Die Verkaufswelle deutscher Technologie ins Ausland geht weiter. Zuletzt verkaufte etwa Viessmann sein Heizungsgeschäft in die USA, verlegte Miele Teile seiner Produktion nach Polen und Solarwatt lässt seine Solarmodule in Zukunft ausschließlich in Asien fertigen.
Nun kommt die nächste Hiobsbotschaft: Der Verkauf der BASF-Tochtergesellschaft Wintershall Dea an den britischen Ölkonzern Harbour Energy steht kurz vor dem Abschluss. BASF, das auch deutsche Chemiefabriken nach China verlagern will, hat wirtschaftliche Probleme und musste etwa im zweiten Quartal einen Umsatzrückgang hinnehmen. Die Veräußerung von Wintershall wurde schon im Dezember 2023 angekündigt und soll Verluste in anderen Firmensparten kompensieren.
Wintershall-Verkauf: Schmerzlicher Verlust von Energietechnologie
Hinter den Kulissen heißt es, dass Habecks Wirtschaftsministerium den Verkauf der Energietochter bereits genehmigt hat, aber es fehlt noch eine offizielle Bestätigung. Vor der Genehmigung ist eine Investitionsprüfung erforderlich. Die Bundesregierung kann solche Transaktionen untersagen oder mit Auflagen belegen, sollte sie die nationale Sicherheit gefährdet sehen.
Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, kommentierte vor einigen Monaten, dass Deutschland mit Wintershall Dea ein weiteres Unternehmen mit hochspezialisierter Kenntnis verliere. „Diese Nachricht ist in Zeiten von ausbleibendem Wachstum enttäuschend.“ Es werde Zeit, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Beitrag zur dringend nötigen „Wirtschaftswende“ leiste. Die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid („Carbon Capture Storage“, kurz CCS) gehöre dazu. „Wenn in Deutschland alle möglichen Technologien behindert werden, folgt der wirtschaftliche Abstieg unausweichlich.“ Wintershall ist auch im CCS-Bereich aktiv.
Schade ist indes vor allem, dass BASF und damit in gewisser Hinsicht ganz Deutschland ausgerechnet zu Beginn des sich ankündigenden Booms der Energiebranche in Argentinien ein wichtiges Standbein verliert. Wintershall ist seit über 30 Jahren mit eigenen Erdgasfeldern und Beteiligungen in dem südamerikanischen Schwelllenland aktiv, welches derzeit eine radikale Wirtschaftsreform durchlebt. Laut Wirtschaftsmedien soll der Verkauf noch in diesem Jahr Anfang des vierten Quartals finalisiert werden. An Harbour Energy würden dann auch die Explorationsrechte und das laufende Fördergeschäft von Wintershall in Argentinien übertragen.
Mileis Schocktherapie für Argentinien wirkt – zumindest im Energiesektor
Der neue Präsident Javier Milei, der sich selbst als „Anarchokapitalisten“ bezeichnet, hat dem zuvor trotz seines Rohstoffreichtums etwas dahinsiechenden Argentinien eine wirtschaftliche Schocktherapie verschrieben. Milei privatisierte Staatsunternehmen, strich Subventionen, kürzte Sozialausgaben, schloss Ministerien und verkleinerte den bürokratischen Apparat. Dadurch gelang es ihm, dass der Haushalt des stark im Ausland verschuldeten Staats zum ersten Mal seit vielen Jahren ausgeglichen ist. Nicht alles ist dabei rosig: Die Wirtschaftsleistung sank 2024 bislang um knapp drei Prozent. Aber die exorbitant hohe Inflationsrate, die Anfang des Jahres noch bei 25 Prozent im Vergleich zum Vormonat lag, ist mittlerweile rückläufig.
Die ersten positiven Wirkungen dieser Schocktherapie materialisieren sich nun unter anderem im Energiesektor. Seit Jahresauftakt trug der Sektor mit einem Handelsbilanzüberschuss von umgerechnet 2,93 Milliarden zur Sanierung der Staatskasse und Stabilisierung der Währungsreserven bei, nachdem hier im Vorjahr noch ein Minus von 1,1 Milliarden Dollar zu Buche stand.
Die Stimmung in der heimischen Energiebranche ist außergewöhnlich positiv. Denn nach Jahrzehnten schmerzhafter Verluste stehen schon im ersten Amtsjahr Mileis wieder bessere Zeiten an. „Argentinien könnte bis 2030 einen Haushaltsüberschuss im Energiesektor von 30 Milliarden US-Dollar erzielen“, analysiert der Ökonom Ricardo Arriazu in der Zeitung „La Nacion“. Bisher sind die Staatseinnahmen stark von landwirtschaftlichen Exporten abhängig.
Durch den Abbau von Fördergeldern und Regulierungen wurde der Sektor dynamischer. Entscheidend ist aber die Fertigstellung einer Gas-Pipelinie, die nach langer Verzögerung noch unter der Vorgängerregierung angeschoben wurde und den Startschuss für ein großes Investitionsprogramm gab. Dies ist zugleich ein erster Schritt in Richtung der angestrebten Selbstversorgung. Argentiniens möchte unabhängig von Energieimporten zu werden und perspektivisch nicht mehr nur regional, sondern global als Energielieferant fungieren.
Verpasste Chancen für BASF und Deutschland
Statt BASF wird also nun ein britischer Energiekonzern am Argentinien-Geschäft von Wintershall Dea, das dort einer der führenden Gasproduzenten ist, partizipieren. Noch viel schlimmer: Mit dem Verkauf dürften auch 900 Arbeitsplätze in Kasse und Hamburg sowie wertvolles Wissen und Lizenzen verloren gehen, nicht nur bezöglich Öl- und Gasförderung sondern auch der CO2-Speicherung. Im hochspannenden Lithium-Segment sind es neben den argentinischen Akteuren ebenfalls vor allem andere nicht-deutsche Energiekonzerne wie Rio Tinto, die Risiken eingehen und für ihre Investitionen überproportional belohnt werden könnten.
„Dass Deutschland mit der Übernahme von Wintershall Dea durch Harbour Energy seinen einzigen bedeutenden Player in dieser Branche verliert, ist äußerst bedauerlich. Vor allem in Argentinien, wo die Förderung von nicht konventionellem Erdöl und -gas derzeit einen phänomenalen Aufschwung erlebt, der gerade erst richtig begonnen hat“, kommentiert der in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires residierende Analyst und Wirtschaftsberater Carl Moses im Gespräch mit WELT. „Zudem hätte Wintershall mit seinem Know-how in der CCS-Technologie besonders gute Chancen zur Produktion von CO2-armem Wasserstoff, den wir ja in Deutschland für die Energiewende dringend brauchen werden“, erläutert Moses.
BASF verpasst letztlich in Argentinien sinnbildlich für Deutschland insgesamt einen spannenden Trend und somit Investitionschancen auf günstige Energiequellen, die in unserem Land, das mit die teuersten Energiekosten auf der ganzen Welt aufweist, sicherlich nützlich wären.