Erst wenige Wochen ist es her, als Viktor Orbán im Alleingang nach Peking und Moskau reiste, um dort als Vermittler zwischen den Konfliktparteien aufzutreten. Doch ist er damit erfolgreich gewesen? Tatsächlich war der Aufschrei in der EU groß, als Orbán überraschend in Peking erschien und dort seine „Friedensmission 3.0“ ankündigte. Orbán hatte versucht, den Ungarn wohlgesonnenen Staatspräsidenten Xi Jinping zu Friedensverhandlungen mit Moskau zu bewegen.
Laut Péter Krekó, Direktor der Budapester Denkfabrik Political Capital, war Orbán dabei durchaus bewusst, dass er als Vertreter eines kleinen mitteleuropäischen Landes mit gerade einmal 9,5 Millionen Einwohnern wenig ausrichten konnte, um die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. In erster Linie seien es ungarische Interessen, die der Ministerpräsident damit verfolgte, nicht europäische.
Orbán: „Make Europe Great Again!“
Das Motto Orbáns anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns ist ein von Donald Trump entlehnter Slogan: Make Europe Great again! Europa, so Orbán, handle derzeit nicht mehr im Eigeninteresse, sondern führe nur die Agenda von US-demokratischen Entscheidungsträgern aus. Dabei würden die gegen Russland verhängten Sanktionen die Energiepreise erhöhen und indirekt die europäische Wirtschaft zerstören. Es sei an der Zeit, zum alten Selbstbewusstsein Europas zurückzufinden, das es noch unter Politikern wie Jacques Chirac oder Helmut Kohl innegehabt habe.
Doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte gegen den „Demagogen“ Orbán aus. Nicht Appeasement würde Putin stoppen, sondern europäische Einigkeit. Verschiedene EU-Staaten würden zu „soft“ im Umgang mit Putin agieren, gemeint war in erster Linie Ungarn. Von der Leyen konstatierte zudem, das eigentliche Problem seien Putins heimliche Stellvertreter, die in Europas linken und rechten Parteien zu finden seien. Wie passt es zusammen, dass Orbán Europa wieder groß machen will, indessen aber gegen höchste europäische Instanzen opponiert?
Ungarn: befreundet mit Trump, Jinping und Putin
Ungarn will bis zum Jahr 2030 der drittgrößte Hersteller von Batterien, insbesondere für E-Autos, aufsteigen. Ferner sollen in dem kleinen Land Autos unterschiedlichster Hersteller produziert werden, nach Marken wie VW und Suzuki siedeln sich auch chinesische Giganten wie BYD in Ungarn an. Speziell die Ansiedlung von Batterieproduzent CATL und Autohersteller BYD sorgt für Euphorie unter den Ungarn.
Ungarn ist ein Land, das den Neutralitätsgedanken konsequent umsetzen und von seiner besonderen Stellung profitieren möchte. Ähnlich wie Marokko, die Schweiz oder im zunehmenden Maße auch Indien soll das Land sich mit umliegenden Gravitationszentren verbinden, anstatt in sie komplett eingebunden zu werden. Als potenzielle Vermittler versuchen solche Staaten, Harmonie zwischen Großmächten zu schaffen und im gleichen Atemzug profitable Deals mit allen abzuschließen. Orbáns Kalkül besteht offenbar darin, sich mit mächtigen Staaten zu solidarisieren und dabei Erfolge einzufahren; dazu gehören etwa gute Beziehungen zu den US-Republikanern und vornehmlich Donald Trump, günstiges Öl aus Russland und Investitionen aus China.
Des Weiteren will Orbán sich als seriöser und kompetenter Politprofi inszenieren, der als dienstältester Ministerpräsident in der EU über die besten Mittel und Wege verfügt, das Weltgeschehen in eine positive Richtung zu lenken. Als Mitbegründer der Patrioten für Europa, die indessen zur drittstärksten EU-Fraktion aufgestiegen ist, scheint Orbán zudem sein Profil eines rechten Äquivalents zu Trump darstellen zu wollen, das sich gegen eine ineffizient und ideologisch verblendete EU durchzusetzen vermag.
