Deutschland steckt in einer Wohnraumkrise. Die Bevölkerung wächst, die Zuwanderung nimmt zu, doch die Neubauzahlen stürzen dramatisch ab. Baukosten explodieren, Projekte werden gestoppt oder gar nicht erst begonnen. „Etwa 70 Prozent aller geplanten Projekte werden entweder komplett abgesagt oder für längere Zeit zurückgestellt“, warnt Axel Gedaschko, Präsident der Wohnungswirtschaft Deutschland (GdW).
Ist Rettung in Sicht? Das geplante Gebäudetyp-E-Gesetz verspricht, den Wohnungsbau durch eine vereinfachte und kostengünstigere Bauweise zu beleben. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) plant, den Entwurf im Herbst 2024 ins Kabinett einzubringen. Doch die entscheidende Frage lautet: Kann dieses Gesetz den Wohnungsbau wirklich ankurbeln?
Einfacher Bauen: Was kann das Gebäudetyp-E-Gesetz wirklich?
Das Gebäudetyp-E-Gesetz soll das Bauen durch Abweichungen von bestimmten DIN-Normen vereinfachen, ohne die Sicherheit der Gebäude zu gefährden. Diese Abweichungen sollen Bauunternehmen und Auftraggebern ermöglichen, kostengünstiger und unkomplizierter zu bauen. Bis zu 10-Prozent der Herstellungskosten könnten eingespart werden – so zumindest die Hoffnung.
Laut Bundesministerium der Justiz ergibt sich für die Wirtschaft eine Reduzierung des jährlichen Erfüllungsaufwands in Höhe von mehr als 2 Milliarden Euro. Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann betont: „Wir wollen den Weg frei machen für einfaches Bauen. Klar ist: Wir machen keine Abstriche bei Gebäudesicherheit und Gesundheit. Gebäudetyp E: Das steht für einfaches und innovatives Bauen - aber eben auch für sicheres Bauen. Es geht bei unserem Gesetz um die Reduzierung verzichtbarer Komfortstandards, nicht um die Reduzierung der Sicherheit (…).“
Gebäudetyp E: Ein Gesetz für die Bauelite und der Rest schaut zu?
Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich die Frage, ob diese Einsparungen tatsächlich flächendeckend realisiert werden können. Das Gesetz richtet sich primär an eine kleine Zielgruppe – die „fachkundigen Unternehmer“. Diese Gruppe repräsentiert jedoch nur einen kleinen Teil der Bauherren. Private Bauherren, die den Großteil der Neubauten in Deutschland ausmachen, profitieren kaum von diesen Erleichterungen.
Das Gesetz droht daher, in der Praxis nicht die erhoffte breite Entlastung im Wohnungsbau zu bewirken, sondern vielmehr nur einer kleinen Elite von Fachleuten zu nutzen. „Weder private Auftraggeber noch die öffentliche Hand können den Gebäudetyp E nutzen um günstiger bauen zu lassen“, kommentiert Rechtsanwalt Carsten Woll, Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Vergaberecht beim Baugewerbe-Verband Niedersachsen (BVN), die Situation.
Privatrechtliche Erleichterung – Aber die wahren Probleme bleiben ungelöst
Ein weiteres zentrales Problem des Gebäudetyp-E-Gesetzes liegt in seinem begrenzten Anwendungsbereich. Die Änderungen betreffen ausschließlich das private Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Öffentlich-rechtliche Vorgaben, die in den Landesbauordnungen festgelegt sind und für die Baugenehmigung entscheidend sind, bleiben hingegen unverändert. Diese Vorgaben könnten das Potenzial des neuen Gesetzes erheblich einschränken.
Damit der Gebäudetyp E tatsächlich eine spürbare Wirkung auf den Wohnungsbau hat, bedarf es nach Ansicht von BVN-Rechtsexperten Woll einer grundlegend anderen gesetzlichen Implementierung. Woll betont, dass die erlaubten Abweichungen von den DIN-Normen als Kriterienkatalog in die Musterbauordnung des Bundes aufgenommen werden müssen, um bundesweit Klarheit zu schaffen. Ohne diese Anpassungen besteht das Risiko, dass Projekte, die nach dem Gebäudetyp-E-Gesetz realisiert werden, später an landesrechtlichen Vorgaben scheitern.
Diese rechtliche Unsicherheit könnte für Bauherren und Investoren massive Risiken bergen und das Ziel der Bauvereinfachung gefährden. Zudem könnten die neuen Regelungen das Baugenehmigungsverfahren sogar komplizierter machen, wodurch die erhoffte Beschleunigung ausbleiben könnte.
Kommunale Auflagen: Die unsichtbaren Kostentreiber des Wohnungsbaus
Außerdem setzen vor allem die kommunalen Auflagen den Wohnungsbau in Deutschland unter Druck. Besonders im Mietwohnungsbau, wo regelmäßig neues Planungsrecht geschaffen werden muss, treiben zusätzliche Kosten durch städtebauliche Verträge die Investoren an ihre Grenzen. Von hohen Energievorgaben über Stellplatzverpflichtungen bis hin zur Beteiligung an Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau und Kindertagesstätten – diese Maßnahmen belasten die Bauwilligen massiv und gefährden die Rentabilität von Wohnungsbauprojekten.
Zudem verschärfen Quotenregelungen für den sozialen Wohnungsbau die Situation weiter. Kommunen legen fest, dass bis zu 30-Prozent der neu gebauten Wohnungen für sozial benachteiligte Menschen reserviert werden müssen. Diese Vorgaben erhöhen den finanziellen Druck auf Projektentwickler zusätzlich. Das zeigt: Selbst wenn das Gebäudetyp-E-Gesetz Erleichterungen bei den DIN-Normen bringt, lauern die wahren Kostentreiber auch in den umfangreichen Forderungen der Behörden.
Gute Absichten, aber unzureichende Lösungen für die Wohnungsnot
Fakt ist: Die Hürden für einen rentablen Wohnungsbau sind höher denn je, und das beabsichtigte Gesetz könnte die Probleme nur oberflächlich angehen, während die grundlegenden Herausforderungen ungelöst bleiben. Obwohl es den Interessen großer Bauträger dienen soll, bleibt der tatsächliche Nutzen für den breiten Wohnungsmarkt ungewiss. Es braucht umfassendere Anreize und tiefgreifende Reformen, um die Wohnungsnot wirklich zu lindern. Die Politik ist gefordert, den Bedürfnissen aller Bauherren stärker Beachtung zu schenken. Andernfalls bleibt das Gebäudetyp-E-Gesetz ein Tropfen auf den heißen Stein.