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Negativ-Rekord: Millionen Menschen in Deutschland ohne Berufsabschluss!

Lesezeit: 3 min
09.08.2024 11:01
Ausbildungsmisere trifft Fachkräftemangel: Zahlreiche Maßnahmen sollen junge Menschen in Berufe bringen. Erfolglos, denn fast drei Millionen haben in Deutschland überhaupt keinen Berufsabschluss – weder eine abgeschlossene Ausbildung noch einen Studienabschluss. Wie kann das sein? Wie der Staat dabei draufzahlt und wie ein neues Gesetz eine Gleichstellung auch ohne formalen Abschluss möglich machen will. Zweite Chance oder Qualitätsverlust?
Negativ-Rekord: Millionen Menschen in Deutschland ohne Berufsabschluss!
Kein Zugang zum Arbeitsmarkt: Nachdem die Zahl der jungen Menschen ohne Berufsabschluss zuletzt immer weiter angestiegen ist, bilden die aktuellsten Zahlen für das Jahr 2022 einen neuen Rekord. 19 Prozent der 20- bis 34-Jährigen sind betroffen. (Foto: dpa)
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Die berufliche Aus- und Weiterbildung bildet eine wesentliche Grundlage für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Leider steigt die Zahl junger Menschen (zwischen 20 und 34 Jahren), die keinen Berufsabschluss haben, weiter auf fast drei Millionen. Das geht aus dem Berufsbildungsbericht 2024 hervor.

Die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss ist schon zuletzt immer weiter angestiegen, die aktuellen Zahlen für das Jahr 2022 sind nun wieder ein Rekord. Das ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem. Denn dieser Rekord trifft auf einen anderen Rekord – den bei der Zahl der fehlenden Fachkräfte. Und es kostet den Staat jede Menge Geld, wenn junge Menschen den Sprung in einen Ausbildungsberuf nicht schaffen.

Keine Ausbildung: Ursache für Fachkräftemangel?

Bei vielen Jugendlichen in Deutschland steht mit dem Verlassen der Schule die große Frage an: Was will ich werden? Die Auswahl ist immens. Allein in der klassischen dualen Ausbildung kann aus über 360 Berufen gewählt werden. Hinzu kommen unzählige Studiengänge. Für die Betroffenen ist das die Qual der Wahl – für die Behörden geht es um Defizite bei der Steuerung und Qualität der Angebote.

Immer mehr jungen Menschen gelingt der schwierige Übergang zwischen Schulabschluss und Berufsausbildung nicht: 2022 hatten fast 2,9 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss – also weder eine abgeschlossene Ausbildung noch einen Studienabschluss. Das entspricht etwa 19 Prozent der Altersgruppe.

Dreiviertel haben auch keinen Schulabschluss

Für jeden Jugendlichen gibt es individuelle Gründe, warum der Übergang von der Schule zum Berufsabschluss scheitert. Es gibt allerdings auch statistische Gemeinsamkeiten: Drei Viertel der jungen Menschen ohne Berufsabschluss haben auch keinen Schulabschluss. Die Hälfte von ihnen besuchte Förderschulen. Unter ihnen haben überproportional viele einen Migrationshintergrund. Und es sind mehr junge Männer als Frauen betroffen.

Klaus Klemm, emeritierter Professor für Bildungsforschung, kennt diese Statistiken seit langem. „Wir haben bei der Quote der jungen Leute, die keinen Schulabschluss haben, seit vielen Jahren Werte um sechs, jetzt sogar 6,9 Prozent. Deutschlandweit. Da gibt es Länderunterschiede, aber immerhin 6,9 Prozent. Das sind mehr als 50.000 Leute jedes Jahr, die die Schule ohne den Mindestabschluss, den Hauptschulabschluss, verlassen. Und wer keinen Hauptschulabschluss hat, hat kaum eine Chance, ein Ausbildungsverhältnis anzutreten.“

Bei anderen ist der Notenschnitt beim Schulabschluss so schlecht, dass die Betriebe sie nicht akzeptieren. Viele brechen auch eine Ausbildung ab, und beginnen keine neue. Jugendliche mit Migrationshintergrund laufen laut Statistik überproportional häufig Gefahr, keinen Berufsabschluss zu machen.

