Politik

Reich und Arm: Die Unterschiede werden größer in Deutschland

Lesezeit: 7 min
30.05.2024 17:20
Erst die Corona-Pandemie, dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Beides nicht nur unerfreulich an sich, sondern auch zwei weitere Gründe dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich derzeit in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Das sagt Jens Berger, Autor des Buches „Wem gehört Deutschland?“ Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
 Reich und Arm: Die Unterschiede werden größer in Deutschland
Jens Berger erläutert wie Corona- und Ukrainekrise die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern (Foto: dpa).
Foto: Henning Kaiser

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DWN: „Wem gehört Deutschland?“ heißt Ihr neues Buch. Interessante Frage. Wem gehört es denn nun?

Jens Berger: Das lässt sich natürlich nur statistisch beantworten. Land, Immobilien, Unternehmen, Geldvermögen und alles, dem man einen Wert zuschreiben kann, gehören am Ende der Kette Menschen. Es ist ja kein großes Geheimnis, dass der Besitz sehr ungleich verteilt ist. Fast die Hälfte des Volksvermögens gehört in Deutschland den Milliardären und Millionären. Den obersten 25% der Gesellschaft gehören zusammengenommen 89% des Landes. Selbst wenn man die obere Mittelschicht hinzu zählt, gehören der breiten Mehrheit also nur 11% des Landes. Die gesamte untere Hälfte kommt übrigens zusammen nur auf 1,1%. Im Buch geht es mir aber nicht nur darum, aufzuzeigen, wie ungleich das Volksvermögen verteilt ist, sondern auch zu erklären, was die Gründe dafür sind und wie und warum man die Spreizung der Vermögensschere zumindest verlangsamen, besser noch umkehren kann.

DWN: Auf dem Cover des Buches prangt auch ein Sticker. Auf dem steht: Schwerpunkt: Die Kriegs-& Krisengewinnler. Wer wären diese?

Jens Berger: Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, so kann man zwei große Krisen ausmachen, die dann durch die Reaktionen der Politik zu vielen Einzelkrisen wurden. Da war zunächst die Corona-Krise oder besser Corona-Maßnahmenkrise, da nicht das Virus selbst, sondern die Antwort der Politik auf die Pandemie schwerwiegende volkswirtschaftliche Folgen hatte. Es fand eine weitere Umverteilung von unten nach oben statt. Benachteiligt waren hierbei vor allem Gewerbetreibende und Kleinunternehmer sowie Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen standen und nicht durch Schutzmaßnahmen wie das Kurzarbeitergeld oder Mittel aus den diversen Schutzschirmen abgefedert werden konnten. Gewinner waren Großkonzerne, die während der Lockdowns ihren Umsatz und ihre Gewinne in teils sagenhaftem Maße steigern konnten, und natürlich deren Aktionäre.

Kaum waren die volkswirtschaftlichen Verwerfungen durch die Coronamaßnahmen halbwegs eingefangen, kamen die Sanktionen gegen Russland und die sogenannte Zeitenwende, die ökonomisch einer massiven Umleitung von Mitteln aus dem Sozialbudget und den Fördertöpfen der Wirtschaftspolitik in die Rüstung mit sich brachte. Die Sanktionen lösten einen gewaltigen Preisschock aus, unter dem vor allem die Unter- und mehr noch die Mittelschicht bis heute leidet. Auch hier waren und sind es vor allem die Aktionäre bestimmter Großkonzerne, die auf der anderen Seite zu den Profiteuren gehörten. Nicht nur Rüstungskonzerne, sondern auch und vor allem Energiekonzerne gehörten zu den ganz großen Gewinnern der Sanktionspolitik und konnten oft historische Gewinne vermelden, die dann als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet wurden.

DWN: Das Buch ist eine überarbeitete Neuauflage eines Spiegel-Bestsellers. Gab es in den letzten zehn Jahren fundamentale und entscheidende Veränderungen?

