Weltwirtschaft

Konkurrenz am E-Auto-Markt: Wie China und Russland gemeinsame Sache machen wollen

Lesezeit: 5 min
07.08.2024 17:56
Die Automobilbranche steht vor einem Wandel: Elektroautos sind auf dem Vormarsch. Während Tesla und etablierte Hersteller dominieren, überrascht Russland mit einem ehrgeizigen Plan. Ab 2025 will das Land, in Zusammenarbeit mit China, den globalen Elektroautomarkt erobern. Mit dem innovativen Modell „Atom“ und vereinten Kräften könnte diese unerwartete Partnerschaft für Furore sorgen. Wird Russland mit Chinas Hilfe erfolgreich sein oder scheitert das ambitionierte Projekt? Und was heißt das für den Industriestandort Deutschland?

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Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Elektroauto“ hören? Wahrscheinlich an Tesla – die Marke aus den USA, die oft als Synonym für Elektrofahrzeuge gilt. Danach kommen einem vielleicht deutsche, chinesische oder japanische Modelle in den Sinn. Aber russische E-Autos? Davon haben Sie bestimmt noch nie gehört. Putins Traum soll jetzt wahr werden!

Russland plant in die Produktion von Elektroautos einzusteigen – und das bereits ab 2025. Russland hat hierfür bereits einen Kooperationspartner gefunden: der hyperaktive Nachbar aus Fernost – die Volksrepublik China. Angesichts der aktuellen Entwicklungen, wie den erhöhten Strafzöllen der EU, ist diese Zusammenarbeit wenig überraschend.

Russland bringt Kapital (sowie ein von langer Hand geplantes Projekt) in die Partnerschaft ein – das Fahrzeug wurde im Mai erstmals öffentlich in Moskau ausgestellt. Der Wagen heißt „Atom“ (so sieht das Auto aus, Quelle: die russische Agentur für internationale Informationen RIA Novosti).

Er soll weltweit Kunden finden, so die Hoffnung der Russen, auch auf dem chinesischen Markt. Vor allem jedoch soll das Fahrzeug vorerst in China hergestellt werden, weil Russland dafür bislang keine geeigneten Werkshallen unterhält. Ob es ein Geschäft auf Gegenseitigkeit ist, wird sich zeigen müssen. China und Russland scheinen an den gemeinschaftlichen Nutzen zu glauben und hoffen, künftig zusammen ihre Präsenz beider Länder im globalen Elektroautomarkt zu stärken. Wird Russland Erfolg haben und wirklich im Elektro-Automarkt Fuß fassen können? Deutschland bekommt, ganz unerwartet, damit Konkurrenz im Osten Europas.

Russisches Elektroauto „Atom“: Wo die russische Wirtschaft Chancen sieht

Das russische Elektroauto „Atom“ wurde vom Start-up „Kama“ 2023 auf der ersten russischen Plattform für Elektrofahrzeuge entwickelt. „Kama“ wurde von Sergey Kogogin, Generaldirektor und Miteigentümer des größten Lkwherstellers „Kamaz", sowie Ruben Wardnjan, der zuletzt als Ex-Regierungschef der international nicht anerkannten Republik Arzach (Bergkarabach) für Schlagzeilen sorgte. Investitionen in das Projekt stammen auch von „Rosatom“ mit 6,2 Milliarden Rubel (umgerechnet rund 66 Millionen Euro). Viel Geld in Russland - aus deutscher Sicht nichts, was deutschen Managern Angst bereiten wird. Aufmerksam sollten sie trotzdem sein. Insgesamt wurden von 2021 bis 2023 bereits 24 Milliarden Rubel investiert. Davon kamen 14 Milliarden Rubel von privaten Investoren. Für dieses Jahr sind weitere 31 Milliarden Rubel eingeplant. Dass die russische Staatsbank zuschießt, wenn es läuft, gilt Beobachtern als sicher.

