Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied schließt weitere Proteste gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung nicht aus. „Wir behalten uns weitere Protestaktionen vor“, sagte er Ende Juni im ZDF-„Morgenmagazin“. Nach den bundesweiten Traktoren-Protesten der Landwirte zu Jahresbeginn hatte sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf ein Entlastungspaket geeinigt, das steuerliche Erleichterungen und weniger Bürokratie vorsieht. Der Bauernverband fordert jedoch weitergehende Schritte.
Agrarpaket der Regierung auf dem Weg
Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in der Landwirtschaft und der Bauernproteste soll das Agrarpaket der Ampel-Fraktionen die Land- und Forstwirtschaft entlasten. „Wir sorgen für mehr finanzielle Planungssicherheit der Betriebe durch die Einführung der steuerlichen Gewinnglättung, wir stärken die Position der Landwirte in der Lebensmittelkette und rüsten sie besser gegen unlautere Handelspraktiken“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). „Wir lösen damit auch Zusagen ein, die die Bundesregierung gegenüber der Landwirtschaft im März gemacht hat, und liefern konkrete Entlastungen“, so Özdemir.
Der Bundeslandwirtschaftsminister fügte hinzu, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) massiv Bürokratie abbauen wolle. Dazu habe sein Ministerium eine Initiative gestartet, um die Vielzahl bürokratischer Belastungen deutlich zu reduzieren.
Kritik an der Agrarpolitik
„Die Ampel hat nicht geliefert“, kritisierte Rukwied neulich. Das beschlossene Agrarpaket sei „gerade mal ein Päckchen“. „Wir müssen Landwirtschaft neu aufstellen, wissensbasiert auf Innovationen setzen, unserer jungen Generation Perspektiven geben“, sagte der Verbandspräsident. Der Frust beim Nachwuchs sei enorm.
Rukwied forderte die Regierung auf, Bäuerinnen und Bauern stärker einzubeziehen. „Wir fahren keinen konfrontativen Kurs“, beteuerte er. „Im Gegenteil, wir machen Angebote und erwarten, dass man die Angebote aufnimmt und gemeinsam die Dinge mit uns umsetzt, damit die junge Generation eine Zukunft hat.“ Nach den großen Bauernprotesten zu Jahresbeginn pocht nun der Bauernverband auf die zugesicherten Entlastungen der Bundesregierung. „Der Unmut ist nicht verflogen“, sagte Rukwied vor dem Deutschen Bauerntag in Cottbus. Er betonte, dass die Situation für die Betriebe weiterhin schwierig sei und warnte, dass das Vertrauen der Landwirte in die Politik weiter erodieren könnte, wenn die versprochenen Maßnahmen nicht umgesetzt werden. „Wenn die Gewinnglättung nicht auf den Weg gebracht wird, dann werden die Landwirtinnen und Landwirte sagen: Das ist Wortbruch.“
Ursachen und Verlauf der Bauernproteste
Doch wie konnte es eigentlich soweit kommen? Die Bauernproteste in Deutschland, die Mitte Dezember 2023 begannen, haben für viele Schlagzeilen gesorgt.
Auslöser der Proteste waren hauptsächlich die Sparpläne der Bundesregierung. Die Ampelregierung hatte angekündigt, die Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft abzuschaffen und den Rabatt auf die Energiesteuer für Agrardiesel zu reduzieren. Diese Maßnahmen sollten Teil eines umfassenderen Sparprogramms sein, um das Haushaltsdefizit zu verringern und die Klimaschutzpläne voranzutreiben.
Die Landwirte fühlten sich jedoch benachteiligt und sahen ihre Existenz bedroht. Sie argumentierten, dass die zusätzlichen Kosten ihre Lage weiter verschlechtern würden, besonders in einer Zeit, in der die Landwirtschaft ohnehin mit zahlreichen Herausforderungen wie steigenden Betriebskosten, dem Druck durch den Lebensmitteleinzelhandel und der Notwendigkeit, umweltfreundlicher zu wirtschaften, konfrontiert ist.
Höhepunkte der Proteste
In Berlin versammelten sich am 18. Dezember 2023 Tausende Landwirte zu einer Großdemonstration am Brandenburger Tor.
In Schleswig-Holstein versperrten etwa 250 bis 300 Protestierende am 4. Januar 2024 Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Weg von einer öffentlichen Fähre am Fährhafen Schlüttsiel. Dies führte zu Diskussionen über den fairen Umgang mit den Politikern.
