Exodus der Wohlhabenden: chinesische Mittelschicht und Oberschicht verlassen das Land
Wer es sich leisten kann, der geht. In China verlassen immer mehr Menschen aus der Mittel- und Oberschicht das Land. Die verschärfte Gesetzeslage in China, die in allen Lebensbereichen immer mehr Loyalität von den Bürgern fordert, die Wirtschaftskrise, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die geopolitischen Spannungen mit vielen Ländern hinterlassen ihre Spuren. Vor allem Millionäre verlassen das Reich der Mitte (2023 waren es 13.800) und bringen ihr Vermögen bevorzugt in die Vereinigten Arabischen Emirate, die USA, Singapur, Kanada oder Australien.
Experten bezeichnen diese große Millionärsmigration als Indikator, der einen tiefgreifenden Wandel in der globalen Landschaft signalisiert. Es findet eine Verschiebung des Reichtums und der Macht mit Folgen für die zukünftige Entwicklung der Länder, die sie verlassen, aber auch zu denen, die sie ansteuern, statt. Allein in Hong Kong verließen 2023 etwa 500 vermögende Personen die Metropole. Dass auch die Mittelschicht nun in China vermehrt die Flucht ergreift, spiegelt die wirtschaftliche und politische Situation noch deutlicher im Land wider.
Millionärsmigration als Indikator für globalen Wandel
Im Jahr 2021 lebten etwas mehr als 146.000 chinesische Staatsbürger in Deutschland. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen eine signifikante Zunahme der chinesischen Diaspora seit 1967, als weniger als 500 Chinesen in der Bundesrepublik registriert waren. In den letzten 15 Jahren hat sich die Anzahl der chinesischen Bürger in Deutschland etwa verdoppelt. Das hat auch Folgen für die deutsche Wirtschaft. Die Direktinvestitionen aus China haben im Jahr 2010 erstmals die Marke von einer Milliarde Euro überschritten und erreichten zuletzt fast 8 Milliarden Euro. Dabei bevorzugen chinesische Investoren laut der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) größere Unternehmen mit vielen Patenten und zeigen oft Interesse an weniger profitablen und stärker verschuldeten Firmen.
Besonders stark vertreten sind sie im Maschinenbau, wo sie einen Anteil von 28 Prozent ausmachen. Auch in den Bereichen Automotive und Elektronik sind die Anteile zweistellig. Es besteht die Sorge, dass damit eine dominante Position in zentralen Technologiebereichen angestrebt wird. Dabei zeigt sich auch, dass sich die Ausrichtungen chinesischer Unternehmensübernahmen im Ausland signifikant unterscheiden, je nachdem, ob es sich um private oder staatliche Investoren handelt. Staatliche Unternehmen engagieren sich bevorzugt in Branchen, die für die politisch gesetzte Strategie „Made in China 2025“ und die Belt and Road Initiative Schlüsselindustrien darstellen.
Bei den privaten liegt der Fokus nicht darauf. Wie die Deutsche Bundesbank bekannt gab, erhöhten die Unternehmen aus Asien ihr Engagement in Deutschland auch im Jahr 2023 weiter. Auch die Zahlen von Statista dokumentieren diese Investitionen. Bis zum Monat Dezember haben chinesische Unternehmen 2023 in Deutschland insgesamt rund 150 Millionen US-Dollar investiert, etwas weniger als im Vorjahr. Der Kapitalbestand chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland (FDI) bis einschließlich 2023 ist auf rund 52,1 Milliarden US-Dollar angewachsen.
Die Bundesregierung reagiert auf den zunehmenden chinesischen Einfluss
Die Bundesregierung hat auf den zunehmenden chinesischen Einfluss mit stärkeren Kontrollen und verschärften Vorgaben reagiert. Seit 2022 ist die Zahl der chinesischen Investoren laut einer Studie von EY zurückgegangen. Als Investoren spielen chinesische Unternehmen in Deutschland derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Mit nur 26 Transaktionen in Deutschland im Jahr 2022 belegte China Platz 12 im Investorenranking, das von den Vereinigten Staaten und Großbritannien mit 242 bzw. 128 Transaktionen angeführt wurde. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 war China noch der viertwichtigste Investor in Deutschland gewesen. Hohe Hürden für ausländische Beteiligungen gerade in bestimmten kritischen Branchen sowie die zunehmende Konkurrenz durch kapitalstarke Finanzinvestoren wirken sich regulierend aus.
