Nach dem äußerst knappen EU-Referendum in der Ex-Sowjetrepublik Moldau hat die Wahlkommission die Ergebnisse leicht zulasten der siegreichen proeuropäischen Befürworter korrigiert. Demnach fielen mehr als 1.000 Ja-Stimmen weg, die nun den Gegnern zugeschlagen wurden. Nach neuem Stand stimmten 50,38 Prozent der Teilnehmer dafür, einen proeuropäischen Kurs unabänderlich als strategisches Ziel in der Verfassung festzuschreiben. Das waren 750.075 Ja-Stimmen gegen 738.799 Nein-Stimmen (49,62 Prozent).
Laut moldauischen Medien stimmten die Menschen in der Mehrheit der Regionen im Land gegen die Verfassungsänderung. Den Ausschlag in die andere Richtung gaben die Hunderttausenden Moldauer, die im Ausland leben – vor allem in der EU.
Das Wahlergebnis der sehr prowestlichen Sandu ist mit etwas über 40 Prozent hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Zudem schnitt der Zweitplatzierte, der Russland eher zugeneigte frühere Generalstaatsanwalt Moldaus und Kandidat der Sozialistischen Partei, Alexandru Stoianoglo mit 26 Prozent besser als erwartet ab. Da viele der anderen neun Kandidaten eher prorussisch sind, gibt es für Stoianoglo eine gute Chance, dass diese Wähler für ihn in der kommenden Stichwahl stimmen. Damit könnte es für Sandu noch eng werden.
Eine noch größere Enttäuschung für Sandu und die Regierung war aber das Ergebnis des Referendums, mit dem über einen Zusatz im Grundgesetz Moldaus abgestimmt wurde, der den Beitritt zur EU zum Verfassungsziel erhebt. Hier gab es nur eine sehr knappe Mehrheit von 50,4 Prozent. Bei den innerhalb der eigenen Grenzen lebenden Wählern gab es sogar eine Mehrheit gegen das Ziel des EU-Beitritts. Nur bei den vielen in der EU wohnenden Moldauern gab es eine deutliche Mehrheit von über 70 Prozentfür die EU-Mitgliedschaft. Das Ergebnis zeigt, wie stark die Skepsis in Moldau gegenüber der EU ist. Die Nein-Sager sind dabei aber nicht immer erklärte Freunde Russlands. Vielmehr scheint bei einem Teil der Wähler die Angst zu überwiegen, durch eine Parteinahme für die EU in den Fokus des Kremls zu geraten. Innerhalb dieser Wählergruppe überwiegt zudem die Sympathie für eine neutrale Position des Landes.
Wirtschaftliche Probleme schwächen Sandu
Daneben hat ein Teil der Bürger auch aus Enttäuschung über die eher geringen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte in den letzten Jahren unter EU-freundlichen Regierungen mit „Nein“ gestimmt. Dies dürfte Sandu geschadet haben, wenngleich sie nach wie vor über Sympathien in der Bevölkerung verfügt. Doch Moldau ist weiter das Land mit dem niedrigsten Bruttosozialprodukt pro Kopf in Europa, abgesehen vom Kosovo und der Ukraine. Die Erwartung, durch eine Annäherung an die EU wohlhabender zu werden, hat sich bisher nicht erfüllt. Und da Maia Sandu das Aushängeschild der EU-Befürworter ist, fällt der Unmut vor allem auf sie zurück.
Auch deshalb machte Sandu aus ihrer Enttäuschung über das Ergebnis keinen Hehl. Die Schuld für das mäßige Ergebnis gab sie Russland. Die russische Regierung habe massiv versucht, die Wahlen zu beeinflussen. So habe diese angeblich 300.000 Stimmen mithilfe von „kriminellen Banden“ gekauft. Direkte Beweise für ihre Anschuldigungen legte Sandu nicht vor. Allerdings gibt es mehrere Videos von Investigativjournalisten, bei denen Personen zu sehen sind, die an Menschen auf dem Land Geld verteilen.
Auch Einmischung durch die EU
Für einen russischen Versuch der Einflussnahme sprechen auch manche Äußerungen aus der russischen Politik. Allerdings hat die EU ebenfalls vor den Wahlen versucht, die Stimmung in Moldau in ihrem Sinne zu beeinflussen. So war Kommissionspräsidentin von der Leyen wenige Tage vor der Wahl in der moldauischen Hauptstadt und versprach der moldauischen Regierung ein Wahlgeschenk von Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Sehr viel Geld für ein so armes Land.
