Politik

Ukraine-Krieg: So ist die Lage

Lesezeit: 4 min
13.05.2024 14:15
Im Nordosten der Ukraine toben schwere Kämpfe. Die Lage sei „äußerst schwierig“, gesteht Präsident Selenskyj. Er ist zunehmend von westlicher Militärhilfe abhängig, um die Front gegen die russischen Angriffe halten zu können.
Ukraine-Krieg: So ist die Lage
Russland hat im Ukraine-Krieg eine neue Großoffensive gestartet - die ukrainische Frontlinie wackelt. (Foto: dpa)
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Im Ukraine-Krieg liefern sich die ukrainischen Verteidiger und die russischen Invasoren im äußersten Nordosten der Ukraine schwere Kämpfe. Russland hat hier aktuell die Oberhand. Das russische Militär hat am 10. Mai eine neue Großoffensive in der Region Charkiw gestartet. In den vergangenen zwei Tagen hat das russische Verteidigungsministerium dabei die Eroberung von neun Ortschaften vermeldet. Die Truppen hätten ihre taktische Position in der Nähe von vier Ortschaften verbessert, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Dabei handele es sich um Wesele, Neskutschne, Wowtschansk und Lypzi.

„Derzeit hat der Feind taktischen Erfolg“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht in der Nacht zum Montag mit. Nach der Einnahme mehrerer Grenzdörfer laufen nach Angaben des Generalstabs aktuell Kämpfe um die Stadt Wowtschansk, gut fünf Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Das russische Militär setze trotz hoher Verluste bedeutende Kräfte im Kampf um die Stadt ein, heißt es. Die Rede ist von bis zu fünf Bataillonen.

Die russische Offensive in der Region Charkiw erfasse immer mehr Ortschaften, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntagabend in seiner Videoansprache. „Es gibt Dörfer, die sich von einer "Grauzone" in eine Kampfzone verwandelt haben, und die Besatzer versuchen, in einigen von ihnen Fuß zu fassen oder sie einfach zum weiteren Vormarsch zu nutzen“, beschrieb er die Lage. Das russische Militär versuche mit dieser Offensive und mit Vorstößen an anderen Frontabschnitten, die ukrainischen Kräfte auf das Äußerste zu strapazieren.

Vor allem die Lage rund um die Stadt Wowtschansk sei„äußerst schwierig“. Wowtschansk hatte ursprünglich knapp 19 000 Einwohner, von denen nach offiziellen Angaben noch knapp 500 in der unter Dauerfeuer liegenden Stadt ausharrten. Der Ort hat sich inzwischen zum Brennpunkt der aktuellen Kampfhandlungen entwickelt.

Selenskyj sprach auch von ukrainischen Gegenangriffen und erbittertem Widerstand der Streitkräfte seines Landes. „Unsere Aufgabe liegt auf der Hand - wir müssen dem Besatzer so viele Verluste wie möglich zufügen“, sagte er.

Zugleich warnte Selenskyj die ukrainische Bevölkerung vor unnötiger Panik. „Russische Informationsoperationen sind immer die Nahrung für russische Bodenoperationen“, sagte er. „Der Besatzer ernährt sich von Lügen und der daraus resultierenden Angst.“ Deshalb rät er, „sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, nicht der Schlagzeile hinterherzulaufen, jede Meldung zu überprüfen und nach Informationen zu suchen, nicht nach Emotionen oder Gerüchten, und den ukrainischen Verteidigungskräften zu vertrauen.“

Tote und Verletzte bei Artillerie-Angriff auf Wohnhaus in russischer Grenzregion Belgorod

In der an Charkiw grenzenden russischen Grenzregion Belgorod starben am Sonntag mindestens 13 Menschen bei mehreren Angriffen. Zunächst wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus bei einem Angriff schwer beschädigt. Russlands Verteidigungsministerium teilte mit, das Haus sei von herabstürzenden Trümmern einer ukrainischen Totschka-U-Rakete getroffen worden. Unabhängig überprüft werden konnte das zunächst nicht. Im Verlauf der Bergungsarbeiten gab es erneut Raketenalarm. Nach Militärangaben wurden mehrere Flugkörper abgefangen. Allerdings habe es bei diesen neuen Angriffen weitere Opfer gegeben. Die Zahl der Verletzten der diversen Angriffe wurde mit 31 angegeben.

