Politik

Die DWN-Chefredaktion kommentiert: Die innere Zerrissenheit der AfD manifestiert sich in Brandenburg

Lesezeit: 4 min
28.06.2024 16:30
Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle stellen wir - wie jeden Freitag - unseren Standpunkt klar. Diese Woche geht es um die innere Zerrissenheit der AfD. Während sich die AfD in Thüringen hinter Björn Höckes völkischem Kurs versammelt, könnte Brandenburg ein Gegenentwurf sein.
Die DWN-Chefredaktion kommentiert: Die innere Zerrissenheit der AfD manifestiert sich in Brandenburg
Teilnehmer des Landesparteitags AfD Brandenburg halten bei einer Abstimmung ihre Stimmkarten hoch. Auf dem Parteitag wählte die Oppositions-Partei ihren neuen Landesvorstand (Foto: dpa).

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Liebe Leserinnen und Leser,

während sich die AfD in Thüringen hinter Björn Höcke und seinem stramm nationalistischen und völkischen Kurs zu versammeln droht, könnte Brandenburg ein Gegenentwurf sein. Vieles deutet darauf hin, dass die Basis einen gemäßigten Kurs favorisieren würde. Doch ausgerechnet Parteichef Tino Chrupalla aus dem benachbarten Görlitz in Sachsen wünscht keine Brandmauern zur NPD-Nachfolgerin "Heimat". Steht der Partei eine Grundsatz-Debatte ins Haus, die den künftigen Weg in Ostdeutschland vorzeichnen könnte?

Was wollen die Anhänger und Wähler der AfD? Veränderung oder ein ganz anderes Land? Das ist wohl die Gretchenfrage, die dieser Tage die Zusammenkünfte der Parteispitzen vor den kommenden Landtagswahlen in Ost- und Mitteldeutschland beschäftigt. Es spricht vieles dafür, dass sich der Landesverband Thüringen für einen Weg entschieden hat. Und der heißt, man folgt Björn Höcke und dem völkisch-national gesinntem Parteiflügel. In Brandenburg scheint das indessen nicht so klar zu sein.

Zwei Meldungen aus den vergangenen Tagen haben die Deutschen Wirtschaftsnachrichten aufhorchen lassen. Zum einen, dass der frühere Landesvorsitzende Andreas Kalbitz offenbar vollkommen isoliert dasteht und keine Zukunft mehr in der Brandenburger AfD zu haben scheint. Wie Höcke in Thüringen galt auch Kalbitz als Strippenzieher des völkischen Flügels. Jetzt ist er freilich gleich zweimal bei der Nominierung als Direktkandidat in den Landkreisen Oder-Spree durchgefallen. Für die Landesliste hat er nicht kandidiert. Deshalb wird er dem nächsten Brandenburger Landtag nach zehn Jahren wohl nicht mehr angehören.

Wie der völkische Strippenzieher Andreas Kalbitz in Potsdam ins Abseits geschoben wurde

Kalbitz hat am vergangenen Wochenende, als es um die Aufstellung der AfD-Kreisverbände Oberspreewald-Lausitz und Spree-Neiße im Brandenburger Wahlkreis 39 ging, mit 13 zu 17 Stimmen den Kürzeren gegen den 27-jährigen Fabian Jank gezogen. Unlängst war Kalbitz bereits mit seiner Kandidatur im Wahlkreis Prignitz II/Ostprignitz-Ruppin II gescheitert. Statt seiner wurde Thorsten Arndt zum Aushängeschild erkoren, während Kalbitz mit nur drei Stimmen geradezu abserviert worden ist. Angeblich hat der 51-jährige Kalbitz jegliche Unterstützung, insbesondere unter den jüngeren Parteianhängern, eingebüßt. Früher war die sogenannte Junge-Alternative mal seine Hausmacht.

Aus dem Umfeld des im März neu gewählten Landesvorstands werden dem inzwischen parteilosen, aus München stammenden Kalbitz, „hochproblematische Verhaltensweisen“ vorgeworfen. Der Mann mit der Nickelbrille selbst nannte sein persönliches Waterloo eine „Befreiung“. Womöglich bedeutet es das Ende seiner politischen Karriere. In der Vergangenheit war von Sympathisanten der AfD immer wieder die Sorge geäußert worden, dass Kalbitz eher die potenziellen Wähler im Berliner Umland verschreckt, als dass er neue Wähler für „seine Sache“ gewinnen könnte.