In München beteiligten sich am 15. Januar 2024 etwa 3.500 Landwirte mit Traktoren an Protesten. Neben Bayern gab es auch in Niedersachsen Blockaden und Kundgebungen, die den Straßenverkehr massiv beeinträchtigten. Rechtsextreme Akteure versuchten laut Medienberichten, die Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, was die Situation weiter verkomplizierte. Der Deutsche Bauernverband distanzierte sich jedoch von extremistischen Tendenzen innerhalb der Proteste. Die Polizei musste in einigen Fällen wegen eskalierender Situationen eingreifen.
Bedeutung der Agrarsubventionen
Ein wesentlicher Hintergrund der Unzufriedenheit der Landwirte ist ihre Abhängigkeit von Agrarsubventionen. Knapp die Hälfte des Einkommens eines landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebs in Deutschland besteht aus Subventionen. Diese staatlichen Beihilfen und Zuschüsse sind entscheidend, um die höheren Herstellerkosten und strengeren Auflagen und Standards der EU-Landwirtschaft auszugleichen.
Ohne solche staatlichen Zahlungen könnte die deutsche Landwirtschaft mit den zumeist niedrigeren Weltmarktpreisen wirtschaftlich nicht konkurrieren. Die Agrarsubventionen setzen sich aus EU- und nationalen Mitteln zusammen. Dazu gehören EU-Direktzahlungen, Zins- und Investitionszuschüsse, Agrardieselvergütung, Befreiung von der Kfz-Steuer, Ausgleichszulagen sowie Zahlungen aus Agrarumweltmaßnahmen.
Den größten Posten bilden dabei die EU-Direktzahlungen, die größtenteils pauschal an die Landwirte ausgezahlt werden und sich an der Fläche des Agrarbetriebs orientieren. Die Kfz-Steuerbefreiung ist inzwischen teilweise gestrichen, doch die stufenweise Abschaffung der Agrardieselvergütung bis 2026 ist weiterhin geplant.
Reaktionen der Politik
Die Reaktionen der Politik auf die Bauernproteste waren gemischt. Die Ampelregierung hatte bereits Konzessionen eingeräumt, darunter die schrittweise Reduktion der Agrardieselsubventionen statt einer abrupten Streichung. Eine vollständige Rücknahme der geplanten Kürzungen wurde sogar von Bundesagrarminister Cem Özdemir und FDP-Fraktionschef Christian Dürr gefordert. Markant positionierte sich die CSU, angeführt von ihrem Vorsitzenden Markus Söder, die sich entschieden auf die Seite der Landwirte stellte und die Politik der Regierungskoalition scharf kritisierte. Selbst innerhalb der Ampelkoalition wurden kritische Stimmen gegen die Kürzungen der Bauernhilfen laut.
Die AfD versuchte, die Unruhen zu ihrem politischen Vorteil zu nutzen, was zu erheblichen Spannungen führte und zur klaren Abgrenzung seitens des Deutschen Bauernverbands. Die Bundesregierung, mit den führenden Köpfen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), versuchte zunächst, eine defensive Haltung einzunehmen. Sie kündigte an, gewisse Sparmaßnahmen zu mildern oder zurückzunehmen.
Unter anderem wurde die komplette Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft teilweise revidiert, und die Kürzung des Rabatts auf die Energiesteuer für Agrardiesel fiel weniger drastisch aus als geplant. Trotz dieses Entgegenkommens blieben viele Landwirte unzufrieden und setzten ihre Protestaktionen fort. Die Regierung betonte die Notwendigkeit von Kompromissen und sah sich gezwungen, ihre Agrarpolitik ständig neu zu bewerten.
Perspektiven der Landwirtschaft
Eine zentrale Frage der Landwirtschaft im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) ist, wie die Landwirte wettbewerbsfähig bleiben können, während gleichzeitig umweltpolitische Vorgaben immer strenger werden. Der geplante Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen erfordert von den Landwirten erhebliche Anpassungen. Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz betont die Notwendigkeit, dass die deutschen Landwirte im europäischen Markt wettbewerbsfähig bleiben müssen. Theresa Schmidt vom Bund der Deutschen Landjugend fordert mehr Zeit für die Landwirtschaft, um sich auf die Veränderungen vorzubereiten. Die Umstellung auf klimafreundlichere Technologien und Praktiken ist eine weitere Herausforderung, da derzeit keine kostengünstigen Alternativen zu Dieseltraktoren bereitstehen. Politische Analysten betonen, dass die Regierung ihre Ziele klarer kommunizieren und die Landwirte stärker einbeziehen muss, um Vertrauen aufzubauen. Nur durch gemeinsame Anstrengungen kann die Landwirtschaft nachhaltig und zukunftsorientiert gestaltet werden. Wir von den DWN bleiben auf jeden Fall dran und werden berichten.