Weltwirtschaft

Fertigung und Freihandel: Mexiko hat gewählt und wappnet sich für die Zukunft

Lesezeit: 10 min
05.06.2024 06:22
Mexico hat über 130 Millionen Einwohner und zählt zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Jetzt hat das Land erstmals eine Präsidentin gewählt, die den konsequenten Freihandelskurs ihres Landes fortsetzen will, aber gleichzeitig das dringendste Problem attackieren muss: Kriminalität und Drogenkartelle. Deutsche Firmen bilden das Fundament des Wandels in Mittelamerika. Die DWN berichten, wo deutsche Investoren Chancen haben.
Fertigung und Freihandel: Mexiko hat gewählt und wappnet sich für die Zukunft
Claudia Sheinbaum, mexikanische Klimawissenschaftlerin und ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, gestikuliert während einer Festveranstaltung. Die linke Regierungskandidatin hat souverän die Wahl gewonnen und wird erste Präsidentin ihres Landes. (Fotos: dpa)
Foto: Francisco Canedo

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Mit Feuerwerk und traditioneller Mariachi-Musik hat Mexiko auf dem Zócalo, der Plaza de la Constitución, inmitten der Hauptstadt den Wahlsieg Claudia Sheinbaums gefeiert. In Mexiko City ist man besonders stolz auf die neue Präsidentin des mittelamerikanischen Staates, immerhin war sie seit 2018 Bürgermeisterin der im Hochland in einem Becken gelegenen Mega-Metropole mit fast zehn Millionen Einwohnern. Dort hat sie sich den Respekt und das Vertrauen erarbeitet, das der Wissenschaftlerin jetzt einen überwältigenden Wahlsieg von fast 60 Prozent Zustimmung beschert hat.

Bemerkenswert: Sheinbaums jüdisch-europäische Wurzeln ihrer aus Litauen und Bulgarien stammenden und als Wissenschaftler eingewanderten Eltern sind nie Thema gewesen im tief-katholischen Mexiko. Schon das zeigt, wie groß ihre Unterstützung ist - vor allem bei den Frauen und Müttern im Lande.

Nach Mexiko-Wahl: Gewalt stoppen, ist die große Herausforderung

„La Doctora", wie sie alle im Land ehrfurchtsvoll nennen, soll das Land von einer tödlichen Krankheit kurieren. Sheinbaum muss endlich die erbarmungslose Gewaltspirale und überbordende Kriminalität stoppen, deren Kern die Drogen-Kartelle und die korrupten Strukturen in den Städten und manchen der 32 Bundesstaaten bilden. Es ist nichts weniger als eine wütende giftige Schlange, die die Politikerin der Linkspartei mindestens zurückzudrängen hat. Selbst während des Wahlkampfes wütete die Gewalt und übertönte jegliches politische Argument - mindestens 34 Kandidaten bei den verschiedenen parallelen Kommunal- und Regionalwahlen wurden in Mexiko getötet.

„Ich werde Mexiko auf den Weg des Friedens, der Sicherheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit führen. Ich verspreche euch, ich werde mit Demut und Verantwortungsbewusstsein regieren", versprach die 61-Jährige gleich im Anschluss an ihren Wahlsieg. Sheinbaums Rivalen von der Opposition räumten ihre Niederlage ein und gratulierten stante pede. Xóchitl Gálvez, Kandidatin der drei größten Oppositionsparteien, landete den vorläufigen Ergebnissen zufolge mit 28 Prozent auf Platz zwei. Jorge Álvarez von der kleineren Mitte-Links-Partei Movimiento Ciudadano kommt auf zehn Prozent. Das amtliche Endergebnis soll Mittwoch vorliegen.

Sheinbaums sechsjährige Amtszeit wird am 1. Oktober beginnen. Dass ihr Vorgänger Andrés Manuel López Obrador die Macht loslässt, gilt als sicher. Mexiko ist eine seit Jahrzehnten gewachsene, stabile Demokratie, die obendrein wirtschaftlich ganz erheblich gewonnen hat, seitdem Mexiko mit USA und Kanada eine gemeinsame Freihandelszone (in Kraft seit 1994) bildet. Es ist gewissermaßen nur die Kehrseite des konsequenten Laissez-faire, dass das Land seit seiner teilweisen Staatspleite anno 1982 ökonomisch verfolgt, um das Land sukzessive aus Armut und wirtschaftlichen Krisen herauszuführen. Die mafiösen Strukturen und die labile Sicherheitslage sind der teure Preis, dass Mexiko mit Volldampf den Regeln des Kapitalismus Folge leistet - und zwar anders, als es die USA und neuerdings Argentinien praktizieren.