Der „Atom“ soll in sieben Sekunden auf 100 km/h beschleunigen und eine Reichweite von 500 km haben. Die Abmessungen des Fahrzeugs werden mit rund 4 Meter Länge, 1.78 Meter Breite und 1,61 Meter Höhe angegeben. Das Design stammt von einem italienischen Designbüro, schreibt die russische Nachrichtenagentur rbc.ru.

Was ist die Grundlage der Zusammenarbeit?

Der russische Direktinvestitionsfonds (RDIF) und „Kama“ haben sich mit der chinesischen XY Group („Xuan Yuan“) auf eine Partnerschaft geeinigt, um das Elektroauto „Atom“ in China zu vertreiben und dort auch ein Forschungs- und Entwicklungszentrum zu schaffen. Die Zusammenarbeit soll dazu beitragen, das „Atom“ auf dem chinesischen Markt zu etablieren und industrielle Kapazitäten in Harbin aufzubauen, schreibt die Agentur interfax.ru.

Kirill Dmitriev, Geschäftsführer des Investitions-Fonds, betonte, dass diese Herstellung in China den internationalen Markteintritt des russischen Unternehmens unterstützen und zusätzliche technologische Möglichkeiten eröffnen werde. Xue Hailong, Exekutivpräsident der XY Group, hob das Potenzial und die Marktchancen des russischen Fahrzeugs hervor und kündigte eine enge Zusammenarbeit mit der russischen Seite an.

Der russische Fonds hat kürzlich eine Vertretung in Harbin eröffnet und dabei weitere Investitionen in das „Atom“-Projekt in Aussicht gestellt. Die XY Group, ein multinational mit Niederlassungen aufgestelltes Unternehmen, engagiert sich für internationalen Handel, bei Bauprojekten und die Errichtung von Produktionsanlagen. Das chinesische Unternehmen ist schon länger in Russland und den sogenannten GUS-Staaten tätig. Man könnte vermuten, dass ihr Vorbild die deutsche Automatisierungsindustrie ist, die Chinas einst Produktionsstraßen konzipiert und ausgestattet hat. Jetzt scheint China bereit, selbst zum Player und zur Konkurrenz des deutschen Mittelstands zu werden.

Ambitioniertes Projekt oder ein teures Spielzeug Putins?

Das neueste Elektroauto-Projekt aus Russland, der „Atom“, steht in Russland im Mittelpunkt hitziger Diskussionen. Manche russische Experten zeigen sich skeptisch und zweifeln daran, dass das Projekt erfolgreich sein wird – sowohl im Inland als auch auf dem internationalen Markt.

Der leitende Analyst des Fonds für nationale Energiesicherheit und Experte der Finanzuniversität bei der russischen Regierung, Igor Juschkov, äußert sich kritisch:

„Warum sollte man ein neues Elektroauto entwickeln, wenn es bereits etablierte Modelle gibt? Das Vorhaben wirkt riskant und es ist fraglich, ob es sich in Russland massenhaft durchsetzen wird.“

Ähnlich sieht es Maxim Rakitin, Chefredakteur von einer Webseite über Autos namens Quto.ru. Er ist überzeugt, dass der Markt bereits gut mit Elektroautos versorgt ist und viele Käufer auf einfache, funktionale Modelle setzen, um ihren alltäglichen Bedarf zu decken. Das „Atom“ hingegen wird als Nischenprodukt mit aufwendigem Design und hohem Preis vorgestellt, was seine Erfolgsaussichten sowohl auf dem heimischen als auch internationalen Markt schmälert. Rakitin zweifelt auch an, ob Russen sich das Fahrzeug werden leisten können.

Es ist verständlich, warum Russland technologisch auf China angewiesen ist, da im Land die benötigten Komponenten und Bauteile fehlen. Alexander Frolov, stellvertretender Generaldirektor des Instituts für Nationale Energie, informierte die verblüffte Öffentlichkeit darüber:

Es scheint, dass in Russland trotz der leistungsstarken Produktionsstätten, die im Werk Moskwitsch“ [das erste Projekt aus Russland im Bereich Elektroautos] geschaffen wurden, wo der Atom montiert werden soll, nicht alles gelingt, nicht wahr? Was China betrifft, so kann man dies unterschiedlich interpretieren. Zum Beispiel: Unser Auto wird in China produziert, das ist ein Erfolg! Tatsächlich liegt das Problem natürlich im Mangel an heimischen Komponenten.

