Immobilien

Wohnungsnot? Wo zigtausende Häuser und Apartments leer stehen

Nicht überall gibt es vergleichbare Probleme auf dem Wohnungsmarkt wie in Berlin, Hamburg oder München. Entsprechend macht eine generelle Subventionierung des Bauens auch keinen Sinn. Eine Erkenntnis, die nicht jedem Lobbyisten und Branchenvertreter schmeckt. Zeit für eine differenzierte Debatte.
12.04.2024 16:03
Lesezeit: 4 min
Wohnungsnot? Wo zigtausende Häuser und Apartments leer stehen
Nicht überall herrscht Wohnungsnot (Foto: dpa). Foto: picture alliance / Rolf Vennenbe

Mehr Geld, weniger Leistung! Die Vorstellungen der Baubranche wurden von Verbandsvertretern in der vergangenen Woche auf dem „Wohnungsbau-Tag" hinlänglich klar gemacht. 23 Milliarden solle die Regierung als „Sonderförderung" flüssig machen. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) konnte da nur noch entwaffnet abwinken: „Wir werden es nicht schaffen, alles, was gebaut wird, zu subventionieren." Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen meinte nur: „Wir müssen noch ein bisschen durchhalten, das ist die ehrliche Antwort."

Schon wieder das Lied vom klagenden Kaufmann

Was der Kanzler derweil von dem Wehleiden hält, hat sich im Land als Bonmot mittlerweile weit verbreitet. „Die Klage", gibt sich Olaf Scholz (SPD) als Hanseat zutiefst überzeugt, sei nun mal das „Lied des Kaufmanns." Diese Schnoddrigkeit wird in den Geschichtsbüchern unvergessen bleiben. Es scheint so, als seien am Bau die Dinge längst genauso verrutscht wie in der völlig verunglückten Energiewende Habecks und seines geschassten Staatssekretärs Patrick Graichen.

Dabei kommt der Bauwirtschaft volkswirtschaftlich eine ähnliche hohe Bedeutung zu wie der den Standort bestimmenden Automobilbranche. In Zahlen heißt dies: 17 Prozent der Steuereinnahmen werden durch Bau- und Immobilienprojekte generiert - jeder siebte Arbeitsplatz im Lande ist der Baubranche zuzurechnen. Dass dies alles quasi über Nacht in sich zusammengefallen ist, hat wohl kaum nur mit den neuen Zinsrealitäten und dem Ukraine-Krieg zu tun.

Deutschland baut noch immer wie vor 50 Jahren

Die Misere am Bau hat ihre Ursache in ganz grundsätzlichen strukturellen Problemen. Kaum Innovationsbereitschaft, den Trend zur Serienfertigung hat die Branche fast völlig verschlafen. Handwerk wie vor 50 oder teilweise gar 100 Jahren dominiert das Geschehen. Bauen ist schlicht zu teuer zu geworden. Die Folge: Mieten entsprechen nicht mehr den Herstellungskosten, der sogenannten Kostenmiete, und sind damit eigentlich zu niedrig.

Es gibt reichlich Wirtschaftsexperten, etwa im Kölner Institut der deutschen Wirtschaft oder an der Universität Hamburg, die das offen ansprechen, aber nicht durchdringen. Stattdessen wird die überfällige Reform-Debatte mit ganz unrealistischen Zahlen vernebelt. Angeblich fehlen mehr als 800.000 Wohnungen im Land - wobei die Zahl inzwischen fast willkürlich erscheint, weil im Chor der Lobbyisten immer neue Sopranstimmen wie aus dem Postel-Institut Hannover aufschrillen.

