Mit seinem Vorstoß für eine Rente mit 70 hat Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf eine alte Debatte neu entfacht. Der demografische Wandel in Deutschland, vor allem die Alterung der Gesellschaft, sei eine große Gefahr für die Stabilität der Rentenversicherung. „Wir müssen länger arbeiten“, sagte Wolf in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Andernfalls sei die Finanzierung der Rentenversicherung nicht mehr gesichert.
Wolf betonte darin, dass er nicht generell für die Rente mit 70 sei, „sondern für intelligente und differenzierte Lösungen“. Während Menschen in körperlich anstrengenden Berufen wie etwa im Straßenbau nicht länger arbeiten müssten, sehe er bei Büroangestellten durchaus Potenzial für eine längere Lebensarbeitszeit. Dank des medizinischen Fortschritts würden die Menschen ohnehin immer älter, was aus seiner Sicht für eine Anpassung des Renteneintrittsalters spreche.
IG-Metall nennt Vorschlag „verantwortungslos“
Bei Gewerkschaftsvertretern stößt der Vorschlag auf scharfe Kritik. In einer Mitteilung der IG-Metall bezeichnete Vorstand Hans-Jürgen Urban die Forderung als „verantwortungslos“ und einen „erneuten Beleg für die Ignoranz gegenüber den sozialen Zukunftssorgen der Belegschaften“. Schon heute würden viele Beschäftigte die derzeitige Altersgrenze nicht erreichen und vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, was zu Rentenabschlägen führe. Eine Anhebung der Altersgrenze würde das Problem deutlich verschärfen und „nicht mehr ältere Beschäftigte im Betrieb, sondern mehr Rentnerinnen und Rentner mit gekürzten Renten“ bedeuten, so Urban weiter.
Nach seinem Interview in der Augsburger Allgemeinen legte Gesamtmetall-Präsident Wolf im SWR nach und bekräftigte seine Forderung. Im Podcast „Zur Sache – intensiv“ machte er deutlich, dass er die Rente mit 70 für Büroangestellte für „zumutbar“ halte. „Ein Fabrikarbeiter, der sehr hart arbeitet, wird nicht bis 70 arbeiten können, aber jemand, der in einem Büro sitzt, der wird bis 70 arbeiten können.“
Ampel-Koalition weiterhin uneins
Auch innerhalb der Bundesregierung gehen die Meinungen auseinander. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt eine Anhebung des Renteneintrittsalters strikt ab und setzt stattdessen auf eine Stabilisierung des Rentenniveaus durch andere Maßnahmen. In einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte Heil: „Die Menschen in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Rente sicher ist, ohne dass sie bis 70 arbeiten müssen.“
Die FDP zeigt sich dagegen offen für eine Diskussion über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, um die Finanzierung der Renten langfristig zu sichern. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sagte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): „Wir dürfen vor den Herausforderungen der Demografie nicht die Augen verschließen.“
Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zeigte sich offen für eine Diskussion über die Anhebung des Renteneintrittsalters. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk betonte er, dass „eine ehrliche Debatte über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit notwendig ist, um die Rentenversicherung zukunftsfest zu machen“. Dagegen forderte Janine Wissler, Vorsitzende der Linken, eine Rückkehr zur Rente mit 65. In einem Interview mit der taz argumentierte sie: „Das derzeitige Rentensystem benachteiligt die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist unsozial und ungerecht“.
IW-Köln für Entlastung der Beitragszahler
Im Rahmen seines Rentenpakets II hatte Heil Maßnahmen angekündigt, die das Rentenniveau bis Ende der 2030er Jahre bei 48 Prozent stabilisieren sollen. Kritiker des Pakets wie der Ökonom Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln warnen dagegen vor einer erheblichen Finanzierungslücke. „In Heils Rentenpaket fehlen 34 Milliarden Euro“, sagt Pimpertz. Um das Rentenniveau wie geplant stabil zu halten, müsste der Beitragssatz bis 2035 auf über 22 Prozent steigen.
Um diesem Szenario entgegenzuwirken, schlägt Pimpertz vor, die Rentenpolitik wieder stärker auf langfristige Beitragssatzstabilität auszurichten. Dies könne durch Maßnahmen erreicht werden, die das Rentenniveau flexibler gestalten und stärker an den demografischen Realitäten ausrichten. Eine großzügige Rentenpolitik mag kurzfristig populär sein, birgt aber langfristig die Gefahr, dass künftige Generationen für heutige Versäumnisse zur Kasse gebeten werden. Eine Rückkehr zu einem Reformkurs, der die Lasten gerecht verteilt und die Beitragszahler entlastet, sei daher dringend geboten, so vom Pimpertz.
Wolf gegen Absenkung der Wochenarbeitszeit
Angesichts dieser Herausforderungen sieht Gesamtmetall-Chef Wolf die Notwendigkeit, nicht nur die Rentenpolitik, sondern auch die Arbeitswelt neu zu justieren. Im SWR-Podcast argumentierte er, dass Deutschland mehr arbeiten müsse, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei ging er auch auf Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ein, die von einigen Gewerkschaften ins Spiel gebracht wurden. „Ich bin nicht gegen eine Vier-Tage-Woche, ich bin gegen eine Absenkung der Wochenarbeitszeit“, so Wolf und verwies darauf, dass in der Metall- und Elektroindustrie die Wochenarbeitszeit mit 35 Stunden schon jetzt sehr gering sei und nicht weiter gesenkt werden könne.