Immobilien

Wohnen im Grünen: Die unerwartete Revitalisierung der ländlichen Gebiete

Lesezeit: 5 min
21.03.2024 06:36
Im Schatten der deutschen Wohnungsnot erlebt das Landleben eine unerwartete Wiedergeburt. Getrieben von der Sehnsucht nach erschwinglichem Wohnraum und einem idyllischen Wohnen im Grünen, suchen Stadtbewohner im Zuge von Home-Office und verbesserten Verbindungen verstärkt ihr Glück auf dem Land. Doch können Sie dieses Glück dort finden?
Wohnen im Grünen: Die unerwartete Revitalisierung der ländlichen Gebiete
Immer mehr Menschen in Deutschland zieht es aufs Land. (Foto: Pixabay)

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Hier Stadt, da das Land? In Zeiten von Konnektivität und Mobilität ist die Trennung der beiden Räume und Lebenswelten ohnehin weitgehend aufgehoben. Für manche Wissenschaftler wie den Kultur-Geographen Werner Bätzing wirkt es zum Teil bereits so, als sei das Land in gewisser Weise eine suburbane Erweiterung.

Das habe in ihren Anfängen bereits mit den Hartz-IV-Reformen in der Ägide unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder begonnen, als sich die ersten Städter aufmachten dem wirtschaftlichen Druck in ihren Kiezen zu entfliehen. Schon damals sei auch das beliebte Magazin „Landlust“ erstmals erschienen und habe sich geradezu wie ein Programmentwurf gelesen. „Die Sehnsucht nach der ländlichen Idylle ist eine Reaktion auf die Verunsicherung in der bedrohlich wirkenden Welt“, sagt Bätzing. „Das Land verspricht Sicherheit.“

Beinahe 15 Jahre nach Schröders Agenda 2010 ist es die Wohn-Misere, die die Stimmung einer ganzen Generation bedrückt. In Berlin-Mitte zu wohnen, können sich junge Familien schon lange nicht mehr leisten. Aber auch der erste Ring der Vorort-Bezirke ist schon überfüllt, und selbst in den Umland-Gemeinden Berlins sind Wohnungen oder Häuser kaum mehr zu bezahlen. Auf der Suche nach erschwinglichem Wohnraum und Anlage-Möglichkeiten für den persönlichen Vermögensaufbau geht es nun in alle Himmelsrichtungen rund um die Hauptstadt. Das Häuschen mit selbst angebauten Kräutern im Küchengarten gilt als „hygge“.

Die beiden Corona-Jahre haben den Trend nachhaltig verstärkt. Die Selbstversorger-Mentalität ist gleichfalls in die wachen Köpfe zurückgekehrt, so wie Omas altes Rezeptbuch für Startup- oder tragfähige Geschäftsideen. Leckere Marmelade geht immer auf den Wochenmärkten der großen deutschen Metropolen!

Die entscheidende Frage beim Kauf eines Grundstücks ist deshalb, ob die S-Bahn noch halbwegs erreichbar ist? Und wann endlich historische Bahnstrecken wie die Heidekrautbahn im Nordosten Berlins vollumfänglich reaktiviert werden? So kommt es, dass inzwischen selbst der Uecker-Randow-Kreis auf direkter Strecke ins polnische Stettin und an die Ostsee mittlerweile Neusiedler aus Berlin verzeichnet. Ein Phänomen, was sich in Schleswig-Holstein wie auch im nordwestlichen Niedersachsen, in der Eifel in NRW oder im Süden Deutschlands in ruralen Randlagen fortsetzt.

