Auch Brad Raffensperger, Georgias Staatssekretär, ist so ein kerzengerader Amerikaner, der die Verfassung hochhält und sich nicht von Trump und sein Kamarilla kaufen lässt. Wen er wählen wird, hat er nicht kundgetan. Aber er gilt vielen als Held beim Abwehr der stetigen Angriffe auf die US-Demokratie. Nach seiner berühmt gewordenen Weigerung, Trumps Aufforderung zur Manipulation der Wahlergebnisse 2020 nachzugeben und „irgendwo 11.800 mehr Stimmen" aufzutreiben, ist der Republikaner zum Feindbild der wahlleugnenden Anhänger avanciert. Sein Bundesstaat, in dem vergangene Woche mit Rekordbeteiligung das „Early voting“, also die vorzeitige Stimmabgabe, begonnen hat, gilt als einer der sieben umkämpften Staaten, die wohl über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl entscheiden.
Trump hatte die Wahl 2020 in Georgia gegen den Demokraten Joe Biden verloren und unbegründete Vorwürfe des Wahlbetrugs erhoben. Ob seine Einflussnahme auf Raffensberger Nötigung war, ist noch immer nicht strafrechtlich aufgearbeitet und bis nach der Wahl im November aufgeschoben worden. Man könnte mit Fug und Recht sagen: Donald Trump gehört in Sachen Georgia entweder in den Knast und genießt als erneut gewählter US-Präsident Immunität.
Raffensberger freilich wird auch diesen Herbst nicht müde, die Rechtsordnung im Swing State aufrecht zu erhalten. Er widersteht stoisch den beständigen Attacken aus dem Trump-Lager. Deshalb konnte ein Richter jetzt gerade (von Republikanern erzwungene) Änderungen des Wahlrechts für ungültig erklären. Im Kern ging es um die Auszählung der Wahlstimmen per Hand. Richter Thomas Cox wies die Wahlbehörde an, die neuen Regeln unverzüglich zu streichen und die Wahlhelfer über deren Ungültigkeit zu informieren.
Ex-Vizepräsident Dick Cheney verweigert Trump seine Stimme
Und die prominenten Stimmen in Reihen der Republikaner werden immer lauter. Bislang war es fast nur Liz Cheney aus Wyoming, die älteste Tochter Dick Cheney, der einst als Vizepräsident George W. Bushs zu den Scharfmachern in der Republican Party gezählt hat. Sie führte im Kongress die Ermittlungen ihrer Partei wegen der strafrechtlichen Vorwürfe gegen Trump an und dessen Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 an. Die MAGA-Trumpisten hassen sie - gerade deshalb gilt sie als Leitfigur bei den Zweiflern. „Ich habe bisher nie für einen Demokraten gestimmt, aber dieses Jahr werde ich meine Stimme stolz für Kamala Harris abgeben“, sagte sie bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Kamala Harris in Ripon, Wisconsin (siehe Foto). Ein symbolischer Ort: Die beiden dürften sich den kleinen Ort im Bundesstaat Wisconsin bewusst ausgesucht haben hier wurde anno 1854 mal hier die Republikanische Partei gegründet. Harris zeigte sich erkenntlich und lobte sie und ihren Vater Dick Cheney „für ihren Einsatz für unser Land“. Unterdessen gibt es namhafte Unterstützer, die den Weg der Cheneys Folge leisten.
Allen voran Mitt Romney. der Senator aus Utah, der gleichfalls mal wie zuvor schon John McCain als republikanischer Kandidat um das Weiße Haus gegen die Demokraten angetreten war und unterlegen blieb. „Ich habe sehr deutlich gemacht, dass ich nicht will, dass Donald Trump der nächste Präsident der USA wird“, bekannte Mitt Romney vergangene Woche erst an einer Universität in Salt Lake City im Mormonenstaat Utah. Er sagte nicht explizit, wie er letztlich abstimmen wird, sprach sybillinisch von schwierigen Berechnungen“ und Abwägungsfragen. In den Medien schlug die Meldung in der heißen Phase des Wahlkampfs dennoch so wuchtig ein wie ein Leberhaken gegen Trump. Seither macht der Begriff Anti-Trump-Rebellion verstärkt die Runde, das war bisher noch nie so krass in einem Präsidentschaft-Wahlkampf zu erleben. Denn auch Liz Cheneys Vater sagte sich final von Trump los - und verweigert ihm seine Stimme.