Am Abend wurden auch aus der Region Kursk Angriffe der ukrainischen Streitkräfte gemeldet. Dabei seien mindestens sieben Menschen verletzt worden, teilten die Behörden der Agentur Tass mit. Die in der Nähe der Grenze zur Ukraine liegenden Regionen sind in den vergangenen Monaten wiederholt mit Raketen und Artillerie angegriffen worden.

Moderne Waffensysteme nur bei russischen Elitetruppen

Die Ausrüstung der russischen Streitkräfte in der Ukraine variiert. „Nur Elite-Brigaden wie die Marineinfanterie oder Luftlandetruppen erhalten relativ neue Waffensysteme oder bestenfalls aufgerüstete sowjetische Systeme“, erklärte Iwan Timotschko, Vorsitzender des Reservistenverbands der ukrainischen Bodentruppen. Andere Einheiten kämpfen mit improvisierten Mitteln wie Golf-Karren aus China oder Ural-Lastwagen mit Eisengittern als Schutz.

Aktuell setzen die russischen Streitkräfte hauptsächlich auf Infanterie und versuchen, ihre gepanzerten Fahrzeuge vor allem vor Drohnenangriffen zu schützen. Dabei werden ungewöhnliche Schutzmaßnahmen wie Eisen- oder Blechplatten sowie Nylonnetze eingesetzt.

Selenskyj setzt auf westliche Unterstützung

Trotz erneuten westlichen Rüstungshilfen nach monatelanger Pause leidet die Ukraine weiter unter einem Mangel an Waffen und Munition. Der Munitionsmangel habe den Russen Vorstöße an der Front ermöglicht.

Der ukrainische Präsident äußerte sich letzte Woche besorgt über die zunehmende militärische Bedrohung durch Russland und hob die Bedeutung der Unterstützung seitens des Westens hervor. Er kündigte an, dass die Ukraine mit der Ankunft westlicher Waffen die Initiative an der Front zurückerlangen werde. Auch im Angesicht der schlechten Lage an der Frontlinie bleibt Selenskyj optimistisch. Er fordert energisch westliche Militärhilfe und betont den ukrainischen Willen, der EU beizutreten.

Die Partnerländer verfügten über die Waffensysteme, die die Ukraine dringend brauche, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. Dabei nannte er vor allem Patriot-Flugabwehrsysteme aus US-Produktion und Artilleriegranaten vom Kaliber 155 Millimeter. Im Gespräch mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg bestätigte Selenskyj, dass die ersten versprochenen Waffenlieferungen der USA bereits eingetroffen seien. Nach monatelanger Blockade war es der US-Regierung von Präsident Joe Biden Mitte April gelungen, ein milliardenschweres Hilfspaket durch den Kongress zu bringen.

Neue Militärhilfe aus Deutschland

Deutschland verstärkt seine Unterstützung für die Ukraine durch den Kauf von Raketenartilleriesystemen aus den USA. Verteidigungsminister Boris Pistorius gab bekannt, dass die Bundesregierung die Lieferung von drei weiteren Raketenartilleriesystemen finanziere. Diese Entscheidung stieß auf Kritik seitens Russlands, das die Unterstützung des Westens für die Ukraine als Provokation betrachtet.

Zuvor hatte Deutschland bereits Marder-Schützenpanzern und ein zweites Flugabwehrsystem vom Typ Skynex, knapp 30.000 Schuss Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard sowie Munition für das System Iris-T geliefert. Weiter wurden 7500 Artilleriegranaten 155, Munition für den Kampfpanzer Leopard 2 und 3000 Panzerabwehrhandwaffen geliefert. Die ukrainische Armee erhielt auch einen weiteren Brückenlegepanzer Biber, einen Pionierpanzer, neun Minenräumpflüge sowie neun Schwerlastsattelzüge M1070 Oshkosh.

US-Außenminister: Ukraine kann Linien halten

US-Außenminister Antony Blinken gab sich in einem Interview des Senders CBS überzeugt, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Stellungen bei Charkiw halten würden. Auch an anderen Fronten werde sich die Ukraine der russischen Aggression erfolgreich entgegenstellen. Auch blieben die USA an der Seite der Ukraine, ebenso wie über 50 andere Staaten, die das Land unterstützten. „Das wird auch so bleiben, und wenn Putin denkt, dass er die Ukraine und ihre Unterstützer überdauern wird, dann irrt er sich.“

Unterdessen trifft sich Bundeskanzler Olaf Scholz sich am Montag in Schweden mit den Regierungschefs von Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherheitslage in Europa und die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland.


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