Unternehmen

Auf Kollisionskurs: Industrie gegen neue Netzentgelte der Bundesnetzagentur

Die Bundesnetzagentur will künftig auf variable Netzentgelte setzen, um flexiblere Stromabnahmen zu fördern. Die Industrie ist wenig begeistert und warnt vor einer weiteren Schwächung des Standorts Deutschland.
18.08.2024 12:36
Aktualisiert: 18.08.2024 16:03
Lesezeit: 2 min

Die Bundesnetzagentur (BnetzA) will ab dem 1. Januar 2026 mit variablen Netzentgelten einen flexibleren Strombezug der Industrie fördern. Ziel der Regelung sei es, zusätzliche Maßnahmen zur Netzstabilisierung zu vermeiden. Stattdessen sollen Unternehmen Anreize erhalten, ihren Stromverbrauch flexibel an die jeweilige Netzsituation anzupassen. „Die alten Netzentgeltrabatte werden den Anforderungen eines Stromsystems mit hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung nicht mehr gerecht“, erklärt BnetzA-Präsident Klaus Müller.

Geht es nach dem Willen der BnetzA sollen Industrie und Gewerbe niedrigere Netzentgelte zahlen, wenn sie in Zeiten hohen Stromangebots mehr Strom verbrauchen. Umgekehrt erhalten sie eine Reduzierung der Netzentgelte, wenn sie in Zeiten eines knappen Stromangebots weniger Strom verbrauchen. Damit leitet die Behörde einen Umbruch für industrielle Verbraucher ein, wobei die genauen Details noch offen sind. Bisher werden die Netzentgelte überwiegend pauschal berechnet, unabhängig von der aktuellen Netzsituation.

Neue Regeln, alte Sorgen: Flexibilität gefragt!

Die regulatorische Novelle der Netzentgelte ist jedoch nur eine Seite der Medaille Mittelstand. Denn mit der zunehmenden Einspeisung erneuerbarer Energien in die deutschen Stromnetze steigt auch die Komplexität der Netzsteuerung. Das stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, die zusätzlichen Kosten für die Stabilisierung des deutschen Stomnetzes zu tragen, was insbesondere die energieintensiven Industrien treffen dürfte.

„Mit dem Anstieg des Anteils variabler erneuerbarer Energien wird es für Netzbetreiber und -designer zunehmend dringlich, vier zentrale Herausforderungen zu bewältigen: Ressourcenzuverlässigkeit, Netzkapazität, Frequenzstabilität und Spannungsstabilität“, heißt es dazu in einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey über die Integration erneuerbarer Energien in Stromnetze. So komme es in Regionen mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien schon heute zu einer erhöhten Systeminstabilität, die hohe Investitionen in neue Netzinfrastrukturen und flexiblere Systemlösungen erforderlich mache.

Kostenfalle Netzentgelt: Wer zahlt die Rechnung?

Deutsche Industrieverbände warnen in diesem Zusammenhang vor erheblichen Nachteilen im internationalen Wettbewerb. So sieht Stefan Kapferer, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Gefahr, dass Investitionen energieintensiver Unternehmen bald ins Ausland abwandern: „Die deutsche Industrie muss mit erheblichen finanziellen Belastungen rechnen, wenn die neuen Regelungen in Kraft treten. Das könnte dazu führen, dass Unternehmen in Länder mit günstigeren Bedingungen abwandern“, sagte Kapferer der Nachrichtenplattform Clean Energy Wire (CLEW).

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat bereits deutlich gemacht, dass die Neuregelung die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gefährden könnte und der deutschen Industrie Milliardenverluste drohen. In einem kürzlich veröffentlichten Papier warnt der BDI vor einem möglichen Verlust von bis zu 50.000 Arbeitsplätzen, sollte die Neuregelung ohne Anpassungen umgesetzt werden.

Vor allem die energieintensive Industrie verlangt seit Längerem Nachbesserungen an der geplanten Neuregelung und beklagt den politischen Status Quo. „Je länger diese Situation andauert, desto mehr müssen wir mit der Stilllegung weiterer Anlagen rechnen“, warnte Dr. Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), bereits im Dezember 2023 in einer VCI-Pressemitteilung.

Die Bundesnetzagentur sieht indes keinen Grund zur Panik und verweist auf notwendige Anpassungen zur Sicherung der Netzstabilität. „Dabei soll keine Überforderung der Letztverbraucher erfolgen, sondern das tatsächlich vorhandene und künftig erreichbare Flexibilitätspotential realisiert werden“, heißt es dazu von der BnetzA. Noch bis 18. September wolle man mit Branchenvertretern den intensiven Austausch suchen, ehe die Regelung am 1. Januar 2026 in Kraft treten soll.

Rettungsanker gesucht: Industrie fordert Entlastung

Neben den Netzentgelten sind in den vergangenen Jahren auch die Energiekosten kontinuierlich gestiegen, was sich direkt auf die Preise der Endprodukte und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auswirkt. Unternehmen müssten daher immer häufiger Effizienzmaßnahmen ergreifen, um die steigenden Energiekosten zu kompensieren, erklärt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), in einem Interview mit Clean Energy Wire. „Die Strompreise werden in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen, was die Industrie vor große Herausforderungen stellt.“

Die Unternehmen seien daher in intensiven Gesprächen mit der Regierung, um Lösungen zu finden, so der BEE. Dabei gehe es nicht nur um kurzfristige Entlastungen, sondern um langfristige Strategien zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Ein Vorschlag in den Verhandlungen ist die Einführung eines speziellen Industriezonentarifs, der vor allem energieintensive Unternehmen entlasten soll. Ob und wie dieser Vorschlag umgesetzt wird, ist jedoch offen.

Die Unsicherheit über die zukünftigen Netzentgelte wirkt sich schon jetzt auf Investitionsentscheidungen aus. Viele Unternehmen zögern, neue Projekte zur Energiewende in Deutschland in Angriff zu nehmen, solange es keine klaren Regelungen gibt.

 

 

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