Jens Berger: Zunächst sah es in der Tat so aus, als hätte die Dynamik der Umverteilung von unten nach oben abgenommen. Das war aber nur ein kurzer Trend, der sich spätestens seit Ende der 2010er Jahre wieder umkehrte. Das werden übrigens viele von uns noch nicht einmal in dieser Form mitbekommen haben, da die Konjunktur bis zur Corona-Zeit ja recht stabil war. Bei der Bemessung von Vermögen geht es jedoch vor allem um nackte Zahlen. Das Vermögen der Wohlhabenden, Reichen und Superreichen besteht vor allem aus nicht selbstgenutzten Immobilien und Unternehmensbeteiligungen, darunter auch der Aktienbesitz. Während sich für die breite Mehrheit der Bevölkerung in diesen „guten“ Jahren nicht viel zum Schlechteren aber auch nicht viel zum Besseren verändert hat, hatten wir signifikante Preissteigerungen bei Anlagegütern, die sogenannte „Asset inflation“. Wenn nun Immobilien, Land, Aktien und Unternehmen an Wert gewinnen, werden natürlich vor allem diejenigen reicher, denen diese Dinge gehören. Während die breite Mehrheit also aus Vermögenssicht vor sich hin dümpelte, wurden die Reichen mit einer immer größeren Dynamik reicher. Letzteres setzte sich in den noch jungen 2020er-Jahren fort, die Vermögen der breiten Maße schrumpften jetzt jedoch, was die Spreizung der Schere abermals forcierte.

DWN: Die Schere zwischen Reich und Arm geht also immer weiter auseinander. Findet dies - Im Schatten der Corona- und jetzt der Ukrainekrise - zu wenig Beachtung?

Jens Berger: Absolut. Diese großen Themen dominieren ja seit Jahren nicht nur den politischen, sondern auch den medialen Diskurs. Und auch die kritische Gegenöffentlichkeit muss sich diesen Schuh anziehen. Wenn mal gerade nicht über Corona, Krieg und Frieden gestritten wird, wenden wir uns lieber abseitigen Themen wie der gesamten identitätspolitischen Debatte zu, als dass wir die sozioökonomische Schieflage thematisieren. Das ist wirklich erstaunlich, da zumindest die gestiegenen Preise doch sicher jeden betreffen und jeder die Auswirkungen in seinem eigenen Portemonnaie spürt. Vielleicht haben wir uns aber auch bei diesem Thema bereits in eine Duldungsstarre begeben, da wir nicht mehr daran glauben, daran überhaupt etwas ändern zu können. Und hier gibt uns die jüngere Geschichte ja sogar Recht. In Berlin gab es ja einen Volksentscheid zur Enteignung der großen Wohnkonzerne. Was folgte daraus? Nichts. Und ich habe nicht den Eindruck, dass das die Berliner wirklich stören würde. Man streitet sich nun halt über andere Themen.

DWN: Ist diese Entwicklung systemimmanent. Oder ließe sich ihr entgegenwirken. Und falls ja: wie?

Jens Berger: Ohne ein Korrektiv ist die Entwicklung in der Tat systemimmanent. Nehmen wir den Mietmarkt. Dass beim Vermieten einer Wohnung eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet, ist ja offensichtlich und per se in einem marktwirtschaftlichen System auch durchaus so gewollt. Das große Problem ist weniger die Ungleichheit an sich, sondern die mangelnden Chancen für die breite Mehrheit überhaupt Vermögen aufzubauen. Ich möchte betonen, dass ich mir auch in meinem Buch größte Mühe gebe, keine Neiddebatte zu führen. Mit Neid auf „die da oben“ hat es aber nichts zu tun, wenn es beispielsweise einem normalen Facharbeiter oder Angestellten heute in den Metropolregionen gar nicht mehr realistisch möglich ist, Wohneigentum zu erwerben. Das fängt bei den Ausgaben des täglichen Bedarfs an, geht über die oft viel zu hohen Mieten bis zu den Preisen für Wohneigentum und dem Zugang zu Krediten. Hier könnte man auf allen Seiten korrigieren. Aber da wird es dann kompliziert. Bis zu diesem Punkt wird mir sicher auch ein Großteil ihrer Leser zustimmen. Wenn es um die konkreten Handlungsschritte geht, die Chancen auf Vermögenswachstum breiter zu fächern, scheiden sich jedoch schnell die Geister.

Doch ohne über das Steuersystem von oben abzuschöpfen, wird es nicht gehen. Eine Vermögenssteuer ist für mich alternativlos. Aber eine höhere Besteuerung der Vermögenden ist natürlich kein Selbstzweck, sondern sollte dann auf der anderen Seite eingesetzt werden, um der unteren Hälfte der Vermögensverteilung bessere Chancen zu geben. Wichtig wären beispielsweise massive Ausgaben für Bildung - gerade für Kinder aus den Familien, die nicht wohlhabend sind. Bildung ist kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg. Aber ohne Bildung gibt es auch keinen wirtschaftlichen Erfolg, außer man ist Rapper oder Spitzensportler. Ein weiterer Kernpunkt ist die Förderung des Erwerbs von Wohneigentum. Die eigenen vier Wände sind immer noch die entscheidende Säule für die Vermögensbildung der Mittelschicht. Dass sich immer weniger hart arbeitende Menschen ihre eigenen vier Wände leisten können, ist nicht nur eine Schande, sondern auch einer der wichtigsten Faktoren für die Spreizung der Vermögensschere.

