Der Börsen-Guru André Kostolany warnte Anleger stets vor „Aktionären mit zittrigen Händen“. Sie sollten ihr Geld anlegen, im Depot ruhen lassen und die Nerven bewahren, das wird schon werden. Damals ging es um die von Vater Staat und dem Schauspieler Manfred Krug anno 1996 im Fernsehen beworbene „Volksaktie“ der Deutschen Telekom.
Otto Normalbürger gab sich tatsächlich erstmals einen Ruck und investierte seinen Spargroschen an der Börse und nicht ins traditionelle Sparbuch. Der Schock war auch damals groß, als es lange Jahre eher bergab ging mit dem Börsenkurs. Eine Enteignung – wie jetzt faktisch für die Kleinaktionäre bei Varta – war es dennoch nicht. Kostolany hat recht behalten, aus heutiger Sicht. Und dennoch war die Causa Telekom damals ein herber Schlag gegen die Aktienkultur in Deutschland. Varta könnte ihr Ende einleiten.
Varta-Aktie: Einst „Batteriehoffnung aus Deutschland“ - dann an der Börse abgestürzt
Auch Varta hatte in den vergangenen fünf Jahren den Nimbus, eine kleine Volksaktie zu sein. „Batteriehoffnung aus Deutschland“, hieß es damals. Es gebe es doch noch, das fähige Ingenieurswesen „made in Germany“, lautet die Hoffnung und statt in die Autotitel wurde Geld in das Wachstum des Traditionsunternehmens im baden-württembergischen Ellwangen gesteckt. Die Berichte in der Fachpresse waren geradezu euphorisch, weil ein deutsches Unternehmen ausgerechnet im aggressiv umkämpften Batteriegeschäft den Chinesen und Koreanern die Stirn bot und mit Apple die Nummer 1 am Aktienmarkt belieferte. Die Knopfzellen in den Airpods (fast in jedermanns Tasche) stammten früher mal von Varta.
In der Spitze wurde die Anteile an Varta im MDAX mit über 180 Euro gehandelt, bis sie in den letzten Wochen auf wenige Euro abstürzen und nun wohl wertlos sind. Sie sollen vom Kurszettel genommen werden, so die Mitteilung der Firma. 2022 hatte es im Vorstand einen bemerkenswerten Wechsel an der Spitze gegeben. Varta-Chef Herbert Schein wurde geschasst und mit einem Vertrauten des Hauptaktionärs ersetzt: Markus Hackstein aus Österreich. Zu dieser Connection später mehr.
Zurück zum Exit der Aktionäre: Die Frage ist nur, warum eigentlich haben Vorstand und Aufsichtsrat diesen Weg der Sanierung gewählt? Und hätte es nicht auch eine Sanierung mit allen Teilhabern an Bord geben können?
Hiermit verlassen wir die Welt der Wirtschaft und begeben uns in die Juristerei – das Aktien- und Insolvenzrecht. Der vom Vorstand gewählte Weg, um Varta zu retten und zu sanieren, greift auf das sogenannte Gesetz zur Stabilisierung und Umstrukturierung von Unternehmen zurück – das StaRUG. Es ist überhaupt erst 2021 in Kraft getreten, um bei Insolvenzen an sich überlebensfähiger Firmen einzuschreiten, diesen wieder auf die Beine zu helfen, ohne das Unternehmen formell in die Insolvenz zu führen. War die Sache jetzt also rechtens?
Schutzvereinigung erwägt Klage: Vorschrift könnte gegen Artikel 14 Grundgesetz verstoßen
Das wird vermutlich in den kommenden Jahren vor Gericht geklärt. Gut möglich, dass dieses Gesetz in seiner Wirkung auf Artikel 14 des Grundgesetzes sogar verfassungswidrig wirkt. Die Art, wie die vielen Kleinaktionäre abgefrühstückt werden, kann rechtlich wohl kaum Bestand haben. Das Gesetz war in seiner Anlage bestimmt gut gemeint vom Gesetzgeber – es entpuppt sich aber nun endgültig als Rohrkrepierer. Es führt zu Unfrieden und Ungerechtigkeit.
Die im Fall Varta diese Woche bekanntgewordene Umstrukturierungsvereinbarung sieht vor, den Schuldenberg von 485 Millionen Euro, der sich vor allem bei Gläubigern und Kreditgebern aufgehäuft hat, auf 200 Millionen zu reduzieren. Bedingung: Sämtliche Aktionäre sollen entschädigungslos enteignet werden und die Notierung an der Frankfurter Börse beendet werden. Der springende Punkt ist allerdings, dass dem (das Unternehmen zuletzt mit gut 47 Prozent aller Anteile dominierende) Großaktionär exklusiv die Möglichkeit eingeräumt wird, sich an der neuen Varta und deren möglichen Comeback zu beteiligen.
