Beim Berliner Mieterverein erhält man Ratschlag, wie man als junger Mensch zur ersten eigenen Wohnung kommt. Studium, Ausbildung, Job, Heirat oder einfach der Wunsch, sich von den Eltern „abzunabeln“, heißt da auf der Homepage. „Es gibt viele Gründe, aus dem Elternhaus auszuziehen. Doch dieser Schritt wird heutzutage deutlich später vollzogen als noch vor einigen Jahrzehnten.“
Auch Franziska Hauser muss das gelesen haben. In ihrem dieser Tage viral gegangenen Statement zur Wohnungsmisere lautet ihr erster Satz; „Volljährige Kinder, die nicht von selbst ausziehen, sollte man aus dem Nest werfen.“ Dann kontrapunktiert sie das überraschend: „So war das mal. In Berlin ziehen inzwischen Eltern aus, damit ihre Kinder wohnen können, weil vor der Tür der Kampf um den Wohnraum tobt.“ Eine Szene wie aus einem Krisengebiet!
Mutter geht, Tochter bleibt und gründet WG
Die am Prenzlauer Berg aufgewachsene Schriftstellerin ist es ernst. Sie will ihre Wohnung ihrer 19-jährigen Tochter zuschustern, damit die mit Freundinnen einen WG begründen kann im einst elterlichen Nest. Ihr Sohn hat Berlin bereits gegen Holstein verlassen und für Frau und Kinder einen schnieke Dreizimmer-Wohnung mit Garten gefunden – für 600 Euro. „Wofür man in Berlin kaum noch ein WG-Zimmer findet“, so Hausers bitterer Befund. Es muss wohl nicht extra betont werden, dass sie Berlin und die ihr ans Herz gewachsene Wohnung nicht freiwillig frei zieht. Nach 49 Jahren wird sie ihre Geburtsstadt verlassen, schreibt sie und ahnt: „Ich bin nicht die Einzige, die ihre erwachsenen Kinder zu Hause lässt und in die Welt zieht. In Berlin ist es nicht ungewöhnlich, es fühlt sich trotzdem falsch an.“ Da darf man schon mal eine Träne verdrücken!
Und dann kommt wie aus dem Nichts noch eine schockierende Analyse des Wohnungsmarktes in der Hauptstadt: „Inzwischen ist es sogar egal, ob Du zahlen kannst. Denn alte Mietverträge sind so viel wert wie neue Mietverträge.“ Jeder Umzug schraubt die Preisspirale weiter in die Höhe. Kündigung wegen Eigenbedarfs lautet die gängige Zauberformel, die im umkämpften Wettbewerb um Wohnraum dominiert.
Sie mögen fragen, warum die gute Dame nicht versucht hat, ihre Wohnung gegen etwas Größeres oder auch zwei kleine Wohnungen zu tauschen. Bundesweit unterstützen dies städtische Wohnungsbaugesellschaften in den großen Städten Deutschlands. Die Stadt Mannheim etwa hat vor wenigen Tagen ihre Initiative „Wir haben Platz“ publik gemacht. Dabei werden bis zu 5000 Euro an Umzugsprämien ausgelobt, wenn Mieter nur ein wenig zusammenrücken oder sich verkleinern, und dann so Platz für junge Familien in der Residenzstadt der Kurpfalz gefunden werden kann.
Auch in Berlin sind sie schon vor geraumer Zeit auf den Trichter gekommen – das Interesse war anfangs riesig. Nur die Abschlussquote ist nicht mal dreistellig, bisher in ganz Berlin. Die Geschmäcker sind grundverschieden, die Wohnungen natürlich alle irgendwie anders geartet und deswegen nie wirklich vergleichbar oder zufriedenstellend, wenn es um den endgültigen Vertragsabschluss geht.
Im Falle der Berliner Literatin ist die Sache wiederum ganz simpel. Ihre Wohnung befindet sich in Privatbesitz – da gilt Vertragsfreiheit. Was soll der Eigentümer davon haben, einen Tausch zu gestatten?
Er wird froh sein, wenn er neu vermieten kann und den Mietzins endlich anpassen darf. Im konkreten Fall funktioniert die Chose mit der neuen WG auch nur deshalb, weil Hausers Tochter bereits im Haushalt lebte. Praktisch ist sie Teil des alten Familienhaushalts, was juristisch keinen neuen Mietvertrag erforderlich macht. Ansonsten gilt: Schriftsteller, die über 30 Jahre lang in derselben Wohnung verbleiben, gelten als notorische Mietpreisbremsen. Das Verständnis für sie hält sich bei Vermietern in Grenzen. Das hat unlängst selbst der Schlagersänger und kennende Hertha-Fan Frank Zander erfahren müssen in Berlin-Charlottenburg – und der gilt in seiner Heimatstadt als eine Art Säulenheiliger.