Die Politik beschließt, die Industrie muss Folge leisten, der Verbraucher entscheidet. So in etwa lässt sich in einem Satz erklären, wie Zukunft und in diesem konkreten Fall die Zukunft der Elektromobilität aktuell gestaltet wird. Ab 2035 sollen keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Der Beschluss wurde 2022 auf EU-Ebene gefasst und aktuell wieder auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Autoindustrie reagiert und bereitet sich auf eine elektrische Zukunft ihrer Fahrzeuge vor. Milliarden von Euros wurden und werden in die Entwicklung von E-Fahrzeugen investiert. Nun diskutiert Brüssel über eine Verschiebung oder einer Kippung des Gesetzes, obwohl sich die Verkaufszahlen für Elektroautos europaweit positiv entwickeln. In Deutschland sieht ein wenig anders aus. Der Wegfall der staatlichen Förderprämie hat sich auch in den Verkaufszahlen der Elektroautos niedergeschlagen, sie bleiben hinter den Erwartungen zurück. Die Autobauer haben es aktuell nicht leicht. Sie befinden sich in der Übergansphase von einer Antriebsgeneration in die nächste und werden dabei von vielen Marktteilnehmern beeinflusst. Das führt dazu, dass ursprüngliche Pläne revidiert werden müssen. So aktuell geschehen bei Mercedes-Benz. Ein Strategiewechel wurde im Frühjahr bekannt gegeben. Statt nur noch auf elektrisch setzt der Luxus-Karosseriebauer in Zukunft weiterhin auf Elektro- als auch auf Verbrennungsmotoren. Die neuen Investitionen sollen sich vor allem auf die Anpassung der Verbrennungsmotoren und Getriebekombinationen an die neuesten Emissionsstandards wie Euro 7 und China 7 konzentrieren. Das Ziel ist, so der Konzern, die Motoren auf höchstem technologischem Niveau zu halten.
Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte Vorstandsvorsitzender Ole Kalänius, dass Verbrennermotoren im Jahr 2030 immer noch einen signifikanten Marktanteil besitzen könnten. Der Konzern geht davon aus, dass bis 2023 nur etwa 50 Prozent der verkauften Fahrzeuge elektrischer Natur sein werden. Die anderen 50 Prozent sollen hybride Antriebe sein, die der Hersteller als „High-Tech-Verbrenner“ bezeichnet. So wird es beispielsweise zwei neue S-Klassen geben, eine elektrische und eine mit Verbrennungsmotor. Mercedes-Benz sieht in der Plug-In-Hybrid-Technologie eine wichtige Brückentechnologie, um das Vertrauen in die Elektromobilität zu stärken. In Anbetracht der Tatsache, dass weltweit noch immer 1 Milliarde Menschen keinen gesicherten Zugang zur Elektrizität haben und es dementsprechend auch an Lade-Infrastruktur noch mangelt, muss die Entwicklung den Gegebenheiten angepasst werden. Die Konzentration auf einschließlich eine Option ist unter solchen Bedingungen gefährlich. Auch die Margen fallen bei Elektroautos geringer aus als bei Verbrennern. Die Autobauer möchten ungern auf Gewinne verzichten und versuchen daher der weiterhin anhaltenden Nachfrage nach Verbrennern nachzugeben. Auch BMW hält sich alle Türen offen. Ihr technologieoffene Ansatz befähigt ihre Werke, je nach Kundennachfrage verschiedene Antriebsvarianten flexibel zu produzieren. Der Autobauer ist vorsichtig, was die Prognosen betrifft. Sie gehen bis 2030 so wie Mercedes-Benz davon aus, dass erst die Hälfte ihrer Fahrzeuge rein elektrisch sein wird.
Toyota hat sich ebenfalls erst jüngst im Rahmen einer Versammlung von 200 Führungskräften dazu bekannt auch weiterhin Verbrennungsmotoren in seinen Autos einzubauen. Der Enkel des Unternehmensgründers geht nicht davon aus, dass der Anteil von Elektroautos am weltweiten Fahrzeugbestand 30 Prozent übersteigen werde in naher Zukunft.