Und wer ist der mutmaßliche Glücksritter, der sich auf Kosten der Tausenden von Kleinaktionären gesundstoßen darf? Der schillernde Milliardär Michael Tojner aus Steyr in Österreich. Mit dem Wettanbieter „bwin“ ist er zu den reichsten Bürger des Alpenlandes avanciert. Vorwürfe gegen ihn hat es bereits früher gegeben, doch die perlten ab – der Mann gab sich geläutert. Gemeinsam mit Porsche will er, so wurde es jetzt verlautbart, 60 Millionen Euro in die Rettung Vartas investieren, um danach mit dem Sportwagenhersteller 32 Prozent des Aktienkapitals zu halten. Er könnte der Held der Geschichte Varta sein, aber er hat sich für einen anderen weg entschieden. Man müsste nämlich sagen: Toner reinvestiert nur das Geld, was er in den besten Börsenjahren an Dividenden bereits aus der Firma abgeschöpft hat – bestimmt gut und gerne 100 Millionen Euro anno 2021. Ein Coup! Superman hat also gar nichts zu verlieren!
Das Unfassbare an der ganzen bitteren Bördengeschichte ist indessen, dass Tojner jetzt auch noch ein schlechtes Gewissen vorheuchelt. Er verweist sogar auf sein ausgewiesenes Engagement für Kleinaktionäre in seiner Rolle als Professor in Wien. So sagte er in einem Interview wörtlich: „Ich unterrichte seit mehr als 20 Jahren an der Wirtschaftsuniversität, und die mangelnde Kapitalmarktorientierung in Europa ist eines meiner Hauptthemen, weil sie das Unternehmenswachstum und kontinentale Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Und dann verlieren Anleger genau bei Varta Geld – das ist sehr belastend.“ Warum also hat er den Weg dann beschritten?
So wird das sicher nichts mit der gewinnbringenden Aktienkultur in Deutschland
Der alternative Weg wäre es gewesen, an der Börse frisches Geld u besorgen. Dann wären zwar die Aktien und Beteiligungsverhältnisse der jetzigen Aktionäre „verwässert“ worden – allerdings zu gleichen Teilen. Das passiert alle naselang an der Börse und gehört zu den Risiken, die als Kleinanleger miteinander teilen. Dass es bei der Wirtschaft immer nur ms Geld scheffeln geht, das ist ohnehin nur eine Erzählung von Leuten, die das System gar nicht verstehen.
Jetzt kommt es wohl auf die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz an. Die DSW ist ein Verein mit rund 30.000 Mitgliedern und somit die größte deutsche Aktionärsvereinigung. Sie erwägt derzeit eine Klage, um Widerstand zu manifestieren und Schadensersatzansprüche den Weg zu bereiten. Mit der Finanzberatung One Square Advisors gibt es bereits einen weiteren Mitkämpfer, um den Deal juristisch zu Fall zu bringen. Das Problem: Der Sanierungsplan konnte laut dem Gesetz tatsächlich ohne Zustimmung der Aktionäre beschlossen werden. Ein Webfehler, den es zu stopfen gilt.
Und welche Rolle spiet Porsche bei dem Börsen-Trauerspiel? Nun, der Stuttgarter Automobilhersteller mit seinen den Takt vorgebenden beiden Aktionärsfamilien Porsche und Piëch hat größtes Interesse am Knowhow der Varta-Batterietechnik. Es ging bei den Turbulenzen ja nie wirklich darum, dass das Unternehmen und seine Angestellten ein schlechtes Produkt gefertigt haben. Apple hatte nur den großen Vertrag gekündigt und damit das Management kalt erwischt. Die Lager waren voll, während der Aktienkurs zu dümpeln begann. Porsche sichert sich damit für „Peanuts“, würden manche Banker noch heute in Erinnerung Hilmar Koppers von der Deutschen Bank sagen, eine zukunftsträchtige Technik – Tojner darf sich als einziger Aktionäre die Hände reiben. Es könnte ein Reibach werden!
Und was heißt das für die Aktienkultur in Deutschland? Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Sozialminister ´Hubertus Heil) SPD) können mit ihrem Plan einer Aktenrente als Stützung der Altersvorsorge und des Rentensystems einpacken. Wie oft sollen sich die Kleinaktionäre noch von den Milliardären mit ihrer Macht und ihrem Einfluss vorführen lassen?