Söder betonte in der ARD-Sendung "Maischberger", dass es nicht infrage käme, "irgendwelche Ampel-Projekte, die nicht mal in der Ampel eine Mehrheit haben, künstlich durchzuwinken". Merz machte im ARD-"Brennpunkt" deutlich, dass die Union vor einer Vertrauensfrage keine Zusammenarbeit mit Scholz' Minderheitsregierung anstreben werde. "Wir werden uns hier vom Bundeskanzler nicht vorführen lassen. Wir lassen uns auch nicht für das Versagen dieser Regierung in die Mitverantwortung nehmen." Scholz plant, am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Ein Neuwahltermin für die Bundestagswahl wäre dann Ende März möglich.
Neuwahlen: Ist eine Verzögerung riskant für das Land?
Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner erhielten sowohl der FDP-Vorsitzende als auch die aus der Regierung ausgeschiedenen Ressortchefs Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung) ihre Entlassungsurkunden. Neuer Finanzminister ist Jörg Kukies (SPD), ein wirtschaftspolitischer Berater des Kanzlers. Volker Wissing, aus der FDP ausgetretener Verkehrsminister, bleibt im Amt und übernimmt auch das Justizressort. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) führt zusätzlich das Bildungsministerium. Laut Union und AfD sollte Scholz einen Neuwahltermin möglichst schon in der kommenden Woche anstreben. Der Kanzler plant, am Mittwoch im Bundestag eine Regierungserklärung abzugeben, die laut Merz eine ideale Gelegenheit für die Vertrauensfrage wäre. "Dann könnten wir schnell abstimmen. Und dann haben wir bis Weihnachten noch genug Zeit, über alle Themen zu sprechen, die wir besprechen müssen. Aber die Entscheidung liegt bei ihm."
Auch AfD-Chefin Alice Weidel erklärte: "Nächste Woche haben wir eine Regierungserklärung am Mittwoch - da könnte er (Scholz) zum Beispiel die Chance nutzen, die Vertrauensfrage zu stellen." Söder fügte hinzu, dass ein schneller Neuwahltermin sicherstellen würde, dass Deutschland bereits eine neue Regierung hat, wenn Donald Trump am 20. Januar sein Amt als US-Präsident übernimmt. Der entlassene FDP-Chef Lindner warnte vor einem Zustand der politischen Unsicherheit ohne handlungsfähige Regierung. Er hätte sich gewünscht, dass die Koalition gemeinsam einen geordneten Neuwahlprozess einleitet, erklärte der 45-Jährige in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Lindner". Auch Söder sieht in einer Verzögerung der Neuwahl eine Gefahr für das Land.
Merz erwartet vor einem Neuwahltermin keine bedeutenden Reformen mehr. "Wir werden mit dieser Regierung keinen Aufschwung mehr hinbekommen, sondern wir werden allenfalls ein paar Restbestände noch weggeräumt bekommen", sagte der CDU-Frontmann.
Baerbock befürwortet späteren Neuwahltermin
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) steht hinter Scholz' Plan für einen geordneten Neuwahltermin. Der Kanzler habe sich für ein strukturiertes Verfahren entschieden, erklärte sie bei "Maischberger". Trump werde Amtsinhaber Joe Biden erst im Januar ablösen. Während die USA also "keinen wirklich handlungsfähigen Präsidenten" hätten, sollte Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land Europas nicht unmittelbar vor einer Wahl stehen.
Auch SPD-Chef Lars Klingbeil unterstützt Scholz' Zeitplan: Bis zur Neuwahl müssten noch wichtige Gesetze verabschiedet werden. Er stellte die rhetorische Frage, warum die Union gegen eine Erhöhung des Kindergelds oder gegen die Abmilderung der kalten Progression stimmen sollte. Die kalte Progression beschreibt den Effekt, dass Bürger auch dann mehr Steuern zahlen, wenn Gehaltserhöhungen nur die Inflation ausgleichen.
Heil strebt Rentenreform an - kommt sie noch vor dem Neuwahltermin?
Arbeitsminister Hubertus Heil möchte das gemeinsam mit Lindner initiierte Rentenpaket noch vor dem Neuwahltermin durch den Bundestag bringen. Er werde sicherstellen, dass die Rentenreform weiter vorangetrieben werde, sagte der SPD-Politiker im ZDF. Das Paket soll Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung der Renten umfassen; zudem sollen, auf Drängen der FDP, Milliarden am Aktienmarkt investiert werden, um Beitragssteigerungen abzufedern. Heil kündigte an, für die notwendigen Mehrheiten kämpfen zu wollen.
Baerbock setzt auf persönliche Gespräche mit Merz, um eine Mitwirkung der Union bei geplanten Gesetzen zu erreichen. "Das Wichtigste in schwierigen Situationen ist es, vertrauensvoll miteinander zu sprechen", betonte die Grünen-Politikerin. Sie hofft, dass eine Einigung mit der Union erreicht werden kann, so wie bei der Zustimmung zu einem Sondervermögen für die Bundeswehr. "Naiv" wäre es jedoch, wenn SPD und Grüne ohne generelle Verständigung mit der Union auf einzelne abweichende Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion setzen würden, erklärte Baerbock. Ein kürzliches Treffen zwischen Merz und Scholz hatte nach Berichten aus der Unionsfraktion keine Ergebnisse gebracht.
Merz: "So würde ich es nicht machen"
Merz kritisierte Scholz' Umgang mit Lindner und nannte dessen Auftritt "unwürdig". "Das wäre nicht mein Stil", sagte er. "Und das gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was wir von der SPD und von Olaf Scholz auch im Bundestagswahlkampf erwarten dürfen." Lindner beschwerte sich darüber, dass Scholz ihm "Steine hinterherwerfe". "Ich werde diese Steine nicht aufheben und zurückschmeißen." Er habe sich für einen anderen Stil entschieden und sorge sich, dass das Verhalten in der politischen Kultur das Vertrauen in die Demokratie gefährden könnte.
Laut einer Infratest-Dimap-Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend befürworten 65 Prozent der Deutschen eine baldige Neuwahl. 33 Prozent unterstützen Scholz' favorisierten Neuwahltermin im März. Eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF ergab, dass 30 Prozent einen Wahltermin im März bevorzugen, während 54 Prozent sich eine frühere Wahl wünschen. In der ARD-Umfrage befürworten 59 Prozent das Ende der Ampel-Koalition. 40 Prozent machen die FDP für das Scheitern verantwortlich, während 26 Prozent die Schuld bei den Grünen und 19 Prozent bei der SPD sehen.