Zulieferer und Finanzierungsprobleme: Die Herausforderung der Verbrennerkomponenten
So schnell abschreiben lässt sich die Verbrennungstechnologie demnach nicht. Betroffen davon ist mit einem Wertschöpfungsanteil von 75 Prozent insbesondere die Zulieferindustrie, die den Hauptteil der Entwicklung und Produktion heutiger Fahrzeuge trägt. Der Schwenk zur E-Mobilität passiert bei vielen schrittweise. Der weltweit größte Automobilzulieferer Bosch prognostiziert, dass der Anteil von Hybrid- und reinen Verbrennerfahrzeugen 2035 weltweit noch mehr als ein Drittel der Neuzulassungen ausmachen wird. Insbesondere bei den Nutzfahrzeugen wird der Anteil höher ausfallen. Doch die Zulieferer erfahren mehr und mehr Hürden, sofern sie noch in Verbrennerkomponente investieren. Bosch hat sich im August 2024 mit einer Stellungnahme an das Lobbyregister des Deutschen Bundestages gewandt, um auf die Herausforderungen bei der Bereitstellung von Finanzmitteln für Automotive Verbrenner-Geschäfte aufmerksam zu mache. Der Grund dafür, Hersteller von Komponenten, die noch längerfristig für den LKW und off-road Bereich benötigt werden, kommen immer schwerer an Finanzmittel dran. Bosch legt dafür eine Dokumentation vor, aus der hervorgeht, dass in mehreren Fällen die Banken Anschlussfinanzierungen für bestimmte Lieferanten verweigert haben. Die Bank argumentiert die Absage mit der hohen Abhängigkeit des Automotive Verbrenner-Geschäft. Bosch hingegen erklärt, dass nur mit ihrer Stütze die Lieferversorgung des Lieferanten im Jahr 2022 aufrecht erhalten werden konnte. Im Jahr 2023 erfolgte eine Übernahme des Lieferanten durch einen Financial Equity Investor. In einem weiteren Fall fiel das Banken-Rating für einen Lieferant negativ aus und wurde mit Zinsaufschlägen belegt, da ein hoher Verbrenner-Anteil Geschäftsinhalte sind.
Elektromobilität in Deutschland: Exportland trotz Rückschlägen bei der Nachfrage
Trotz der Tendenzen die Verbrennertechnologie noch nicht gänzlich aufzugeben und wieder mehr hier zu investieren, bleibt Deutschland was Verbrennerautos angeht, ein Exportland. 2023 wurden laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes 786.000 Elektroautos ins Ausland verkauft. Am häufigsten in die Niederlande (15,6 Prozent), nach Großbritannien (13,4 Prozent) und Belgien (12,4 Prozent). Gegenüber 2022 ist das ein Anstieg von 56 Prozent. Weltweit sind 2023 über 40 Millionen E-Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs. Das ist 35 Prozent mehr als noch im Jahr 2022 und sechsmal so viele wie im Jahr 2018. Mehr als doppelt so viele Verbrenner (1,7 Millionen Fahrzeuge) als E-Autos wurden aber im vergangenen Jahr ins Ausland verkauft.
Die Elektromobilität entwickelt sich zu einem hart umkämpften Markt der auch unfaire Praktiken beinhaltet. So verhängt die EU-Kommission seit dem 5. Juli eine vorläufige Regelung für die Einführung von Strafzöllen auf E-Autos aus China. Je nach Hersteller und Kooperationsbereitschaft liegen die Aufschläge zwischen 17,4 und 37,6 Prozent, die auf die bisher geltenden zehn Prozent draufgeschlagen werden. Sie gelten erstmal für die kommenden vier Monate, bevor im November 2024 eine endgültige Regelung getroffen wird. Grund für die Strafzölle waren massive staatliche Subventionen der chinesischen Autobauer, wodurch die chinesischen Modelle zu deutlich günstigeren Preisen die Weltmärkte überschwemmt haben. Allein in Deutschland betrug 2023 der Import chinesischer E-Fahrzeuge 29 Prozent aller importierten Fahrzeuge. Experten wie Dr. Daniel Kirchert sehen die deutsche Automobilindustrie am Scheideweg. Ohne eine radikale Neuausrichtung der Strategien könnte Deutschland seine jahrzehntelange Führungsrolle in der Automobilbranche verlieren. Er sieht einen möglichen Ausweg in Kooperationen bspw. zwischen deutschen und chinesischen Herstellern, um den Herausforderungen des globalen Marktes zu begegnen.