Signifikante Zunahme der chinesischen Diaspora in Deutschland
Die chinesische Community ist auch in Deutschland nicht mehr zu übersehen. Allein in der Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main leben mehr als 10.000 Chinesen. Mehr als 700 chinesische Unternehmen und Institutionen haben Standorte hier, darunter Fluggesellschaften, Banken und große Unternehmen aus den Branchen Automobil, Pharma und Erneuerbare Energien. Das chinesische Generalkonsulat in Frankfurt am Main ist das größte in Europa. Auch in anderen Bereichen wird deutlich, dass Chinesen vermehrt in Deutschland Fuß fassen.
Die Zahl der Kooperationsvereinbarungen zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen stieg von etwa 900 im Jahr 2013 auf knapp 1.400 im Jahr 2019. Auch was die Studienzahlen betrifft, waren Chinesen in den letzten 20 Jahren die größte Gruppe der internationalen Studenten in Deutschland mit über 40.000 Studenten. Dies hat sich im Jahr 2022/23 jedoch geändert. Erstmals machen Inder mit 42.578 Studierenden laut dem Statistischen Bundesamt den größten Anteil an internationalen Studenten in Deutschland aus.
Problematisch waren im Zusammenhang mit chinesischen Studierenden vor allem in jüngster Vergangenheit solche, die über ein Stipendium des China Scholarship Council (CSC) nach Deutschland kamen. Laut Medienberichten erleben diese Studenten eine engmaschige Kontrolle durch den chinesischen Staat, sodass einige deutsche Universitäten reagierten. So nahm die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im vergangenen Jahr keine Promotions-Studierenden aus China mehr auf. Mittlerweile haben sie laut Presseabteilung diese Regelung wieder aufgehoben. Es wurde ein individueller Prüfprozess aufgesetzt. Sieht der Lebenslauf unbedenklich aus, werden chinesische Staatsbürger wieder zum Studium zugelassen.
Auch die Kooperation innerhalb der Wissenschaft hat sich mit China verstärkt. Im Jahr 2020 veröffentlichten mehr wissenschaftliche Autoren mit chinesischer Organisationszugehörigkeit als mit französischer gemeinsame Publikationen mit Autoren aus deutschen Forschungseinrichtungen. Bisher waren Frankreich und die Schweiz wichtige Partnerländer, sie wurden aber mittlerweile von China überholt. Kritisch zu sehen ist dabei ein möglicher unbeabsichtigter Wissensabfluss und eine potenzielle Beeinträchtigung der technologischen Souveränität Deutschlands.
Ecuador führt Visapflicht für Chinesen ein
Wer es sich leisten kann in China, schafft dennoch sein Geld ins Ausland. EU-Länder wie Griechenland oder Spanien sind ebenfalls lukrative Standorte für Chinesen. Sie vergeben Visa an Investoren aus Drittstaaten, die Geld in Immobilien anlegen. Das sogenannte „Goldene Visa“ ermöglicht freies Reisen im gesamten Schengen-Raum. Mit dem Kauf einer Immobilie erhalten die neuen Eigentümer für mindestens fünf Jahre eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Die Folgen sind jedoch steigende Immobilienpreise, die für die Einheimischen unerschwinglich werden. 2023 vergab die griechische Regierung 4231 Aufenthaltstitel an Immobilienkäufer aus Nicht-EU-Staaten. Doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Chinesen standen dabei mit 61 Prozent an erster Stelle.
Auch andere Länder reagieren auf den neuen Zustrom der Auswanderer. Es ist das erste Mal, dass die USA seit fünf Jahren Chinesen zurück in ihr Land schickt. Mit einer großen Chartermaschine wurden unerlaubte Migranten erst kürzlich zurück in ihr Land geflogen. Das war nicht immer so einfach, denn in den letzten Jahren hatten die USA Schwierigkeiten, illegale Staatsangehörige abzuschieben, da China sich weigerte, diese zurückzunehmen, wie The Guardian berichtete. Doch Anfang des Jahres nahmen beide Staaten die Zusammenarbeit in Migrationsfragen wieder auf und seitdem tut sich etwas.
Die Zahl derer, die aus Asien in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten einreisen will, steigt kontinuierlich an. 2023 verhafteten US-Grenzbeamte mehr als 37.000 chinesische Staatsangehörige an der südlichen Grenze, 10-mal so viele wie im Vorjahr. Als Ausgangspunkt für die Einreise in die USA wurde oft Ecuador angesteuert, da hier bisher eine Einreise ohne Visum möglich war. Das Land hat aber mit Wirkung zum 01.07.24 die Visumspflicht für chinesische Staatsbürger wieder eingeführt, nachdem ein großer Zustrom der irregulären Migration beobachtet wurde.