Sheinbaums linke Morena-Partei verspricht soziale Verbesserungen

Die Morena-Partei Sheinbaums repräsentiert tatsächlich eine Art von Sozialdemokratie, die durchaus die Armen und einen ausgeprägten Sozialgedanken im Blick hat. So war es auch bereits unter Staatschef Lopéz Obrador, der als Mentor und Ziehvater Sheinbaums gilt und sie im Wahlkampf unterstützte. Sein Problem war, dass er einen zweifelhaften Umgang mit den Kartellen und ihren Clanbossen wie dem berüchtigten Joaquin „El Chapo" (Der Kurze) Guzmán pflegte - und nach sechs Jahren nicht erneut antreten durfte. Sheinbaum verspricht mehr höhere Sozialleistungen und eine „Kontinuität mit eigener Handschrift". Die will freilich erst mal verdient - und bezahlt werden.

Weshalb es entschieden darauf ankommen wird, wie sich das Verhältnis zu den USA entwickelt. Für eine Zusammenarbeit mit Joe Biden in dessen aktueller Amtszeit ist es leider zu spät - am Grenzzaun der beiden Länder hätten beide Staatschef davon profitieren können, wenn Sheinbaum ihren Worten Taten folgen lässt und den Fentanyl-Schmuggel der Kartelle in die USA zu stoppen versucht. Das hat zwar auch Lopéz Obrador versucht, womöglich hat Sheinbaum als Frau aber tatsächlich andere Mittel und Wege (und die Unterstützung der Mujeres), um spürbare Verbesserungen zu erzielen. Die künstliche Droge gilt als 50 mal schlimmer als Heroin und tötete zig Tausende in den USA.

Im Kampf gegen die grassierende Drogenkriminalität wird La nueva Presidenta auf die Streitkräfte setzen, wo doch der örtlichen Polizei teils nicht zu trauen ist, wie zum Beispiel im einstigen Badeort des Jetsets, Acapulco, wo Soldaten die Straßen patrouillieren und die gesamte Polizei vor Jahren wegen Korruptionsvorwürfen gefeuert wurde. Das verfassungstreue Militär gilt als stabilisierender Faktor - und ist damit nicht mit Staaten wie China oder der Türkei vergleichbar.

Wo deutsche Influencer - tanzend am Strand - Corona entfliehen konnten

Wie die Amts-Anwärterin mit Donald Trump klarkommt, sollte der noch einmal gewinnen, ist indessen sehr zweifelhaft. Da geht es Sheinbaum wie den Deutschen: Auch sie muss befürchten, dass die USA unter Trump die Schrauben am Free-Trade-Agreement anzieht, um chinesischen (und womöglich sogar deutschen) Firmen den freien Zugang zu den US-Verbrauchern zu erschweren. Dies gilt natürlich in allererster Linie für die Automobilwirtschaft.

Der chinesische Hersteller BYD will es nämlich VW gleichtun, und Mexiko als Sprungbrett in den US-Markt nutzen. Gut möglich, dass die deutschen Automobil-Konzerne und Zulieferer bei diesem Bestreben zum Kollateralschaden werden. Was aber, wohlgemerkt, nicht von Mexiko ausgeht, sondern eher die Folge eines Domino-Effekts wäre. Selbst die Niederlassung deutscher Unternehmen und die Ansiedlung von Bundesbürgern in Mexiko gilt als vergleichsweise unkompliziert. In den Corona-Jahren war Mexiko eines der wenigen Staaten der Welt mit Open-door-Policy. Die deutsche Jugend hat die Pandemie an der Karibik in Cancun und vor allem vor der Strand-Pyramide in Tulum weggetanzt.

Auch aus Deutschland trafen Glückwünsche ein. „Wir freuen uns darauf, die Beziehungen in allen Bereichen auszubauen und freuen uns darauf, das mit der neuen mexikanischen Regierung gemeinsam zu gestalten", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.

Über die Gringos aus den USA schimpfen - und die Alemanes verklären

Bei uns in den Industriekammern und Unternehmen wird man sehr froh sein, dass es für die deutsche Wirtschaft in Mexiko in den bestehenden Bahnen weitergehen dürfte. Mexiko ist die zwölftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Zahlreiche ausländische Unternehmen produzieren ihre Waren in dem Land, um sie weitgehend zollfrei in die USA zu exportieren. Deutschland gilt vielen Mexikanern als der gütige Patenonkel im fernen Europa. Spanien mag zwar den Stammbaum des Landes bestimmt haben und die USA die Nachbarschaft.

