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Erste Lithium-Raffinerie: Wie Deutschland vom Ausland unabhängig und autark wird

Reiner Haseloff, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hatte diese Woche dann doch Grund zum Feiern und Lächeln. In Bitterfeld-Wolfen hat der CDU-Politiker Europas erste Raffinerie für Lithium eröffnet. Das Ärgernis Intel war zwar immer noch Thema, aber schnell passé. Es herrschte gar Aufbruchstimmung.
19.09.2024 12:01
Lesezeit: 3 min
Erste Lithium-Raffinerie: Wie Deutschland vom Ausland unabhängig und autark wird
Eine Mitarbeiterin von AMG Critical Materials ist in der Produktionsanlage in Bitterfeld-Wolfen beschäftigt. AMG nimmt hier Europas erste Lithiumraffinerie in Betrieb. (Foto: dpa) Foto: Hendrik Schmidt

Die neue Anlage des Rohstoff-Unternehmen AMG wird maßgeblich zum wirtschaftspolitischen Ziel des De-Risking beitragen. Lithium ist der Zünd-Schlüssel für die Elektro-Technologie von morgen. Wenn der Rohstoff jetzt erstmals überhaupt in einer Raffinerie auf europäischen Boden in Lithiumhydroxid umgewandelt wird, ist das ein erster Schritt zu einer weitgehend unabhängigeren Produktion von Elektroauto-Batterien und Absicherung von Lieferketten.

Für Haseloff war es das Kontrastprogramm zur Vorwoche, als in Kalifornien die Verschiebung (oder womöglich gar das Aus) der in Magdeburg geplanten Chip-Produktion des Halbleiter-Herstellers Intel bekannt gegeben worden. Das Memento mori stand zwar schon länger auf der Wand, doch Haseloff und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollten es partout nicht wahrhaben, dass ihr Leuchtfeuer in der Magdeburger Börde dunkel bleibt.

Und auch im benachbarten Sachsen läuft es bekanntlich schlecht. Aus der Abwanderung nach Amerika wird es beim Solar-Hersteller Meyer Burger zwar nun doch nichts, aber jetzt ist plötzlich ist in Freiberg der Geschäftsführer von Bord gegangen und es scheint so, als befänden sich die dortigen Mitarbeiter auf einem sinkenden Schiff und müssten das rettende Ufer suchen.

In Bitterfeld wächst die Raffinerie in fünf Modulen zur vollen Kapazität

In Bitterfeld, wo schon immer das industrielle Herz Sachsen-Anhalts schlug, kann Haseloff mit dem Start des Förderbandes jetzt einen Kontrapunkt setzen und betonen, wie wichtig die Industrie für Deutschland ist und warum die Belastungen und Kosten dringend reduziert werden müssten, um dem internationalen Wettbewerb standhalten zu können. „Jeder Tag ist ein Tag der Deindustrialisierung in Deutschland“, warnte Haseloff, vor allem im Hinblick auf die weiterhin steigenden Energiepreise, die Unternehmen zum Abwandern geradezu zwingen.

Die Herstellung von Lithium-Ionen-Akku gehört zu den wichtigsten Innovationen für die neue Elektro-Mobililität. Insofern ist die Ansiedlung zukunftsweisend. Wobei für den wahren Durchbruch am Massenmarkt noch bessere Batterien vonnöten sein werden. Heute ist noch längst nicht klar, wohin die Reise geht und ob es nicht sogar günstigere Batterien geben könnte in der Zukunft. Allerorten wird am sogenannten Super-Akku getüftelt. Es sind Rückschläge zu verzeichnen, manche Innovationen klingen wirklich vielvertsprechend. Gut möglich das das viel billigere Natrium dereinst Lithium als Basis ablösen kann. Noch ist Lithiumhydroxid offenbar vorerst allen anderen Stoffen überlegen, und Bitterfeld wird davon jetzt profitieren.

Wer in Zukunft beim Wunder-Akku das Rennen gewinnt, Lithium oder Natrium, ist noch offen

Im Moment dominiert also noch der Lithium-Ionen-Akku. AMG-Chef Heinz Schimmelbusch und sein Geschäftsführer für die Lithium-Sparte, Stefan Scherer, ließen denn auch den pathetisch klingenden Indiana-Jones-Soundtrack einspielen und freuten sich sichtlich, wie sehr sie willkommen geheißen werden in der Stadt. Denn das passiere ja ja auch nicht überall, gab Schimmelbusch zu bedenken.

AMG Critical Materials N.V. ist ein in Amsterdam börsennotierter Metallurgiekonzern, der von Schimmelbusch nach seinem Ausscheiden aus der Metallgesellschaft gegründet worden war. Heute produziert AMG mit rund 3.400 Mitarbeitern weltweit in Produktionsstätten in Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, USA, China, Mexiko, Brasilien, Indien, Sri Lanka und Mosambik. Das neue Werk zählt zunächst zu den kleineren und wird mit einer überschaubaren Kapazität gestartet: AMG will schon bald 14 Prozent der Batterie-Lithium-Nachfrage in Europa decken. Zwei Jahre wurde am Werk in Bitterfeld gebaut – für zunächst 80 neue Arbeitsplätze.

Rohstoff für das Lithiumhydroxid kommt noch aus Brasilien

Jährlich 20.000 Tonnen Lithiumhydroxid sollen in Bitterfeld-Wolfen raffiniert werden. Das Produkt wird an Kathoden- und Zellhersteller in Ungarn und Polen verkauft, die daraus Batterien für rund 500.000 Elektrofahrzeuge fertigen sollen. Das nötige Vorprodukt, sogenanntes Spodumenkonzentrat, bezieht AMG Lithium bisher aus einer Mine in Brasilien. Firmenchef Schimmelbusch zu seinem Konzept: „Wir werden langfristig über den Bergbau, die Konversion zu Lithium-Salzen und deren Veredlung zu Batteriequalität auch sulfidische Materialien für die nächste Generation von Lithium-Ionen-Batterien – Stichwort: Festkörperbatterien – anbieten. Für die Entwicklung all dieser Materialien und Prozesse haben wir seit drei Jahren bereits in Frankfurt-Höchst ein hochmodernes Labor und ein Team erfahrener und kompetenter Lithium-Chemiker etabliert.“

Die neue Fabrik wächst in Modulen und wird, wenn alle fünf Hallen tatsächlich realisiert werden, gut 100.000 Tonnen Lithiumhydroxid produzieren. Erst das entspricht dem (von AMG für 2030 angepeilten) Ziel auf dem Europa-Markt. Freilich plant AMG in Deutschland unterdessen auch den Abbau von Lithium im Erzgebirge. Es gibt dort noch ein ergiebiges Vorkommen im Zinnwald. AMG hält 25 Prozent an Zinnwald Lithium, um das Vorkommen bis 2030 erschließen zu können. Die Hoffnung ist, dass der Rohstoff genügend Lithium für letztlich 600.000 Autobatterien abwirft und Deutschland von kritischen Rohstoff-Importen unabhängiger machen hilft. Der Staat, betonte Schneider, werde dies politisch begleiten und unterstützen. Wo die zehn Milliarden Euro für Intel hin fließen, blieb bei den Gesprächen gestern offen.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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