Ein anderes Indiz, dass der AfD in Brandenburg ein Grundsatz- und Richtungsstreit bevorsteht, ist die Frage, wie sich die AfD künftig zur NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ auf Landes- und kommunaler Ebene positionieren wird. Einerseits hieß es Anfang der Woche: Die AfD und „Die Heimat“ wollten „erstmals in Brandenburg eine Fraktion in einem Kreistag und in einer Stadtverordnetenversammlung bilden“. Worauf die Tagesschau angab, dass dies vor allem „AfD-Chef Tino Chrupalla zu verdanken“ sei, der aus strategischen Gründen keine Abgrenzung zu den Ultrarechten wünsche. Es geht um drei AfD-Kommunalpolitiker, die in der Stadtverordnetenversammlung Lauchhammer im Landkreis Oberspreewald-Lausitz sowie dem Kreistag von Oberspreewald-Lausitz mit der „Heimat“ eine gemeinsame Fraktion bilden wollen.

Steht der AfD Brandenburg ein Richtungskampf á la Frauke Petry und Jörg Meuthen bevor?

Etwas zu kurz gekommen ist allerdings die Tatsache, dass der Landesvorstand prompt ein Parteiausschluss-Verfahren gegen die drei Mitglieder beschlossen hat, weil eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ den AfD-Statuten zuwiderläuft. Es war ein Sprecher von AfD-Co-Chefin Alice Weidel, der am Dienstag diese Absicht des Bundesvorstands der Öffentlichkeit mitteilte. Wie diese scheinbar widersprüchlichen Aussagen jetzt tatsächlich zu bewerten sind, könnte als offene Frage die kommenden Wochen in Potsdam, aber auch in der Hauptstadt Berlin bestimmen. Nicht wenige erwarten einen Führungskampf, wie ihn einst Frauke Petry und Jörg Meuthen auf Bundesebene (erfolglos) ausgefochten hatten.

Dass es insbesondere zwischen den beiden Parteispitzen Weidel und Chrupalla inzwischen häufiger funkt, ist ein offenes Geheimnis in Berlin. Von einer Arbeitsteilung könne „keine Rede mehr“ sein, sagte ein AfD-Politiker den DWN. Chrupalla habe „leider keinen Weitblick für die Zeit nach den Wahlen“, während Weidel bereits „das Wahljahr 2025 im Visier“ habe, wo es auf Mehrheiten ankommen wird und nicht nur um sture Oppositionspolitik.

Man könnte freilich darin auch die Möglichkeit (und Hoffnung vieler namenloser Parteimitglieder) erkennen, dass Brandenburg im Gegensatz zu Thüringen einen gemäßigten Kurs anstrebt, der womöglich sogar dereinst versöhnliche Brücken zum bürgerlichen Lager schlagen hilft. Den meisten Wählern geht es bekanntlich um Opposition und Widerspruch zur aktuellen Politik in Deutschland. Allerdings nicht um den Umsturz der verfassungsrechtlichen Ordnung, in dem die Gleichheit der Bürger oberste Priorität hat und Rassismus ein Straftatbestand ist - und keine politisch legitime Meinungsäußerung.

Dass es dabei nicht allein um die Positionierung rechts der CDU geht, dürfte den AfD-Parteivorderen mit den Nachwahl-Ergebnissen in den Thüringer Städten und Landtagen klar geworden sein – und natürlich vor allem nach dem guten Abschneiden des BSW von Sahra Wagenknecht bei der Europawahl. Die wird sicher keine gemeinsame Sache mit der AfD machen, solange der völkische Flügel weiterhin die Richtung der AfD bestimmt. Weidel weiß dies, vor allem aber auch der frühere langjährige Chef-Stratege Alexander Gauland. Der war bekanntlich mal ein alter Haudegen der CDU und stets darauf erpicht, konkrete Wege zur Macht zu organisieren. Geschmacklosigkeiten wie SS-Parolen und Hakenkreuze, das weiß Gauland nur zu gut, werden der AfD alle Wege dahin verbauen. Gut möglich, dass diese Einschätzung auch in Brandenburg derzeit die Runde macht.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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