Wohnen im Grünen ist wieder im Trend

Die Landgemeinden Deutschlands wachsen – zwei Drittel von ihnen haben seit 2020 an Einwohnern deutlich zugelegt. Das hat eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerungsentwicklung zusammen mit der Wüstenrot-Stiftung ergeben. Die Wissenschaftler hat dabei überrascht, dass das Phänomen nicht nur punktuell gilt: „Die neue Landlust hat die gesamte Republik erfasst. Überall ziehen in den ländlichen Gemeinden mehr Menschen zu als fort. In den ost- und westdeutschen Bundesländern verzeichnen mit 62 bzw. 64 Prozent anteilig ähnlich viele Landgemeinden Wanderungsgewinne.“

In der umfangreichen Studie wird eindrucksvoll aufgezeigt, wie sich die Attraktivität ländlicher Gebiete gewandelt hat. „Im Jahr 2008 entschied nicht die Lage über die Beliebtheit von Gemeinden, je zentraler gelegen, desto höher der Wanderungssaldo. Einzig sehr zentrale Landgemeinden verzeichneten im Schnitt Wanderungsgewinne, aus sehr peripheren Landgemeinden zogen deutlich mehr Menschen fort als zu.“ Der Vergleich zu heute zeigt eine massive Veränderung: „Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben abseits der urbanen Zentren. Eine neue Landlust zieht auf, die insbesondere kleinen Gemeinden in ländlichen Räumen zu neuem Schwung verhelfen kann“, lautet das Fazit.

Nicht nur die Wissenschaft ist überrascht. Die Alteingesessenen selbst sind ganz perplex, welch ungeahnte Aktivität sich zum Beispiel in der uckermärkischen Provinz plötzlich entfaltet. Die gelangweilte Dorfjugend mit ihren Mofas wird von ökologisch bewussten Neusiedlern aufgemischt. Die bröckelnde Tristesse an den Fassaden verschwindet allmählich, die leeren Höfe und teils schon Jahrzehnte leerstehenden Dorfhäuser werden renoviert und herausgeputzt. Die Neuen bringen Geld in Umlauf und sorgen so für ungeahnten ökonomischen Aufschwung im Abseits.

Im Hofladen einkaufen, in der Scheune Wein trinken

Noch vor wenigen Jahren war es schwierig bei einer Landpartie durch Brandenburg überhaupt eine gepflegte Gastronomie zu finden. Inzwischen gibt es Demeter-Höfe mit gut bestückten Hofläden. Und teilweise sogar ambitionierte Köche, die mit regionalen Spezialitäten wie Wild und Fischgerichten Kundschaft anziehen. Wie im Gutshof Kraatz etwa. Die Weinschänke im Kuhstall, die regionale Slowfood-Küche im Restaurant. Oder der Hof Prädikow auf einem stattlichen Vierseithof, der zu DDR-Zeiten von einem volkseignen Kollektiv betrieben wurde und dann verfiel.

Philipp Henschel, ein Manager aus Berlin begann anno 2016, den Hof wieder zu beleben und gleichgesinnte Partner mit ins Boot zu holen. 60 Menschen leben bereits auf dem alten Gut, 20 Kinder vor allem, und das in einem kleinen Dorf mit vormals nur 250 Einwohnern. Wer auf einen Drink oder Kaffee vorbeischaut, fühlt sich in einer eigenartigen Zwischenwelt aus Kreuzberg und Kreuzgraben wieder. Wichtig war, dass die Zugezogenen sich nicht in eine Parallelwelt verabschiedet haben. „Um Berührungsängste zu vermeiden, suchen viele Neudörfler früh den Kontakt zu den Alteingesessenen, laden sie zu Planungssitzungen und Festen ein“, weiß Bevölkerungsforscher Klingholz. „Sie haben überzeugende Argumente. Weil sie oft alte, baufällige Immobilien in den Dorfkernen sanieren, für die sich lange Zeit niemand interessiert hat, werten sie die Ortsbilder auf.“ Die bringen Leben in die Bude und verschanzen sich nicht hinter Lorbeer-Hecken in ihrem Garten.

Die rege Veränderung entfaltet nicht nur Anziehungskraft für Wochenend-Besucher aus der Hauptstadt, sondern gehört inzwischen auch zu Gründen, warum man gut und gerne auf dem Land lebt. Schließlich möchte man auf die Annehmlichkeiten des urbanen Miteinanders nicht völlig aufgeben. Ein Auto ist zwar „nice to have“, aber nicht mehr alleinige Anbindung an die Außenwelt.

