Das neue Hauptquartier für den geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte wird in Deutschland angesiedelt. Am Rande des Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel wurde jetzt bekannt, dass die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden der offizielle Standort sein wird – und damit an Ort und Stelle bleibt.
Es heißt, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg favorisiert diese Lösung. Sicherlich auch deshalb, weil er strategisch günstig auf der Basis der US-Streitkräfte in Europa liegt. Bislang hatten die Amerikaner die Koordinierungsaufgaben dort allein wahrgenommen – nun soll es das Nato-Logo bekommen. Geleitet werden soll der Einsatz künftig von einem Drei-Sterne-General, der direkt an den Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa berichtet. Das Team dürfte dasselbe bleiben – praktisch handelt es sich um eine Neu-Ettikettierung.
Die Entscheidung ist im politischen Berlin (und auch wohl anderen Hauptstädten) trotzdem mit einiger Verblüffung aufgenommen worden. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung krampfhaft darum bemüht ist, den Eindruck zu vermeiden (bzw. gegenüber Moskau zu zerstreuen), dass die Unterstützung der Ukraine maßgeblich eine operative Aufgabe des Verteidigungsbündnisses ist. So wurde jüngst erst darum gerungen und diplomatisch verhandelt, ob bei der beschlossenen Ukraine-Mission überhaupt das Nato-Kürzel im Namen auftauchen darf.
Die Bundesregierung scheint erpicht zu sein, argwöhnen Beobachter, Rücksichtnahme gegenüber SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und anderen Tauben in Reihen der Ampel-Koalition walten zu lassen. Stichwort „Friedenskanzler!“ Immerhin hatte die SPD ja versucht, Partei und Personal für den Europa-Wahlkampf entsprechend in Szene zu setzen. Das ist kolossal daneben gegangen, seit dem Wahlsonntag tingeln Sahra Wagenknecht höchstselbst und ihre Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali als Putins Friedensengel durch die Talkshows. Womöglich hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) Konsequenzen gezogen und seinem Verteidigungsminister Zustimmung signalisiert – auch zum Vorschlag Wiesbaden. Dass dies ohne sein Wissen im Nato-Kreise durchgesetzt wurde, aus pragmatischen Gründen, gilt als unwahrscheinlich. Völkerrechtlich sei die Entscheidung unproblematisch, und tatsächlich weiß Moskau ohnehin Bescheid, wie der Hase in den Nato-Reihen läuft.
Der vorliegende Operationsplan war am Donnerstag bereits vom Nordatlantikrat im schriftlichen Verfahren beschlossen worden, wurde freilich erst am Freitag von den Verteidigungsministern bestätigt und danach nun an die Öffentlichkeit lanciert. Immerhin soll aber künftig auch in Osteuropa eine weitere Mission angesiedelt werden. Aus logistischen Gründen könnte sich dafür ein Ort in Polen anbieten.
Die Unterstützungsaufgaben unter Federführung der Vereinigten Staaten wurden seit Oktober 2022 im Europa-Hauptquartier der US-Streitkräfte von zuletzt über 300 Soldaten und Analysten der sogenannten Security Assistance Group-Ukraine (SAG-U) wahrgenommen. De facto wird wohl nur das Namensschild an der Tür ausgetauscht und der Klingelknopf neu beschriftet.
Nato-Projekt und Ungarns Zurückhaltung
Der Grund dafür: Das Nato-Projekt gilt zugleich auch als Vorkehrung für den Fall der möglichen Rückkehr Donald Trumps nach einem Wahlsieg im Oktober. Er würde das US-Präsidentenamt im Januar 2025 antreten und könnte womöglich nicht mehr leichtfertig einen Rückzieher anordnen, wenn die Strukturen innerhalb der Nato verfestigt und vertäut worden sind.
Äußerungen von Republikanern im US-Kongress wie herausragender Trump-Berater hatten in der Vergangenheit Zweifel aufkommen lassen, ob die USA die Ukraine unter Trumps Führung weiter so im Abwehrkrieg gegen Russland unterstützen wird. Im Bündnis und wohl auch in der Biden-Administration wird befürchtet, dass unter dem drohenden Kurswechsel in Washington auch die Koordinierung von Waffenlieferungen für die ukrainischen Streitkräfte leiden und behindert werden könnte.
Nicht beteiligen wollen sich an dem neuen Nato-Projekt wieder mal Viktor Orban und seine Ungarn. Der Ministerpräsident in Budapest befürchtet, das Bündnis könnte in eine direkte Konfrontation mit Russland getrieben werden. Weitere Nato-Staaten schienen ebenfalls lange Zeit beunruhigt, bis sich allmählich die Erkenntnis durchsetzte, dass Russland eher mit kleiner Münze pokert, als wirklich die Einsätze erhöhen zu wollen.
Die meisten Nato-Staaten stufen das Risiko unterdessen als kalkulierbar ein. Es scheint so, als habe Orban womöglich ganz andere Gründe für seine überraschende Vasallentreue. Um dafür zu sorgen, dass Ungarn nicht den notwendigen Konsens der Nato-Mitgliedstaaten blockiert, wurde der Regierung Orban diese Woche in Brüssel zugesichert, dass es sich weder finanziell noch personell beteiligen muss. Mal wieder ein neues Budapester Memorandum!
Nato-Projektname geändert wegen Bedenken der Bundesregierung
Das neue Projekt wird künftig wohl offiziell den Namen „Nato Security Assistance and Training for Ukraine“ (NSATU) tragen – ein Kürzel-Ungetüm. Die meisten Nato-Staaten hatten sich zuvor eigentlich für den Namen „Nato Mission Ukraine“ ausgesprochen, und so werden sie die Mission sicher auch im Gebrauch nennen, egal, was die Berliner Verrenkungen unter den Partnern für Unbill erregt haben. Die Bundesregierung vertrat bis zuletzt den Standpunkt, dass irrtümlich verstanden werden könnte, dass die Nato eigene Soldaten in die Ukraine schicken will. Im Auswärtigen Amt befürchtet man wohl, der Name könnte von Russland für Propaganda gegen die Allianz genutzt werden. Ein Problem, was wohl eher die Talkshows bei uns im Lande betreffen könnte.
Auf Grundlage des vereinbarten Operationsplans können nun jedenfalls die weiteren Vorbereitungen für die Ukraine-Hilfe erfolgen. Offizieller Start ist wohl im Juli, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die anderen 31 Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten in Washington/D.C. zum nächsten Gipfeltreffen zusammenkommen werden.