehn Felder, in denen gespart werden könnte. Mehrfachnennungen waren möglich. Wenige Umfrageteilnehmer wollen demnach in den Bereichen Rente (sechs Prozent), Leistungen für Familien (acht Prozent) und Wirtschaftsförderung (neun Prozent) sparen. Bei Verteidigung und Bundeswehr sind laut Umfrage 16 Prozent für Einsparungen. zehn Prozent der Befragten antworteten, dass die Regierung nicht sparen sollte.

Immer mehr Aufrüstung bei immer weniger Personal

Weitere Einsparungen sind bei der Bundeswehr nicht mehr zu stemmen, denn die Bundeswehr leidet unter chronischer Unterfinanzierung – zumindest, wenn es um die Struktur und Ausstattung der Soldaten geht. Hinzukommen die neue Wehrpflichtdebatte und die andauernden Personalprobleme bei der Bundeswehr. Alleine schon das Koblenzer Beschaffungsamt hat derzeit rund 1000 unbesetzte Stellen. Auf den Schreibtischen der Angestellten türmen sich die zu bewältigenden Aufgaben regelrecht auf. Alleine die Projekte aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen machen Druck, genauso die Organisation für die Unterstützung der Ukraine und die Vorbereitungen für die neue Brigade in Litauen, die 5000 Soldatinnen und Soldaten stark sein soll. Die Beamten des Beschaffungsamt schließen rund 11.000 Aufträge im Jahr ab, über 1600 Projekte muss das Haus zurzeit bearbeiten. „Mehr geht einfach nicht mehr“, sagen sie in Koblenz. Man befinde sich „an der Belastungsgrenze“. Vor allem die für Munition und Panzer zuständige Abteilung Kampf ackert demnach am Limit.

Die Konsequenz: Das Beschaffungsamt der Bundeswehr erlaubt seinen Mitarbeitern vorerst nicht mehr beruflich zur Nato oder der EU zu wechseln. So soll in Zeiten der Personalknappheit eine Abwanderung der Angestellten auf Posten der Nato und der EU verhindert werden. Damit könnte aber auch der Einfluss Deutschland weniger werden. „Deutsche Interessen gehen unter, während der Einfluss von Ländern wie Frankreich und Spanien wächst“, kritisieren Berliner Regierungskreise. Die Personalpolitik im Beschaffungsamt in Koblenz laufe „den Zielen Deutschlands diametral entgegen.“

Bessere Bezahlung, Auslandszuschläge, ein internationales Arbeitsumfeld und dann wohl auch noch weniger Stress. Das sind attraktive Gründe, um über eine Bewerbung bei der EU oder Nato nachzudenken. Aber damit ist zu mindestens in Koblenz erstmal Schluss.

Profitiert Verteidigungsminister Pistorius von der Debatte?

Noch wirkt sich die allmählich nachlassende Bereitschaft der Bevölkerung, die Ukraine mit immer mehr Geld und Waffen zu unterstützen, nicht auf die Beliebtheitswerte des Verteidigungsministers aus. Angesicht wachsender globaler Unruhen, stärkt die ausgerufene „Kriegstüchtigkeit“ Pistorius den Rücken, der bereits intern zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten für die Bundestagswahl 2025 ausgerufen wird. Nordsachsens SPD-Fraktionschef Heiko Wittig sagt: „Sehr viele an der SPD-Basis sagen: Pistorius ist ganz klar unsere Nummer Eins. Mit Pistorius als Kanzlerkandidat habe die SPD die besten Chancen, die Wahl zu gewinnen. Bleibt alles, wie es ist, wird es für die SPD bei der Wahl 2025 ein böses Erwachen geben.“

Das könnte auch für den Bundeshaushalt 2025 gelten und zur bisher größten Bewährungsprobe der Ampel-Koalition werden. Ein Ende der wirtschaftlichen Krise und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sind nicht in Sicht und werden noch Unmengen an Milliarden Euro verschlingen.

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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