Es war die Katastrophe von Fukushima 2011, die Uran, nach seinem kurzen Boom in den Jahren zwischen 2004 und 2007, bis zum Ende der vergangenen Dekade weit ins Abseits drängte. Kernenergie war unbeliebt, und Uran, der empfindliche Brennstoff, der die Reaktoren antreibt, wurde zu einem verschlafenen Nebenschauplatz auf den globalen Rohstoffmärkten. Doch als der Kampf gegen den Klimawandel auf der politische Agenda immer weiter vorrückte und Regierungen auf der ganzen Welt erneut von der verlässlichen, kohlenstofffreien Energiegewinnung durch Kernkraftwerke angezogen wurden, nahm das Interesse an Uranvorkommen wieder zu - zunächst langsam und dann, nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, in rasantem Tempo. Plötzlich brauchte ein Großteil der Welt eine Alternative zur russischen Energie.
Mittlerweile befinden sich weltweit 61 Kernkraftwerke im Bau, etwa 90 sind in Planung und mehr als 300 weitere vorgeschlagen – nicht jedem ist das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Rückkehr dieser hierzulande politisch abgewürgten Energietechnologie so bewusst. Dabei erleben die Uranpreise vor allem seit Mitte des vergangenen Jahres einen geradezu kometenhaften Anstieg, angesichts nicht mehr zu übersehender Anzeichen für starke Nachfrage in Kombination mit Risiken auf der Angebotsseite. Im Januar erreichte der Urankontrakt an der New Yorker Terminbörse Comex mit 106 US-Dollar pro Pfund den höchsten Stand seit Ende 2007, auf Jahressicht liegt das Plus aktuell bei 84 %.
Weltweiter Boom dank Dekarbonisierung und KI
China gilt als Paradebeispiel, wenn es um die Umgestaltung der Energieerzeugung geht. 2023 installierte das asiatische Land mehr Solarpanels als alle anderen Länder zusammen und führt in dieser Disziplin weltweit mit großem Abstand. Auch die neu zugebauten Windkraftanlagen übersteigen die Vorjahreskapazitäten um mehr als das doppelte. Dass China auch in Sachen Atomkraft führt, wird weniger euphorisch verlautbart, steht jedoch nicht im Widerspruch zum massiven Ausbau grüner Energien. Ganz im Gegenteil, dort wurde verstanden, dass unzuverlässige Energieerzeugungsarten durch verlässliche abgesichert werden müssen, und so plant China allein bis zum Jahr 2040 den Bau von 42 neuen Reaktoren.
Auch Russland, Indien, Kanada bauen zweistellig aus, in Europa sollen 13 neue Kernkraftwerke entstehen. Die schwankenden Preise für fossile Brennstoffe, ehrgeizige Dekarbonisierungsziele sowie die Erwartung eines erheblich steigenden Strombedarfs haben die USA und 21 weitere Länder jüngst dazu veranlasst, bis zum Jahr 2050 eine Verdreifachung ihrer Kernenergie anzukündigen. Im Mittelpunkt der Nachfrageprognosen steht dabei die wachsende Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz, welche enorme Mengen Strom verschlingt. So sehen Prognosen allein für die USA bereits in den nächsten fünf Jahren eine Erhöhung der auf den Megatrend KI fußenden Stromnachfrage um mehr als 80 %., und bereits 2030 dürften die US-Rechenzentren mehr Strom verbrauchen als die Haushalte. Allein damit begründete das amerikanische Energieministerium erst im vergangenen Monat ihre Einschätzung bezüglich des Bedarfs an 200 neuen Reaktoren. Für die zuständige Behörde (Nuclear Regulatory Commisson, NRC) wurde das Ziel ausgerufen, künftig die Genehmigung neuer Atomkraftwerke im Land zu beschleunigen.
Das Angebot ist knapp
Diese Entwicklungen treffen auf eine sich zunehmend verengende Angebotsseite. Zwar gibt es Uranvorkommen überall auf der Erde – von Australien, dem Land mit den weltweit größten Reserven bis nach Kasachstan, dem derzeit größten Produzenten. In der kanadischen Provinz Saskatchewan wird die derzeit vielleicht aussichtsreichste neue Mine erschlossen. In dem vergleichsweise kleinen Gebiet am Rande eines Sees am Süd-West-Rand des Athabasca-Beckens ist das Gestein so reichhaltig, dass die dort lagernde Mineralien genug Kernenergie erzeugen könnten, um mehr als 40 Millionen Haushalte ein Vierteljahrhundert lang zu versorgen. Dennoch wird das nicht ausreichen, es fehlt langfristig schlicht an neuen Produktionsstätten, die die stetig wachsende Nachfrage bedienen könnten. Die jetzigen können diesen Bedarf nicht befriedigen. Neue, wie jene in Kanadas unwirtlichem Norden, sind zwar im Bau, jedoch insgesamt zu wenige und zudem zu kleine.
