Politik

Fahrlässige Sicherheitspolitik? Aufrüstung der Bundeswehr laut Experten viel zu langsam

Die Bestände der Bundeswehr sind bis 2021 stetig gesunken und steigen seitdem nur sehr langsam. Deutschland steht vor großen sicherheitspolitischen Herausforderungen, um der Bedrohung durch Russland zu begegnen, doch die Verteidigungsausgaben hinken hinterher. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat nun eine klare Forderung an die Regierung.
15.09.2024 12:33
Aktualisiert: 15.09.2024 15:25
Lesezeit: 2 min

Deutschland rüstet angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf - nach Ansicht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) aber zu langsam. „Russland erwächst zu einer immer größeren Sicherheitsbedrohung für die Nato“, sagte Guntram Wolff vom IfW. „Gleichzeitig kommen wir mit der für die Abschreckung nötigen Aufrüstung nur sehr langsam voran.“

Was Europa brauche, sei neben dem Sondervermögen eine deutliche und sofortige Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, betonte Wolff. „Ein Weiter-so-wie-bisher wäre mit Blick auf Russlands Aggression fahrlässig und verantwortungslos.“ Bisher wird das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreicht, indem die Ausgaben aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr eingerechnet werden.

Report dokumentiert Militärbeschaffungen

So schaffe es die Bundesregierung derzeit nur knapp, die an die Ukraine abfließenden Waffen zu ersetzen. Bei Luftverteidigungssystemen und mobilen Abschusseinheiten wie etwa Artillerie-Haubitzen sei der Bestand sogar rückläufig. Erst 2023 hat Deutschland nach Angaben des IfW begonnen, im nennenswerten Umfang seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen.

Wie aus dem aktuellen „Kiel Report“ des Instituts hervorgeht, sind seitdem Bestellungen im Wert von rund 90 Millionen Euro platziert worden. Der Report dokumentiert alle veröffentlichen deutschen Militärbeschaffungen seit 2020.

Drastische Abrüstung und langsame Aufrüstung

Gleichzeitig sind die Bestände in den vergangenen 20 Jahren weiter gesunken. Hat es so 2004 in Deutschland dem Report nach etwa 434 Kampfflugzeuge, 2.398 Kampfpanzer und 978 Haubitzen gegeben, sank die Anzahl auf 226 Flugzeuge, 339 Panzer und 121 Haubitzen im Jahr 2021.

Gleichzeitig wird prognostiziert, dass es beim gegenwärtigen Beschaffungstempo viele Jahre brauche, den Bestand wieder auf das Niveau des Jahres 2004 zu bekommen - und zwar laut Bericht bei Kampfjets rund 15 Jahre sowie bei Kampfpanzern rund 40 Jahre. Bis der 2004er-Bestand bei Haubitzen erreicht wäre, dauere es sogar bis ins Jahr 2121.

Dies liegt dem IfW zufolge einerseits an der drastischen Abrüstung der vergangenen Jahrzehnte und andererseits an der nach wie vor zu langsamen Aufrüstung unter der Ampelregierung.

IfW-Präsident: Zeitenwende ist bislang nur eine Worthülse

Der Präsident des IfW Kiel, Moritz Schularick, betonte: „Die Zeitenwende ist bislang nur eine Worthülse.“ Frieden gebe es ausschließlich dann, wenn Moskau verstehe, dass es einen Angriffskrieg in Europa militärisch nicht gewinnen kann.

Dafür bräuchten Deutschland und Europa glaubhafte militärische Fähigkeiten. Daher forderte Schularick, dass Deutschland ein „angemessenes Verteidigungsbudget“ von mindestens 100 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen müsse. Im Haushalt 2024 betragen die Verteidigungsausgaben knapp 72 Milliarden Euro, wobei 19,8 Milliarden aus dem umstrittenen Sondervermögen der Bundeswehr stammen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Schlachtfeld der Zukunft: Die Ukraine schickt ihre Kampfroboter ins Gefecht
01.07.2025

Die Ukraine setzt erstmals schwere Kampfroboter an der Front ein. Während Kiew auf automatisierte Kriegsführung setzt, treiben auch...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnen bleibt Luxus: Immobilienpreise steigen weiter deutlich
01.07.2025

Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland sind erneut gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt lagen die Kaufpreise für Häuser und...

DWN
Politik
Politik Trump und Musk im Schlagabtausch: Streit um Steuerpläne und neue Partei eskaliert
01.07.2025

Die Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Tech-Milliardär Elon Musk geht in die nächste Runde. Am Montag und in...

DWN
Politik
Politik Dänemark übernimmt EU-Ratsvorsitz – Aufrüstung dominiert Agenda
01.07.2025

Dänemark hat den alle sechs Monate rotierenden Vorsitz im Rat der EU übernommen. Deutschlands Nachbar im Norden tritt damit turnusmäßig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Technik streikt: Zählt Ausfallzeit zur Arbeitszeit?
01.07.2025

Wenn im Büro plötzlich die Technik versagt, stellt sich schnell eine Frage: Muss weitergearbeitet werden – oder zählt die Zeit...

DWN
Politik
Politik NATO ohne Substanz: Europa fehlen Waffen für den Ernstfall
01.07.2025

Europa will mehr für die Verteidigung tun, doch der Mangel an Waffen, Munition und Strategie bleibt eklatant. Experten warnen vor fatalen...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...