Panorama

Nawalnys Buch "Patriot" erscheint: Für Russland leben und sterben

Vor acht Monaten starb der Kremlgegner Alexej Nawalny im Straflager. Trotz der Folter in Haft schaffte er es, seine Autobiografie "Patriot" zu schreiben – eine scharfe Anklage gegen Präsident Putin.
22.10.2024 09:18
Aktualisiert: 22.10.2024 09:18
Lesezeit: 3 min
Nawalnys Buch "Patriot" erscheint: Für Russland leben und sterben
Julia Nawalnaja, Witwe von Alexej Nawalny, steht zum Ende eines Gottesdiensts für den verstorbenen russischen Oppositionspolitiker Nawalny vor dessen Bild (Foto: dpa). Foto: Sebastian Gollnow

Julia Nawalnaja betrachtet die Autobiografie "Patriot" ihres Mannes Alexej Nawalny als sein Vermächtnis. Das Buch erscheint nicht in Russland, aber auf Russisch und in 19 anderen Sprachen, darunter Deutsch (Verlag S. Fischer). Es sei ein bedeutendes Zeugnis des Mutes des wichtigsten Kremlgegners und seines Glaubens an eine bessere Zukunft für Russland, erklärt die 48-Jährige. Sie beendete die über 500 Seiten umfassende Biografie, die auch zahlreiche Fotos von Familie und politischen Auftritten enthält, nach Nawalnys Tod.

Sie betont, was auch Leser sofort bemerken: Nawalny verlor trotz Folter und Krankheit im Gefängnis nie seinen Humor und Optimismus. Wer seine politische Laufbahn verfolgt hat, wird viele Stationen wiedererkennen. Zudem ist die scharfe Kritik des Kremlgegners an öffentlichen Auftritten vor Tausenden Menschen oder vor Gericht unvergessen.

Die Biografie gewährt auch intime Einblicke in sein Leben. Sie zeigt einen Mann, der wie kein anderer das System unter Putin bloßstellte, und zugleich die Liebe zu seiner Frau Julia und den Kindern Dascha und Sachar. Julia Nawalnaja sagt in einem Instagram-Video, sie habe oft lachen und weinen müssen, als sie das unfertige Manuskript vervollständigte.

Ein Kämpfer gegen Korruption

Nawalny schildert, wie er als Offizierssohn in der zerfallenden Sowjetunion aufwuchs und über sein Jurastudium zum bedeutendsten Kämpfer gegen Korruption in Russland wurde. Seine Biografie ist nicht nur ein spannendes Zeugnis eines politisch wachen Geistes. Sie erzählt auch von Jugendsünden und Nawalnys Versuch, durch eine kontroverse Zusammenarbeit mit Rechtsextremen den Kreml zu bekämpfen.

Über weite Teile hinweg wirkt das Buch wie ein Nachschlagewerk, das beschreibt, wie politische Arbeit in einem autoritären System fern westlicher Ideale funktioniert. Nawalny baute ein breites Netzwerk auf, bloßstellte die Mächtigen mit seiner Anti-Korruptions-Stiftung und provozierte den Kreml, bis dieser immer härter zurückschlug. Auch die zahlreichen Angriffe auf Nawalny, besonders der Giftanschlag 2020 in Sibirien, werden beschrieben.

Dieser Anschlag, bei dem der Kremlgegner nur knapp überlebte, wird detailliert geschildert. Nawalny erzählt vom Kampf ums Überleben im Flugzeug und von seiner langsamen Genesung in der Berliner Charité. Auch der Besuch von Kanzlerin Merkel am Tag seiner Entlassung wird erwähnt. Der Fall, den der Kreml nie untersuchen wollte, war der Auslöser für sein Buch.

Rückkehr nach Russland trotz Gefahr

Nawalny erklärt ausführlich, warum er trotz drohender Haft und Lebensgefahr nach Moskau zurückkehrte. Nur so könne er seiner Liebe zu Russland treu bleiben – alles andere wäre Verrat. Die Biografie beleuchtet, wie er für seine politischen Überzeugungen das Familienglück und sein Leben riskierte.

"Von Anfang an war mir klar, dass ich lebenslang im Gefängnis sitzen werde", schreibt er an einer Stelle, und an einer anderen: "Ich werde im Gefängnis sterben, und es wird niemand da sein, um mich zu verabschieden."

Am 16. Februar starb Nawalny unter ungeklärten Umständen im Straflager "Polarwolf" in der Arktis. Tagelang weigerten sich die Behörden, seine Leiche herauszugeben, bis seine Mutter Ljudmila in einem Videoappell Druck auf Putin ausübte. Schließlich durfte Nawalny am 1. März in Moskau unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit beerdigt werden.

"Denkmal" für den Oppositionsführer

In "Patriot" zeigt sich Nawalny im Reinen mit sich selbst. Er habe in seinem Leben mehr erreicht als viele andere und betont, dass das Buch sein "Denkmal" sein werde, falls der Kreml ihn endgültig zum Schweigen bringe.

Sein Erbe wird jedoch nicht nur von diesem Buch bewahrt. Julia Nawalnaja hat bereits kurz nach seinem Tod erklärt, dass sie den politischen Kampf ihres Mannes gegen Putin weiterführen werde. Sie lebt mit den Kindern im Ausland und tritt regelmäßig bei Treffen mit Staatsoberhäuptern wie US-Präsident Biden oder Kanzler Scholz auf, um den Fokus auf den Krieg in der Ukraine zu lenken. Zudem setzt sie sich für die Freilassung politischer Gefangener ein, wie etwa bei Gesprächen mit Deutschland im Sommer.

Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung ist in Russland als extremistisch eingestuft. Doch sein Team setzt die Arbeit im Exil fort, wenn auch mit weniger Einfluss. Politische Analysten hatten stets befürchtet, dass der Tod Nawalnys der Opposition schweren Schaden zufügen würde. Heute, Monate nach seinem Tod, ist das Lager der Kremlgegner tatsächlich so zerstritten wie nie zuvor.

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