Die deutsche Wirtschaft aus Volkswagen, Siemens und ZF Friedrichshafen, um nur einige Größen zu nennen, hat freilich die Fundamente für Mexiko als die neue Fertigungskette für Nordamerika gelegt. Auch Bosch ist schon seit 1955 in Mexiko vertreten und beschäftigt heute an über 14 Standorten mehr als 17.200 Mitarbeitende. 1964 kam Volkswagen, die ZF-Gruppe hat sich seit 1965 kontinuierlich in Mexiko vergrößert und ist heute mit 16 Werken und mehr als 25.000 Mitarbeitenden gleich in verschiedenen Bundesstaaten des Landes tätig.

Wo weiße VW-Käfer als Taxis die Berge der Silberstadt Taixco erklimmen

Mit rund 3,1 Millionen produzierten Autos im Jahr 2021 lag Mexiko nur knapp hinter Deutschland und damit auf Rang sieben der größten Fahrzeugbauer weltweit. Das wissen die Bürger größtenteils, die liebend gern über die Gringos schimpfen und die Deutschen derweil manchmal geradezu verklären. Selbst der heilige Vocho, der alte VW-Käfer, wird immer noch verehrt und beispielsweise in der Silberstadt Taixco im Bundesstaat Guerrero als Taxi des idyllischen Bergdorfes in Ehren gehalten.

Die Dankbarkeit ist besonders ausgeprägt, wie man jederzeit etwa in der Industriestadt Puebla, südöstlich von Mexiko-Stadt spürt, dem Hauptsitz von Volkswagen de Mexico. Oder in der gleichnamigen Provinzhauptstadt von Oaxaca, wo das Technische Hilfswerk vor einigen Jahren bei der Erdbebenhilfe Punkte sammeln und eine fantastischen Ruf als Krisenmanager genießt. Selbst in der Grenzstadt Ciudad Juarez an der mexikanisch-texanischen Grenze ist Alemania den Arbeitern längst ein Begriff, seitdem ZF Friedrichshafen dort im vergangenen Jahr im Rio-Grande-Tal für194 Millionen Dollar ein neue Inverter-Fabrikation errichtet hat, um die Hersteller von Elektrofahrzeugen zu beliefern.

Wo die neuen Chancen für deutsche Firmen liegen - im Umweltschutz

Und auch neue Möglichkeiten tun sich auf. Sheinbaum wird fortschrittlich auf das Thema Energiewende und Klimaschutz setzen. López Obrador hatte die als in Detaillösungen verliebte Technokratin bereits im Jahr 2000 in Mexiko-Stadt als Umweltministerin in sein Kabinett geholt. Sheinbaum ist Physikerin und hat in Energietechnik promoviert - sie könnte tatsächlich eine Angela Merkel Mexikos werden, in dieser Hinsicht. So wird im strukturschwachen Süden am Isthmus von Tehuantepec schon heute voll auf erneuerbare Energien gesetzt und dort in der Region Oaxaca der Ausbau von Windparks gefördert. Der Streifen Mexikos gilt er als einer der windigsten Orte der Erde.

Die flache Landenge zwischen Pazifik und dem östlichen Golf von Mexiko wird von zwei Gebirgsketten begrenzt und bildet so ein natürlichen Windkanal - der perfekte Ort für Windkraftanlagen. Mexiko ist einer der 15 größten CO2-Emittenten der Welt. Das Land hat sich verpflichtet, bald schon nur noch 35 Prozent seiner Elektrizität aus sauberer Energie zu erzeugen. Seit Reformen 2013 den Bereich für private Investitionen geöffnet haben, stoßen erneuerbare Energien bei Geldgebern auf reges Interesse. Sowohl Solar - als auch Windsektor verzeichnen ein Rekordwachstum. Ein weites Feld für deutsche Ingenieure.

Insgesamt 32 Bundesstaaten, mal von Wüste geprägt wie die Provinz Chihuahua im Norden und der Regenwald im südlichen Chiapas – Mexiko ist ein Land großer Bio-Diversität und sozialer Ungleichheit. Ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Armut - immer noch! Obwohl Mexiko mit der staatseigenen Firma Pemex zu den größten Ölproduzenten des amerikanischen Kontinents gehört. Die unterschiedlichen Lebens- und Wirtschaftsbedingungen bedingen auch die extrem unterschiedlichen wirtschaftlichen Strukturen im Land. Der Norden um Monterrey, im zentralen Bajío und der gut 29 Miilionern Menschen umfassenden Hauptstadt-Region gelten als wohlhabend und kennen tatsächlich einen soliden Mittelstand, wie die EU-Staaten oder die USA. Im Distrito federal essen die Urban Professionals auch schon in teuren Sterne-Restaurants und reisen zum Zeitvertreib an die Pazifikstrände von Badeorten wie Cabo San Lucas, Mazatlán und Puerto Vallarta. Selbst Acapulco erlebt allmählich eine Renaissance und könnte an die verblassten 7oer-Jahre anknüpfen.