„Ich denke, dass Dick Cheneys Stimme unglaublich wichtig ist, weil sie einige traditionellere Konservative dazu bringen wird, für eine Sekunde innezuhalten und sich seinen Sinneswandel zu Gemüte zu führen.“ So sieht es Olivia Troye, ehemalige Sicherheitsbeauftragte von Trumps Vizepräsident, Mike Pence. Denn eigentlich müsste sich jeder Beobachter des US-Politik darüber wundern, warum es überhaupt noch eine Frage ist, ob Trump für das Amt des US-Präsidenten überhaupt geignet ist. Mike Pence, sein einstiger Stellvertreter im Weißen Haus, sollte es am besten wissen. Auch er hat einen Offenen Brief vs. Trump mit verfasst und unterzeichnet, in dem die namhaften Vertreter der wahren Republikaner opponieren und nun offen für Kamala Harris werben. Gefolgt von wahren Heerscharen ehemaliger Beamter, Minister und Strategen aus vergangenen US-Administrationen unter Führung der Republican Party.
Trumps Administration ist fast geschlossen von der Fahne gegangen
Mit Trumps beiden Nationalem Sicherheitsberatern, John Bolton und Henry MacMaster, dem Verteidigungsminister Mark Esper und selbst Trumps früheren Stabschef John Kelly ist quasi die Hälfte seiner alten Administration von der Fahne gegangen und warnt im Kollektiv vor dem unberechenbaren „Agent Orange“, der immer wieder mal mit Putin telefoniert, auf Staatsmänner á la Viktor Orbán schwört und sich mit Verschwörungstheoretikern umgibt und auf rechtsextreme, geradezu kriminelle Milizen wie die Prouds Boy zählt.
Auf Wikipedia gibt es unterdessen sogar eine extra Seite, in der alle Namen jener gemeinsamen Bewegung gegen Donald Trumps Kampagne vollständig aufgelistet sind. Selbst der Name von Stephanie Grisham lässt sich da finden - sie war einst Sprecherin und bei Pressekonferenzen das schöne Gesicht Trumps. Aus deutscher Sicht bemerkenswert: Auch Richard Burt, lange Zeit US-Botschafter in der Bundesrepublik, ist unter den Namen zu finden. Ein geradezu unfassbares Bekenntnis erfahrener Amerikaner, die als - ultima ratio - aufgestanden sind gegen Trump und seine zwielichtigen Unterstützer.
Angesichts von mehr als einer Million Republikaner, die bei den Vorwahlen die Widersacherin Nikki Haley gegen Trump, unterstützt haben, dürfte es viele Parteigänger geben, die das Bündnis gegen Trump durchaus beeindruckt und bei der Wahl beeinflussen könnte. Im Team Trump geht jedenfalls vielen schon die Düse, angesichts der vergleichsweise wenigen Stimmen, die die Gerechtigkeits-Waage gewichtig in die eine oder andere Richtung niederdrücken wird. Die „New York Times“ hat unterdessen ermitteln lassen und herausgefunden, dass etwa neun Prozent der registrierten Republikaner Kamala Harris zuneigen.
Das könnte den Unterschied machen, hofft man im Team Harris. In Deutschland wohl auch, wo erst am Wochenende Joe Biden für die transatlantische Partnerschaft gewürdigt und ausgezeichnet wurde im Schloss Bellevue. Denn: Ob es mit Donald Trump so harmonisch weitergeht, ist mehr als fraglich und sollte uns Sorgen bereiten. Harris indes dürfte außenpolitisch für Kontinuität sorgen. Viele Republikaner in den USA, denen das über Jahrzehnte Richtschnur und wichtiges Anliegen war, wissen das nur zu gut - und könnten sich bei der Wahl deshalb taktisch verhalten.