Im August war Bundeskanzler Scholz in Moldau und versprach der Regierung ebenfalls finanzielle Hilfen. Scholz sprach von vier erfolgreichen Jahren unter der Präsidentschaft Sandus. Diese hätte „mit Mut, mit Geschick und mit Herz“ gehandelt.
Was bringt Moldau der EU und Deutschland?
Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob Moldau überhaupt ein Gewinn für die EU wäre. Bei einem EU-Beitritt würden milliardenschwere Subventionen nach Moldau fließen, finanziert von den europäischen und nicht zuletzt den deutschen Steuerzahlern. Auch für die deutsche Wirtschaft ist das Land im Südosten Europas kaum interessant. Meist wird der moldauische Markt nur von Standorten in Rumänien oder anderen osteuropäischen Ländern bedient, die wesentlich attraktiver als Moldau sind.
Wenn in Deutschland ein großer Teil der Presse (im Verein mit der Bundesregierung) die Annäherung Moldaus an die EU und den Reformkurs stets in rosaroten Farben gezeichnet hatte, so war vermutlich vielen Journalisten die problematische innenpolitische Lage des Landes wenig bekannt.
Die Defizite der moldauischen Politik
Präsidentin Sandu hat bei ihrem Amtsantritt versprochen, stärker gegen die Korruption vorzugehen. Passiert ist bisher wenig. Die deutsche Entwicklungsorganisation GIZ schätzte die Lage im März 2024 kritisch ein: „Korruptionsfälle auf höchster Ebene, verdeckte Interessen und Probleme mit einer unabhängigen Justiz beeinflussen die Fortschritte.“ Der Kampf gegen die Korruption sei schwierig, „weil die Antikorruptionseinrichtungen nicht zentral organisiert sind und ihre Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt sind.“ Deshalb unterstützt die GIZ im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums die Korruptionsbekämpfung in Moldau. Als besonders korruptionsanfällig gelten die Lebensmittel- und Agrarindustrie, das Gesundheitswesen, der Energiesektor und der Bildungsbereich.
Die mangelnden Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption hemmen auch die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes. Außerhalb der Hauptstadt, in der Sandu bezeichnenderweise den größten Rückhalt besitzt, gelten viele Regionen des Landes als verarmt. Selbst die FAZ, die bisher Sandu und ihren politischen Kurs sehr positiv dargestellt hatte, konstatiert in einem aktuellen Kommentar :“ Wirtschaftlich geht es vielen Moldauern sogar schlechter als vor einigen Jahren.“
Unklare Zukunft
Auch wenn die EU-Kommission das Ergebnis als eine Bestätigung für Sandu wertet, sprechen Moldau-Experten eine ganz andere Sprache. Die CDU-Abgeordnete Andrea Wechsler, die Mitglied der EU-Moldau Delegation ist, wertet das Ergebnis als „sehr schwierig“ für die EU. Und der Moldau-Experte Felix Hett sieht ebenfalls keinen Erfolg für Sandu: „Russland will Moldau langfristig in seiner Einflusszone behalten. Das Ziel war, Sandu in einen zweiten Wahlgang zu zwingen und das Referendum zu torpedieren. Beides war teilweise erfolgreich.“
Es ist offensichtlich, dass es in einem nicht kleinen Teil der moldauischen Gesellschaft weiter Sympathien für Russland oder zumindest für einen eigenen Weg zwischen Ost und West gibt. Hier spielt nicht nur eine Rolle, dass Moldau bis 1990 Teil der Sowjetunion war. Ebenso wichtig ist die sehr lange Zugehörigkeit Moldaus zum russischen Zarenreich (bis 1918), die die Region kulturell stark geprägt hat.
Das Referendum hat die prowestliche Regierung in Moldau nicht gestärkt. Dazu war der Ausgang zu knapp. Sandu hat sich durch das besonders von ihr gewollte Referendum eher geschadet. Umso wichtiger werden daher für sie die Stichwahl um das Präsidentenamt im November und die Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Die politische Zukunft Moldaus erscheint aktuell unklarer als noch vor einigen Wochen.