DWN: Also lieber mehr Butter und weniger Kanonen?

Jens Berger: So könnte man es durchaus sagen. Investitionen sind ja immer für die Zukunft gedacht. Hinzu kommt, dass derartige Inventionen auch volkswirtschaftlich sinnvoll wären. Ein gut ausgebildeter junger Mensch verdient ja in der Regel nicht nur mehr Geld, sondern erzielt auch eine höhere Produktivität. Die ganze Volkswirtschaft würde davon profitieren. Vergessen sollte man auch nicht die Binnennachfrage. Wer mehr Geld ausgeben kann, tut dies ja in der Regel auch und davon profitieren wiederum lokale und regionale Betriebe - vor allem aus den Bereichen Gastronomie und auch dem Handwerk. Man sollte diese Investitionen daher auch als Initialzündung eines Konjunkturprogramms verstehen. Momentan haben wir ja den Gegenentwurf. Die Wertschöpfung findet woanders statt, Arbeitsplätze entstehen bei Amazon oder den privaten Paketdienstleistern während vor allem in den Regionen die Innenstädte aussterben. Warum? Das liegt sicher auch daran, dass sich kaum mehr wehr die dort angebotenen Produkte und Dienstleistungen leisten kann oder will.

DWN: Und was ist mit dem Diktat der leeren Kassen“? Wie groß ist denn noch der Spielraum für staatliche Investitionen?

Jens Berger: Ach, der ist unbegrenzt, solange es sich um Investitionen handelt. Dieses „Diktat“ wird ja ohnehin immer nur dann bemüht, wenn es um Ausgaben geht, die nicht den großen Konzernen zu Gute kommen. Hier sollten wir schleunigst umdenken. Und selbst wenn man die Neuverschuldung drosseln will, bliebe ja noch die Möglichkeit, gezielt an der Steuerschraube zu drehen und sich die nötigen Mittel zu beschaffen. Stattdessen verzichten wir auf eine Vermögenssteuer und sorgen über Ausnahmeregelungen dafür, dass große Vermögen de facto nahezu von der Erbschaftssteuer befreit sind.

DWN: Kritiker könnten Ihnen entgegenhalten, dass maximale wirtschaftliche Freiheit - und damit auch niedrige Steuern - die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Wohlstand überhaupt entstehen kann. Was entgegnen Sie denen?

Jens Berger: Nun ja, diese Theorie ist von den Wirtschaftswissenschaften ja längst widerlegt. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Das kann am empirisch sowohl für Deutschland als auch für andere Staaten wie die USA belegen. Aber auch abseits der reinen volkswirtschaftlichen Lehre ist dieser Satz natürlich mehr als fragwürdig. Die Freiheit des Einen bedingt nun einmal oft die Unfreiheit des Anderen. Wichtig ist es, einen Kompromiss zu finden, der im Sinne der gesamten Gesellschaft ist. Eine Maximierung der individuellen Freiheit ist doch auch in anderen Bereichen gesellschaftlich nicht toleriert. Nehmen wir beispielsweise das Verbot von Alkohol am Steuer. Das beschneidet meine Freiheit, aber es käme wohl niemand auf die Idee, die individuelle Freiheit, mit zwei Promille durch die Gegend zu rasen, ernsthaft für erstrebenswert zu halten. Hier gibt es einen Konsens, das individuelle Freiheiten der Gemeinschaft eher schaden als nutzen. Bei den individuellen Freiheiten im ökonomischen Bereich ist das wundersamerweise nicht so. Wahrscheinlich fehlt hier das Verständnis für die Zusammenhänge und wenn mein Buch etwas dazu beitragen könnte, dieses Verständnis zu vergrößern, wäre schon viel gewonnen.

Info zur Person: Jens Berger ist Journalist, politischer Blogger der ersten Stunde und Chefredakteur der NachDenkSeiten. Er befasst sich mit und kommentiert sozial-, wirtschafts- und finanzpolitische Themen. Berger ist Autor mehrerer Sachbücher, etwa Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen? (2020) und des Spiegel-Bestsellers Wem gehört Deutschland? (2014).


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