Aufstieg in der Freihandelszone: Fertigungsstraßen für nordamerikanischen Kontinent

Von der Hauptstadt mit Billig-Airlines wie Viva Aerobus zu jetten, erinnert an Europa um 20 Jahren als die Generation Easyjet das neue Europa begründete. In Mexiko ist das ähnlich - dort fliegt man günstig nach Tijuana und könnte zu Fuß im Airport durch die Grenzkontrolle zum Ausgang nach San Diego in Kalifornien schlendern - ganz easy und entspannt. Oder zum Zocken direkt nach Las Vegas fliegen.

Wenn nur die Schere zwischen Reich und Arm nicht so extrem auseinanderklaffen würde, das sich die USA glauben, vor den Mexikanern schützen zu müssen, wo doch die meisten Illegalen aus weit südlicheren Gefilden stammen - aus El Salvador, Guatemala, Honduras oder dem klammen Venezuela (sowie neuerdings aus Asien). So mancher der Tausenden von Wirtschaftsflüchtlingen, der es nicht in die USA über Trumps Grenzzaun geschafft hat, dürfte sich längst in Mexiko eingerichtet und niedergelassen haben.

Die willigen und recht gut ausgebildeten Arbeitskräfte und seine geographische Lage haben Mexiko jedenfalls längst zum idealen Fertigungsort für Nordamerika heranwachsen lassen. Zahlreiche multinationale Unternehmen nutzen die Rahmenbedingungen und gute Infrastruktur im Norden und der Mitte des Landes für Produktions- und Fertigungsstätten. Hauptexportgüter sind Fahrzeugteile und elektrische Maschinen-Bauteile. 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA - nach China und Deutschland sind es bestenfalls zwei Prozent.

Ideale Bedingungen auch für deutsche Unternehmen, die freie Bahn haben in einem G-20-Land (mit mittlerweile 1,25 Billionen großem Bruttoinlandsprodukt) mit halbwegs akzeptabler Rechtssicherheit und funktionierender Verwaltung. Die Abschwächung des internationalen Wachstums seit Corona hat freilich Mexiko entsprechend schwer getroffen. Lag die Wachstumsrate in den vergangenen Jahren regelmäßig bei über zwei Prozent, ist sie derzeit auf deutsches Niveau von 0,3% zurückgefallen. Angesichts des anhaltenden Bevölkerungszuwachses steckt Mexiko aktuell immer noch in einer Rezession. Dass die bisherige neoliberalistische Politik in Verruf gebracht hat, führte vorübergehend zu verstärkter Kritik an der Privatwirtschaft als Ursprung der sozialen Ungleichheit im Lande. Inzwischen ist Mexikos Botschafter José Quiroga Fernández aber wieder überall in Deutschland gefragt - das Comeback Mexikos scheint unaufhaltsam.

Bei den Entwicklungen im großen Wettstreit der Systeme zwischen China und den USA deutet vieles daraufhin, dass der Konflikt sich vor Ort in Mexiko manifestieren könnte. Nach den deutschen Unternehmen der vergangenen 50 Jahre drängen nun plötzlich die Chinesen nach Zentralamerika. Das bietet Chancen für den Wirtschaftsstandort, erfordert freilich Finesse und Fortune im Diskurs mit den Handelspartnern USA und Kanada jenseits der Grenze im Norden. Die Entwicklung prestigeträchtiger Großprojekte wie dem neuen Hauptstadtflughafen Santa Lucia, der Eisenbahnverbindung Tren Maya zu den besonders bei Europäern beliebten Urlaubsgebieten auf der Halbinsel Yucatán oder die Raffinerie Dos Bocas in Tabasco könnten tatsächlich zum Rückgrat des neues Aufschwungs werden.