Orbán will „einen Weg aus der Sackgasse finden“
Und tatsächlich kann Orbán einigen Zuspruch sammeln. Laut dem ehemaligen Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, Harald Kujat, habe Orbán versucht, einen Weg aus der Sackgasse des Krieges zu finden und dafür Dank von Donald Trump erhalten. Andere, wie der Politologe Herfried Münkler, sehen in Orbáns Friedensmission eine „absurde … One-Man-Show“, die nur offenbare, dass der Ungar selbst keine Trümpfe gegen Russland in der Hand halte und zu unwichtig sei, um von Putin als Marionette missbraucht zu werden. Derweil will Spanien den Verkauf des Zugproduzenten Talgo an Ungarn blocken, die EU verlegt ihren inoffiziellen NATO-Gipfel im November und das anstehende EU-Außenministertreffen von Budapest nach Brüssel, um die Distanz zu Orbáns Strategie zu untermauern.
Dabei antizipiert Orbán die Entwicklung des zunehmend ermattenden Krieges, den die Ukraine zu verlieren droht. Nach spektakulären Angriffen auf die Regionen Belgorod und Kursk der Ukraine kann die russische Armee nahezu ungestört im Oblast Donezk einmarschieren und dort ihre Geländeverluste wettmachen. Die Lieferung hochmoderner F16-Kampfjets aus den USA mag die Ukraine beflügeln, Vergeltungsschläge gegen Russland zu führen, die allerdings nur eine weitere Eskalation zur Folge haben dürften. Orbán wähnt sich auf der Seite der Vernünftigen, die den Krieg zügig beenden möchten, auch wenn die Russische Föderation dadurch profitieren würde.
Entsprechend lobend erwähnt Yang Sheng von den chinesischen Global Times die „positiven Zeichen des Friedens“, die Orbán bei seinem Besuch in Peking gesetzt habe, während die staatstreue Zeitung Deutschland als opportunen Vasallen der USA darstellt, der im Schatten des Patrons den Krieg in der Ukraine eskalieren und die Spannungen im Indopazifik erhöhe. Insofern hat Orbáns „Troll-Diplomatie“, wie sie von einigen Analysten betitelt wird, lediglich die Uneinigkeit innerhalb der EU sowie die Schwäche des Staatsmanns offenbart. Deutschlands Verhandlungsposition scheint indessen geschwächt. Unvergessen ist etwa Robert Habecks Besuch im Juni in Peking, als ihm der Ministerpräsident Li Qiang ein persönliches Treffen verweigerte, während Orbán von Xi Jinping spontan herzlich in Empfang genommen wurde.
Auch wenn Orbáns Friedensmission im Nachhinein als wenig erfolgreich abgetan wird, so hat es doch seine Reputation sowohl in Peking als auch in Moskau und unter den US-Republikanern sichtlich erhöht. Derweil scheint sich Deutschland immer weiter von seinen einstigen Partnern Russland und China zu entfernen, ohne aber eine klare Strategie zu verfolgen. Das könnte sich als schmerzlicher Fehler erweisen.
Es wäre eventuell hilfreich, den von Kujat erwähnten „rechtzeitigen Verhandlungsfrieden“ einer vollständigen Zerstörung der Ukraine oder eine noch schlimmere Eskalation des Krieges vorzuziehen, anstatt die Verantwortung Europas vollständig an die erratisch agierende USA abzugeben. Doch die einzige Reaktion der EU auf die — wenn auch opportunistisch gefärbten — Friedensbemühungen von Politikern wie Narendra Modi, Viktor Orbán oder Donald Trump scheinen in einer weiteren Konfrontation mit auch diesen Partnern zu bestehen. Ob diese aggressive Spaltung eine zielführende Politik darstellt, ist mehr als fraglich.