Ein Elektroauto-Projekt in Russland ist bereits gescheitert

Die russische Firma „Kama“ muss nun aktiv werden, um ihre Kunden und Investoren zufriedenzustellen. Erste Investitionen sind bereits getätigt, und das Unternehmen hat in Russland bereits erste Vorbestellungen entgegengenommen – angeblich 105.000 Fahrzeuge.

Es stellt sich die Frage: Wird der „Atom“ ein erfolgreicher Neuzugang im Elektroauto-Segment oder bleibt der Wagen ein teures Spielzeug, das letztendlich kaum auf den Straßen zu sehen sein wird? Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum beteiligt sich China an dieser Kooperation tatsächlich? Gibt es anderweitige Kompensationsgeschäfte.

Russland unternimmt nicht seinen ersten Versuch mit Elektroautos: Ein anderes russisches Elektroauto, der „Moskwitsch 3e“, wird bereits in Russland verkauft. Um den Verkauf zu fördern, wurde dieses Modell in ein staatliches Förderprogramm aufgenommen, das Rabatte auf Elektroautos gewährt. Trotz dieser Rabatte blieben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Jahresende wurden lediglich etwa 2.000 Fahrzeuge verkauft. Sergei Kogogin, Generaldirektor der PJSC „Kamaz“, dem technologischen Partner von „Moskwitsch“, führt dies auf die verspätete Genehmigung der Subventionen zurück. Der „Moskwitsch 3e“ wurde erst im Juli 2023 in das Förderprogramm aufgenommen.

China: Langfristige Strategie oder Fehlentscheidung?

Deutschland und Russland haben eine lange Geschichte wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Deutsche Unternehmen haben erhebliche Investitionen in Russland getätigt und dort Produktionsstätten errichtet. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern pflegte Deutschland intensive Handelsbeziehungen zu Russland. So entfielen im Jahr 2013 rund 30 Prozent aller Exporte der EU nach Russland auf Deutschland.

Deutsche Automobilhersteller wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz haben in Russland Werke gebaut, um Fahrzeuge direkt vor Ort zu produzieren. Volkswagen betrieb beispielsweise ein großes Werk in Kaluga, etwa 170 Kilometer südwestlich von Moskau, das im Mai 2023 an ein russisches Unternehmen verkauft wurde. Auch Unternehmen aus anderen Branchen, wie etwa der Pharmakonzern Bayer, waren in Russland aktiv und haben dort Produktionsanlagen aufgebaut. Im Jahr 1876 eröffnete Bayer eine Farbstofffabrik in Moskau, was die erste Produktionsstätte des Unternehmens außerhalb Deutschlands darstellte.

Nach den Ereignissen von 2022 wurde diese Kooperation zwischen Deutschland und Russland jedoch unterbrochen. Doch wie das Sprichwort sagt: „Jeder Topf findet seinen Deckel.“ Es ist möglich, dass China diese Gelegenheit nutzt, um eine größere Rolle in Russland zu übernehmen – möglicherweise sogar in Bereichen, die über die E-Auto-Branche hinausgehen. Vielleicht strebt China an, Deutschlands Platz einzunehmen. Dies könnte der Beginn einer bedeutenden Entwicklung sein.

Ein Hinweis darauf ist bereits erkennbar: Der Russische Direktinvestitionsfonds (RDIF) wird ein Büro im chinesischen Harbin eröffnen, wie der Leiter des Fonds, Kirill Dmitriev, mitteilte. Eine der Hauptaufgaben dieses Büros wird die industrielle Kooperation und die Förderung russischer Unternehmen auf dem chinesischen Markt sein, sagte er. Vielleicht hat China eine gut durchdachte Strategie, die sich schließlich in etwas Globales verwandeln wird.

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Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.


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