Bibb: Fast 200 staatliche Maßnahmen

Weil das Problem nicht neu ist, wird sehr viel getan, um junge Menschen vor allem im Übergang von der Schule zum Ausbildungsplatz zu unterstützen. Es gibt hunderte Angebote, sagt Frank Neises. Er ist zuständiger Experte beim Bundesinstitut für berufliche Bildung (Bibb): „Wir zählen im Moment 160 Programme von Bund und Ländern in den Handlungsfeldern Berufsorientierung, Berufsvorbereitung, Übergangsmanagement. Dahinter verbergen sich so Angebote wie Beratung, Vermittlung, Trainingscoachings.“ Hinzu kämen noch rund 115 schulische Bildungsgänge, bei denen es berufsqualifizierende Abschlüsse gebe.

Berufsvalidierungsgesetz als Alternative?

Zusätzlich hat die Bundesregierung mit breiter Mehrheit das sogenannte Berufbildungsvalidierung- und digitalisierungsgesetz (BVaDiG) verabschiedet – mit dem Ziel, die berufliche Handlungsfähigkeit, die unabhängig von einem formalen Berufsausbildungsabschluss erworben wurde, festzustellen, zu bescheinigen und „im System der beruflichen Bildung anschlussfähig zu machen“.

Die Regierung verspricht sich, mit der Reform den Arbeitsmarkt zu stärken und den Fachkräftemangel zu reduzieren. Friedhelm Boginski (FDP) Lehrer und Mitglied im zuständigen Ausschuss: „Mit dem Feststellungsverfahren geben wir Menschen ohne formalen Berufsabschluss die Möglichkeit, ihre Kompetenzen bewerten zu lassen.“ Auch nehme die Bedeutung nicht formaler Kompetenzen am Arbeitsmarkt nehme zu. Letztlich gehe es um die Frage, was in den Betrieben gebraucht werde.

Der Handwerksverband begrüßt das Gesetz, fordert von der Bundesregierung aber schnellstmöglich die dazugehörige Verfahrensordnung und eine Verschiebung des Inkrafttretens um ein Jahr, um eine hohe Verfahrensqualität und den Aufbau belastbarer Umsetzungsstrukturen sicherzustellen zu können. „Die zuständigen Kammern bräuchten Klarheit darüber, wie die Prüfung in der Praxis umzusetzen ist“, so ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke.

Berufserfahrung auch ohne Ausbildung möglich

Der Bundesrat hat im Juli das Berufsvalidierungsgesetz abgesegnet, das die formale Feststellung von Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die ohne vorherige Ausbildung im Berufsleben gesammelt wurden, als Berufserfahrung anerkennt. Damit können Personen ab 25 Jahren eine beruflich verwertbare Bescheinigung erhalten, auch wenn sie keinen Abschluss haben. Ziel dieser Validierung ist es, Kompetenzen sichtbar und verwertbar zu machen und berufliche Lebensläufe zu honorieren. Voraussetzung sind Erfahrungen über den anderthalbfachen Zeitraum gegenüber der Ausbildungszeit.

Der Bundesrat bekräftigte die Forderung, auch vom ZDH, einen solchen Anspruch auf ein Feststellungsverfahren erst ab dem 1. Januar 2026 zu schaffen.

Qualitätsverlust oder zweite Chance?

Eine Berufsvalidierung bringt eine Gleichstellung für Menschen ohne formalen Berufsabschluss. Was sicher für einige neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt bringt. Aber es birgt auch das Risiko, dass junge Menschen keinen Sinn mehr in einer klassischen oder dualen Berufsausbildung sehen. Junge Leute könnten sich ermuntert fühlen, auf eine reguläre Ausbildung zu verzichten und sich ihre praktischen Erfahrungen später bescheinigen zu lassen. Die Frage ist auch, ob ein Qualitätsverlust und eine Abwertung anerkannte Berufe entsteht. Besser ist vorbeugen, und zwar noch in der Schule – mit einem praxisnahes, früh einsetzendes und kontinuierliches Angebot zur Berufsorientierung. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels sind fast drei Millionen junge Menschen ohne formale Qualifikation ein immer größer werdendes gesamtwirtschaftliches Problem.

 

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.


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