Technologie

E-Helikopter vor der Serienreife? Bei Olympia sind deutsche Flugtaxis über Paris im Test

Lesezeit: 5 min
25.07.2024 16:02
Die deutschen Tüftler und Ingenieure scheinen mal wieder sehr weit vorne zu sein: bei der Entwicklung von umweltfreundlichen Hubschraubern und senkrecht startenden Jets. Bislang schienen Flugtaxis nur etwas für Reiche (und ein Nischenmarkt der E-Mobilität) zu sein. Deshalb waren sie nicht im öffentlichen Fokus. Bei Olympia zeigt ein Hersteller jetzt, was technisch möglich ist.
E-Helikopter vor der Serienreife? Bei Olympia sind deutsche Flugtaxis über Paris im Test
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Dirk Hoke, Geschäftsführer von Volocopter, bei der Eröffnung eines Hangars für elektrisch angetriebene Flugtaxen. (Fotos; dpa)
Foto: Bernd Weißbrod

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Selbst in Frankreich werden ideologische Grundsatz-Debatten ausgefochten wie sonst wohl nur in Deutschland. Vor dem Start der Olympischen Spielen in Paris diese Woche ging es um eine technische Neuerung, die für die einen eine Zukunftsinnovation darstellt, für die anderen nur ein überflüssiges Status-Symbol der Superreichen. Mit dem Helikopter am Stau vorbei? Darüber haben auch die Franzosen erbittert gestritten.

Volocopter bei den Olympischen Spielen mit Genehmigung für Testflüge

Der deutsche Hersteller Volocopter hat sich dennoch durchgesetzt und wirbt aktuell mit Testflügen über der 12-Millionen-Metropole Paris für die Vorzüge seiner E-Helikopter. Die Flugtaxis pendeln von den Airports Charles de Gaulle und Le Bourget zu den Olympia-Stätten im Südwesten der Stadt und zu eigens errichteten VoloCity-Plattformen in der Innenstadt - ohne Passagiere zwar, aber mit einer amtlichen Zulassung.

Aber, da war doch jüngst was mit Volocopter? Richtig! Das Unternehmen aus dem badischen Bruchsal tauchte im Mai 2024 mit Negativmeldungen in den Nachrichten auf, weil beinahe das Geld ausgegangen wäre. Wirtschaftsförderung und Banken taten sich schwer, nachzuschießen in ein politisch (zumindest in Deutschland) so umstrittenes Projekt wie Flugtaxis. 100 Millionen Euro wurden dringend benötigt, um die Insolvenz abzuwenden und überdies hinaus noch ein ausreichendes Polster zu haben, bis der Firma endlich die nötige Musterzulassung für die kommerzielle Verwertung ihres Produkts vorliegt. Die kleinen Helikopter von Volocopter sehen tatsächlich eher wie Drohnen aus, was offenbar weitere Bedenken und größte Zweifel auslöste. Dass sie funktionieren, ist freilich schon länger bewiesen.

Doch Politiker tun sich nun einmal schwer bei ihrer Güterabwägung: Die ökologischen Probleme der Welt werden E-Helikopter oder auch Mini-Senkrechtstarter eher nicht lösen. Gerade mal 800 Kilo schwer sind die Hubschrauber namens VoloCity - es gibt neben dem Piloten nur einen Sitzplatz für den Passagier. „Greenwashing in seiner reinsten Form“, hallten die negativen Kommentare aus dem Rathaus von Bürgermeisterin Anne Hidalgo über den Rhein bis hier nach Deutschland.

Immerhin zeigte sich schließlich Frankreichs Verkehrsminister Patrice Vergriete mutig: „Wir werden mit dieser Weltneuheit während der Spiele experimentieren“, verkündete er stolz, schließlich weiß er, Paris muss sich bei den Olympischen Spielen fortschrittlich präsentieren und offen sein für die Zukunft.

Im Juni konnte Volocopter tatsächlich noch rechtzeitig vor den Spielen Entwarnung melden: Nach wochenlangen Verhandlungen hat die Firma neues Geld von seinen bestehenden Investoren bekommen, um mit seiner Entwicklung weiterzumachen. Bislang zählt das Unternehmen 50 Anteilseigner - darunter sind der chinesische Autohersteller Geely, der amerikanische Chip-Hersteller Intel, Mercedes-Benz und die ursprünglichen Gründer von Volocopter. Wer frisches Geld eingeschossen hat und wie viel genau, dazu gibt es keine Angaben. Sibyllinisch heißt es jedoch, dass es für den Durchbruch reichen sollte.

Maschinen live fliegen zu sehen, schlägt jedes Video und sämtliche Hochglanz-Broschüren

„Für uns und unsere langjährigen Partner ist es natürlich ein großer gemeinsamer Erfolg zu demonstrieren, wie Flugtaxis unter realen Bedingungen im urbanen Umfeld genutzt werden können“, sagt Volocopter-Chef Dirk Hoke. Live dabei zu sein, wie leise der VoloCity durch die Lüfte surrt, ist natürlich viel eindringlicher als jedes Infoblatt oder Video. Auch in Deutschland, den USA oder in Japan in Osaka sind die Helikopter bereits am Himmel zu bestaunen gewesen, freilich nie unter den verschärften Bedingungen wie jetzt in Paris. Die Serienreife scheint greifbar.

