Frankreich in der Hängepartie
Die Hängepartie nach den Parlamentswahlen in Frankreich dauert an. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die bisherige Regierung im Sattel halten können: Diese ist allerdings nur noch geschäftsführend im Amt. Die Übergangszeit bis zur Konsolidierung einer neuen, stabilen Regierung könnte noch bis zum Ende der Olympischen Spiele andauern.
Zwar hat das in den letzten Tagen noch zerstrittene Linksbündnis eine Kandidatin für das Amt der Premierministerin ausgemacht; so soll Lucie Castets Regierungschefin werden. Die Noveau Front Populaire (NFP), ein Zusammenschluss aus Kommunistin, Grünen, Sozialisten und La France Insoumise, eine linkspopulistische bis -radikale und EU-skeptische Partei unter dem Vorsitz Jean-Luc Mélenchons, entschieden sich für die Kandidatin.
Es soll Bewegung in die zähen Verhandlungstage kommen. Doch Castets allein wird die politische Misere Frankreichs nicht lösen können. Zwar gab sich die Kandidatin beim französischen RTL selbstsicher: „Im Parlament schaffen wir […] Mehrheiten mit der ganzen Welt, bis auf den ‚Rassemblement National, RN‘, und verfolgen dabei nur ein Ziel: Das Leben aller Menschen besser zu machen.“ Doch bis auf die kategorische Ablehnung des RN ist es fragwürdig, ob die junge Politikerin ihrem Versprechen gerecht werden kann.
Nicht nur scheinen Macrons zentristische Allianz „Ensemble pour la République“ und der RN Castets ablehnend gegenüberzustehen. Auch erwarten die Politiker in schwierige Debatten mit anderen Teilen der NFP, in der zuweilen überhöhten sozialistischen Forderungen laut werden. Ambitionierte Programme Castets´ wie die Erhöhung des Mindestlohns auf 1.600 Euro, die Aufhebung von Asyl-, Einwanderungs- und Rentengesetz sowie die Herabsetzung des Renteneintrittsalters erfordern zudem einen starken Haushalt — über den Frankreich schlichtweg nicht verfügt.
Der linksradikale Politiker Jean-Luc Mélenchon segnete die Wahl Castets ab, obwohl sie bis dato kaum bekannt war. Ein Grund dafür soll auch darin liegen, dass Castets Mélenchon nicht in seiner Führungsrolle bedrohen würde, die er eventuell ab 2027 als frisch gewählter Präsident innehaben könnte. Castets muss indessen die NFP als geeinte Macht präsentieren und zugleich Macron davon überzeugen, sie gegebenenfalls als Premierministerin zu ernennen. Letzterer will „nicht mit der Partei LFI“ regieren, sodass eine Annäherung schwierig werden könnte.
Deutschland und Frankreich: Partner in der Krise?
In den Pariser Olympiastadien werden mittlerweile Abgeordnete aus dem linken Flügel des Macron-Lagers gesehen, die sich mit der NFP kurzschließen wollen. Ob die Konsolidierung zwischen der NFP und dem Lager Macron funktionieren wird, bleibt abzuwarten. Doch eines ist sicher: Die derzeitige Hängepartie in Frankreich könnte fatale Folgen nach sich ziehen. Macron muss sich nämlich entscheiden, ob er Castets akzeptiert und seine Sparmaßnahmen für ihre zugegebenermaßen sozialistische Agenda zurückfährt, oder ob er sie fallenlässt und dafür den Zorn der Linken auf sich zieht, während der RN als Oppositionspartei Profit aus dem folgenden Chaos ziehen könnte.
Beide Fälle sind ungünstig für die Stabilität Frankreichs als wichtige europäische Macht an Deutschlands Seite, die lange die ideelle Führung des Wirtschaftsraums übernommen hatte. Schon jetzt wachsen die strukturellen Probleme zwischen den beiden wichtigsten Volkswirtschaften der EU — und die politische Misere beider Länder könnte langfristig für die EU gefährlich werden.
Frankreich: Der neue kranke Mann Europas?
Dabei bräuchte Deutschland insbesondere jetzt einen zuverlässigen und stabilen Partner. Denn derweil zittern Demoskopen in der BRD vor den Wahlen am 1. September: Hier könnten AfD und BSW das politische Geschehen aufwirbeln und ebenso für Instabilität sorgen. Links, Rechts und Mainstream kämpfen derzeit in beiden Ländern um die Deutungshoheit. Das daraus entstehende Chaos könnte den gesamten europäischen Raum gefährden.
So konstatiert Emmanuel Martin, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Aix-Marseille und dem Katholischen Institut der Vendée in Frankreich: „Frankreich, das jahrelang eine wirtschaftliche Bremse war, ist nun auch hinsichtlich der öffentlichen Finanzen zu einem Risiko geworden. Frankreich und Deutschland leiden unter einer Form der Trägheit, die eine Herausforderung darstellt.“
Beide Länder kämpfen mit ähnlichen Problemen: Die Inflation drückt den Konsum, öffentliche Ausgaben werden eingeschränkt und die Exporte beider Nationen ins nichteuropäische Ausland stagnieren. Zeitgleich gehen die geburtenstarken Jahrgänge beider Länder in Rente, während die Geburtenrate weit unter dem Bestandserhaltungsniveau liegt. Der größtenteils selbst verschuldete Anstieg der Energiekosten bringt zudem sowohl Paris als auch Berlin in die Bredouille.
Doch Frankreichs Situation dürfte um einiges problematischer sein als die Deutschlands. Während hierzulande zwar eine Reindustrialisierung auf sich warten lässt und ein gewisser Wohlstandsverlust durchaus spürbar ist, sprechen doch eine niedrige Arbeitslosigkeit und der Handels- und Haushaltsüberschuss für sich. Berlin hat einen deutlich größeren Spielraum zur Stärkung seiner Wirtschaft als Paris.
Frankreichs ineffizienter öffentlicher Sektor, der fast 60 Prozent des BIP verschlingt, die öffentlichen Schulden auf einem historischen Höchststand von 111 Prozent des BIP und Arbeitslosenzahlen von über sieben Prozent sind nämlich klare Warnsignale. Bereits Mitte Februar kündigte der Bundes- und Finanzminister Le Maire an, dass Kürzungen in den öffentlichen Ausgaben von 10 Milliarden Euro nötig seien. Andernfalls könnte die Kreditwürdigkeit Frankreichs durch Ratingagenturen wie Fitch und S&P Global weiter herabgesenkt werden. Eine solche Herabstufung dürfte eine schwere Krise in der Eurozone auslösen.
Die politische Hängepartie Frankreichs könnte letztlich also den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum gefährden, wenn die schwelende Klientel- nicht von einer konsequenten Realpolitik ersetzt wird. Ob aber Macron oder die sozialistisch argumentierenden Politiker Mélenchon und Castets dazu bereit sind, ist mehr als fraglich.