Wo es Mexiko sichtlich besser geht: Neue Dynamik in Regionen Bajío und Guanajuato

Als einer der neuen Hotspots des Landes entwickelt sich inmitten des Zentralplateaus der Bundesstaaten Bajío, Aguascalientes, Guanajuato, Querétaro, Jalisco und San Luis Potosí - sie bilden die Schnittstelle zwischen Nord und Süd mit entsprechend guter infrastruktureller Anbindung. Der Bajío hat sich insbesondere zu einer attraktiven Region für deutsche Investoren entwickelt. Dort herrscht ein sicheres Investitionsklima für in- und ausländische Investoren. Aus- und Fortbildung wird unterstützt, Industrie-Förderung stehen auf der Tagesordnung und sind keine Fremdworte mehr. Hier könnten über kurz oder lang technologische Innovations-Cluster wie in Mitteleuropa entstehen.

Das hat sich auch in Deutschland herumgesprochen, weshalb der mexikanische Botschafter auf Kongressen und Tagungen auf offene Türen und auch Ohren stößt. Nach Angaben der IHK Hannover, die durch die langjährigen Messe-Kontakte zu Mexiko über die besten Informationen über die Lage verfügt, sind 2300 Unternehmen aus der Bundesrepublik aktuell in Mexiko registriert. BMW plant mit 800 Millionen Euro für die Produktion von vollelektrischen Autos in seinem mexikanischen Werk San Luis Potosi. Und die Bewegung nimmt erst so richtig Fahrt auf. „Die Erweiterung des Bosch-Werks in Querétaro, wo vor allem Mobilitätslösungen wie die elektronische Servolenkung (EPS), die über Fahrerassistenz-Funktionen verfügen, hergestellt werden, ist ein weiteres Beispiel für die lebhafte Musik, die in Mexikos Automobilindustrie sicher spielen wird", sagt die Länderreferentin der IHK, Pia-Felicitas Homann, und hat die typische Akkordeon-Musik der Straßenmusiker im Ohr. Das Instrument hatten einst deutsche Auswanderer ins Land gebracht.

„Noch mehr Wumms in den deutsch-mexikanischen Beziehungen haben die Exportzahlen“, ergänzt Homann. „Die deutschen Exporte nach Mexiko haben sich in den vergangenen Jahren merklich erhöht. Lässt man Europa einmal außen vor, präsentiert sich Mexiko gleich nach den USA, China, der Republik Korea und Japan als wichtigster Absatzmarkt für deutsche Unternehmen im Ausland.“ Die Hauptproduktionsbereiche sind Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, Haushaltsgeräte, Lebensmittel- und Agrarindustrie, die Chemieindustrie und das Baugewerbe.

Verschiebungen beim Welthandel: Fertigung aus China nach Mexiko verlagern

Ein weiterer Trumpf, den Mexiko ausspielen kann, ist seine freundschaftliche Rolle in der Weltgemeinschaft - die Stichwörter bzw. Fachbegriffe dafür heißen „Friendshoring“ und „Nearshoring“. Mexiko profitiert davon, dass viele Handelspartner das mittelamerikanische Land für prädestiniert halten, jene Lieferketten zu ersetzen, die in China und an anderen unsicheren Orten der Welt (in Folge von Corona und den militärischen Anspannungen) derzeit weg brechen.

Mexiko mit seiner unmittelbaren Nähe zum Absatzmarkt Nummer 1 in den USA bietet sich da vielen Firmen als möglicher Standort geradezu an. „In den nächsten Jahren werden aber vermutlich auch mehr und mehr junge und dynamische Technologieunternehmen ihren Weg in Mexiko machen“, erwartet Homann. „Mexiko hat mit Hilfe des Staates und privaten Investoren inzwischen ein hervorragendes Ökosystem für Startups aufgebaut.“ Sie verweist auf Städte wie Mexiko-Stadt, León, Mérida, Nuevo Laredo, Querétaro oder Guadalajara mit ihren hervorragenden Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen.

Die Wahl Sheinbaums könnte nun den Run auf Mexiko weiter verstärken. Für die deutsche Wirtschaft bietet sich derzeit kaum ein zweites Land so sehr für Investitionen, An- und Umsiedlungen an wie Mexiko. Es müsste deshalb längst weit mehr die Nachrichten in Deutschland bestimmen als in der Vergangenheit. Dabei gilt es vor allem Vorurteile auszuräumen: Die Berichte über Kriminalität und Verbrechen sind zwar nicht falsch, aber keineswegs repräsentativ, wie Touristen und Besucher bestätigen werden. Die Clans machen ihre Drogen-Deals im Verborgenen, noch mehr Druck vom Militär wollen sie partout vermeiden. Weshalb die Statistiken über Mord und Schießereien in einigen mexikanischen Großstädten so gut wie nichts mit dem Wirtschaftsleben und den Urlaubsgebieten zu tun haben.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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