Deutschlands regionale Vorzüge werden neu entdeckt

Mit Lasten-Fahrrädern schafft man es inzwischen auch zum nächsten Supermarkt oder Ärzte-Zentrum in den verstreuten Mittelstädten der Region. Deutschland als föderal strukturiertes Land kennt nicht nur das Gefälle zwischen der Metropole und dem Hinterland. Die Versorgung ist durchaus bundesweit gesichert – man muss sich keineswegs abgehängt fühlen in Mecklenburg-Vorpommern, der Eifel oder im Bayerischen Wald.

Während früher über mangelnde Ärzteversorgung und das beschränkte Angebot der nächsten Kaufhalle lamentiert wurde, ist mit Internet und einer besser strukturierten Nahversorgung und Verkehrsanbindung der verwaltete Mangel dem bewussten Genuss gewichen. Das Klientel aus der großen Stadt, dass infolge überteuerter Mieten und zunehmender Hektik derzeit in Deutschland das Weite sucht, bietet den Dörfern und Kommunen ganz neue Chancen, sich zu regenerieren. Bei Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD ist es beileibe nicht die Verzweiflung über die herrschende Wohnungsnot in den deutschen Großstädten, die sie die Stadtflucht oder sogar neue Landlust proklamieren lässt.

Und das findet inzwischen auch in repräsentativen Befragungen seinen Widerhall. Die Mehrzahl der Deutschen sehnt sich nach einem Häuschen im Grünen – es darf inzwischen auch in einem Dorf stehen und nicht mehr nur in einer suburbanen Siedlung.

Freilich zieht man dahin nicht einfach mal so eben. Noch kommt es darauf an, überhaupt eine geeignete Immobilie ausfindig zu machen über das Kleinanzeigen-Portal, Immonet oder auch in den Aushängen der regionalen Sparkassen. Während die Angebote an Mietobjekten eher vereinzelt daherkommen, investieren junge Leute wieder verstärkt auf dem Land, packen mit an und bauen auf. Was von der Bundesregierung inzwischen sogar gezielt gefördert wird – zum Beispiel mit Zuschüssen aus dem von Geywitz in ihrem Ministerium aufgelegten Programm „Jung kauft Alt“.

Glasfaser macht möglich: Co-Working-Spaces in Scheunen

In den Jahren nach der Deutschen Einheit sind einst 1,8 Millionen Menschen aus den ländlichen Regionen Ostdeutschlands abgewandert. Man konnte in den 1990er-Jahren schon froh sein, wenn wenigstens gelegentlich noch ein Bus vorbeifuhr und dann auch anhielt. Inzwischen hat sich die Windrichtung deutlich gedreht. Die jungen Pioniere nehmen in Zeiten von Home-Office und Remote-Working ihre Projekte mit in ihr Häuschen im Grünen. Selbst Co-Working-Spaces für das gelegentliche Gemeinschaftsgefühl haben mittlerweile Konjunktur im ländlichen Raum – alte Scheunen werden zu Büro-Spaces, wenn neue Glasfaser-Kabel oder Funkmasten in den Weiten der landwirtschaftlichen Flächen für akzeptable Verbindung mindestens in 3G-Qualität sorgen.

Schöne Aussichten und beste Chancen für eine Revitalisierung der ländlichen Gebiete. Das Gute daran ist, dass dort auch reichlich Leerstand auf mutiges Anpacken und Engagement wartet und belohnt wird. Wohnfläche für gut 1,4 Millionen Menschen stehen dort zur Verfügung. Das könnte auch den Zuzug in die Großstädte stoppen. So dass der verzweifelte Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Großsiedlungen wie dereinst in den 1970er-Jahren zu bauen, wieder in der Schublade verschwinden könnte.

                                                                            ***

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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