Selbst konservative Prognosen sehen die Urannachfrage schon Ende der 2020er Jahre bei 250 Mio. Pfund pro Jahr – dem stünden aktuell nur etwa knapp die Hälfte an Angebot gegenüber. Dass sich dieses Missverhältnis auflösen wird, ist nicht zu erwarten, der Uranmarkt dürfte selbst langfristig tief im Defizit verbleiben, neue Preisspitzen scheinen unvermeidlich. Selbst die gewaltigen australischen Reserven, diese belaufen sich mit 1,7 Millionen Tonnen auf mehr als die doppelte Menge des weltgrößten Produzenten Kasachstan, bieten keine Perspektive. Da das Land über keinerlei nukleare Vorgeschichte verfügt, müsste es bei null beginnen, ohne qualifizierte Arbeitskräfte oder Industriegiganten, auf die es sich stützen könnte.
Hinzu kommt die Frage der Geschwindigkeit. Australien muss seine alternde Kohleflotte sehr schnell ersetzen, bis Mitte des nächsten Jahrzehnts. In dieser Zeit eine Kernenergieinfrastruktur aufzubauen wäre sehr ambitioniert. Zumindest in der westlichen Hemisphäre dauern derartige Projekte mindestens 10 Jahre, wobei Zeitpläne und Budgets dabei regelmäßig überschritten werden. Die weitgehende Isolierung Russlands verschärft die Versorgungsengpässe noch. Nicht nur, dass die europäischen Länder händeringend nach alternativen Brennstoffen suchen, um das russische Erdgas zu ersetzen, mit dem viele der hiesigen Elektrizitätswerke betrieben werden. Auch bei rohem und angereichertem Uran waren sie, wie auch die übrige Welt, auf Russland angewiesen.
Boom & Bust?
Momentan scheint die Wette auf den Uransektor und dessen Renaissance als bedeutender Energieträger als sichere Bank. Die Geschichte ist jedoch nicht arm an Beispielen dafür, dass ein solcher Boom auch abrupt enden kann. Einst blühende Minenstädte sind heute kaum mehr als Geisterstädte. Das nicht weit vom aktuellen Förderprojekt in der Provinz Saskatchewan befindliche Uranium City hatte der letzten Zählung im Jahr 2016 zufolge noch eine Einwohnerzahl von gerade einmal 73. In den guten Zeiten der Uranindustrie lebten dort rund 3.000 Menschen. Im Moment scheint eine Uran-Pleite nur eine entfernte Sorge zu sein, jedoch bräuchte es nur einen weiteren größeren Unfall, um die neu entdeckte Begeisterung für die Kernenergie ernsthaft auf die Probe zu stellen. Und selbst wenn die Welt von einer weiteren Kernschmelze verschont bliebe, die heikle Frage, wie - und wo - die radioaktiven Abfälle entsorgt werden sollen, ist nach wie vor ungeklärt und weiterhin eine der größten Schwachstellen der Industrie. Kann dieses Problem nicht zeitnah gelöst werden, dürften auch die kritischen Stimmen wieder mehr und mehr gehör finden.
Auch sollte das derzeitig grundsätzlich positive Sentiment gegenüber der Urannutzung nicht darüber hinweg täuschen, dass die Vorbehalte keineswegs verschwunden sind. Sogar in Kanada, das bald die Nummer eins unter den Uranproduzenten der Welt sein könnte, gibt es kräftigen Gegenwind. Zwar hat Premierminister Justin Trudeau den Uranabbau kürzlich zu einem Schlüsselelement des Netto-Null-Emissionsplans gemacht und sich die dortige Politik im Großen und Ganzen darauf eingestellt. In einzelnen Provinzen, wie British Columbia, das wie Saskatchewan reich an natürlichen Ressourcen ist, gilt jedoch noch immer ein Verbot für den Abbau des Metalls und auch für den Bau von Kernkraftwerken.