Dies hat am Firmament über Deutschland einen „Perfect storm" aufziehen lassen, durch den bei rauer See lediglich erfahrene Skipper unversehrt in den Hafen einlaufen werden. Zum Beispiel Unternehmer, die solide rechnen und sich nicht bei Nahe-Null-Zinsen auf waghalsige Finanzierungsmodelle eingelassen haben. Hilfreich sind allerdings auch Experten, die sachlich die Fakten und nüchtern die Marktlage analysieren. Zum Beispiel die Forscher von Empirica (siehe Karte), die Ende des Jahres eindrucksvoll die (von vielen als allgemein gültig angesehene und ständig wiederholte) Behauptung der generellen Wohnungsnot in Deutschland mit ihrer Landkreis-Karte widerlegt und im März nochmals durch Empirica Regio für den Neubau-Bedarf hinuntergebrochen haben. Nicht jährlich 400.000 Wohnungen, wie vom Bauministerium prognostiziert, fehlten, sondern nur 130.000 bis 210.000 Wohnungen bundesweit. Demnach entstehen in über der Hälfte der Landkreise sogar mehr Neubauten als benötigt werden. In 237 Orten überschreitet das Angebot die Nachfrage.

Tatsächlich geht es wohl eher um Allokationsprobleme. Während der Zuzug in die großen Städte Druck auf den Kessel gibt, leidet die Provinz immer noch unter Abwanderung. Fehlende Wohnungen in Berlin ja! Aber kein Mangel in Sachsen-Anhalt oder Thüringen! Dort besteht - ganz im Gegenteil - in bestimmten Regionen die Gefahr, dass viel zu viel bebaut wird. Weshalb wohl auch kein Allgemein-Rezept hilft, wie die Bauministerin zutreffend erkannt hat.

Sinneswandel oder eine Wahrnehmumgstäuschung? Fakt ist: Vertreter aus den östlichen Bundesländern hat man in der Debatte bislang fast nie wahrgenommen. Nun haben sie sich endlich mal Gehör verschafft und die Daten von Empirica sowie die künftigen demografischen Aussichten bis 2040 laut und vernehmlich ins rechte Licht gerückt.

Im Osten stehen 143.000 Sozial-Wohnungen leer

Gleich sieben Wohnungsverbände haben die Bundesregierung im Vorfeld des Wohnungs-Tages am 11. April auf ihre regionalen Besonderheiten hingewiesen. „Das Narrativ der angespannten Märkte geistert durch die Republik, während wir hier einen ganz anderen Markt haben", sagte beispielsweise Mirjam Philipp vom Verband der sächsischen Wohnungsgenossenschaften bei einem Treffen in Leipzig. Die sozial orientierten Verbände repräsentieren im Osten mehr als 1000 Wohnungsunternehmen mit 1,5 Millionen Wohnungen im Bestand. Sie sagen, 143.000 Wohnungen stünden de facto leer - eine Quote von mithin 8, 2 Prozent. Im Jahr 2023 habe man sogar über 3000 Wohnungen rückgebaut - nur 2500 Wohnungen seien hinzu gekommen.

„Neubau um jeden Preis" gefährde indessen den Erhalt bezahlbaren Wohnraums. Der sei aber für Unternehmens-Ansiedlungen unerlässlich. Im Gegensatz zu den Großstädten hatten die östlichen Regionen deshalb zum großen Teil auch weit weniger Probleme, kurzfristig Wohnraum für ukrainische Flüchtlinge bereitzustellen. „Es gibt hier keine angespannten Wohnungsmärkte, sondern mehr angespannte wirtschaftliche Rahmenbedingungen", lautet das Urteil von Matthias Kuplich, Vertreter der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalts.

Vielleicht wird es Zeit, den Akzent der Debatte zu verändern. Der Vorteil Deutschlands besteht darin, dass wir anders als etwa Frankreich eine starke föderale Struktur haben mit attraktiven Großstädten von Nord bis Süd. Es gibt nur wenige wirkliche Randlagen, für die der Begriff strukturschwache Region Anwendung findet. Auch Arbeitsplätze gibt in den Industriegebieten in verschiedenen Teilen des Landes. Mit einer besseren Bahnanbindung könnten Regionen wie Sachsen-Anhalt und Thüringen weit mehr ins ökonomische Zentrum Deutschlands rücken. Die Städte und Kommunen dort könnten endlich den Bestand an alten DDR-Plattenwohnungen sanieren und mit Regionalförderung die Innenstädte attraktiver gestalten.

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Peter Schubert

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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