Die Genehmigung der zuständigen Europäischen Agentur für Flugsicherheit hat Volocopter leider nicht mehr rechtzeitig erhalten, aber das französische Verwaltungsrecht wies die politischen Bedenken in die Schranken und genehmigte sogar eigens ein schwimmendes Lande-Ponton in der Seine. Der VoloCity-Helikopter ist in den kommenden Wochen damit erstmals unter Realbedingungen am Start und dürfte so international auf größtes Interesse stoßen.

Das Geschäftsmodell lässt sich, wie folgt, beschreiben: ein quicker Lufttaxi-Service für die großen Metropolen der Welt, wie Sao Paulo, Tokio oder New York, wo Helikopter-Shuttle schon jetzt Alltag sind. Als Alternative, um von Nizza nach Saint Tropez zu kommen, wohin es keine Zugverbindung gibt und auch die Wohlhabenden noch immer wie Jedermann im Stau stehen müssen. Überhaupt. Zwischen Airports und Bahnhöfen, großen Hotels und Kongresszentren könnten zahlende Kunden möglichst stressfrei hin und her geflogen werden - am besten natürlich mit CO2-neutralem Strom gefüttert. Start- und Lande-Spots will Volocopter zusammen mit lokalen Partnern gleichfalls aufbauen und betreiben. Europa ist dabei längst nicht so sehr im Visier wie die Mega-Cities in Asien, wo reguläre Taxi-Fahrten vom Zentrum zum Flughafen manchmal über vier Stunden dauern. Hoke betont die Prämisse, dass der Flugtaxi-Betrieb bezahlbar bleiben muss: „Anders wird es nicht funktionieren“, sagt er, ohne jedoch konkret einmal die Höhe von derlei Taxi-Tarifen zu beziffern.

Flugtaxi mal anders: Saudi-Arabien bestellt 100 Senkrechtstarter von Lilium

Lilium ist eine weitere deutsche Flugschmiede, die sich der Elektromobilität am Himmel verschrieben hat und von daher mit Volocopter sowie dem chinesischen Hersteller Ehang um die Pole-Position auf den kurzen Taxi-Strecken kämpft. Das Rennen ist offen, ob sich die kleinen Drohnen-Hubschrauber schneller etablieren können als die etwas komfortableren Mini-Jets, die wie einst die britischen Harrier-Jets als Senkrechtstarter unterwegs sind.

Die Chancen dieser Taxi-Alternative wird durch einen unverhofften Großauftrag aus Saudi-Arabien unterstrichen, den das Start-up aus Weßling bei München just vor wenigen Tagen einheimsen konnte. Die staatliche Fluggesellschaft Saudia Airlines will bis zu 100 der elektrischen Senkrechtstarter erwerben. Die kleinen Elektro-Jets mit bis zu 200 Kilometern Reichweite könnten etwa künftig zwischen Riyadh und dem heiligen Mekka pendeln - mit dem Segen Allahs. Ibrahim Al-Omar von der Saudia-Group sagt: „Diese innovativen Flieger werden ein Game Changer für den Tourismus, den Sport, Entertainment, da sie eine Premium-Reiseerfahrung zu solchen Zielen ermöglichen.“ Es heißt, schon 2026 sollen die ersten Jets ausgeliefert werden. In Finanzkreisen jubeln die Trader schon und sprechen vom Apple-Moment für das in Amsterdam börsennotierte Unternehmen aus Bayern. CEO Klaus Roewe gab zu Protokoll: „Wir haben insgesamt 106 Flugzeuge fest verkauft und 76 Optionen.“ Für 600 weitere der Jets würden Absichtserklärungen (Memorandum of Understanding) vorliegen.

Ehang will Flugtaxis in China ferngesteuert und ohne Piloten betreiben - Verkauf hat angeblich begonnen

Die Nase vorne scheint unterdessen momentan der E-Helikopter-Hersteller Ehang in China zu haben. Dort werden seit diesem Frühjahr bereits die ersten E-Flugtaxis verkauft, so heißt es jedenfalls. In Europa wurde freilich noch keiner gesichtet. In China sollen sie künftig Menschen sogar ferngesteuert durch die Luft ans Ziel bringen - ganz ohne Piloten. Insofern ist das Experiment bei Olympia für Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit des großen deutschen Wettbewerbers Volocopter entscheidend für Wohl und Wehe am internationalen Markt.

Die Lilium-Jets wiederum müssen sich jetzt erst einmal unter den erschwerten klimatischen Bedingungen in der arabischen Wüste beweisen. Man darf gespannt sein, ob die innovativen deutschen Hersteller durchhalten, bis zur endgültigen Marktreife und Skalierung ihres Geschäftsmodells. Zu wünschen wäre, dass Politik auch derlei Nischenprodukte mehr Aufmerksamkeit und Vertrauen schenkt. In der Vergangenheit wurden viel zu viele gute Erfindungen entweder ausverkauft und von ausländischen Konkurrenten sogar einfach abgekupfert.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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