Schutzbunker-Diskussion: Neue Kriegsgefahr rückt sie wieder in den Fokus
Nach dem Ende des Kalten Krieges schien eine reale Kriegsgefahr in Deutschland undenkbar. Doch der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat das Bild verändert. Steht das Land vor einer Renaissance der Schutzbunker? Russland setzt die Ukraine mit Raketen- und Drohnenangriffen unter Druck. Die Menschen dort flüchten in Schutzräume wie Keller und U-Bahnhöfe. Auch in Deutschland wird die Debatte um den Zustand des Zivilschutzes und die Frage nach ausreichend Schutzbunkern intensiver geführt.
Was löst die Diskussion aus?
Aktueller Auslöser sind Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Nachdem Russland eine Mittelstreckenrakete auf Dnipro abgefeuert hatte, warnte Putin Unterstützer der Ukraine vor möglichen Angriffen.
"Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen militärische Objekte der Länder einzusetzen, die es zulassen, dass ihre Waffen gegen uns eingesetzt werden", erklärte er. "Im Fall einer Eskalation aggressiver Handlungen werden wir entschieden spiegelbildlich handeln." Die "Bild" berichtete daraufhin über einen möglichen "nationalen Bunker-Plan", der in Deutschland in Arbeit sei.
Wie viele Schutzräume gibt es derzeit?
Von ursprünglich 2.000 öffentlichen Schutzbunkern in Deutschland existieren laut Bundesinnenministerium noch 579 mit rund 480.000 Plätzen. Nach dem Kalten Krieg hielt kaum jemand eine Kriegsgefahr für realistisch. Viele Schutzanlagen wurden verkauft oder aufgegeben. 2007 wurde beschlossen, die verbleibenden Bunker abzuwickeln. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs im März 2022 wurde dieser Prozess gestoppt.
Was wurde seither unternommen?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) startete eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Schutzräume. Dabei wird geprüft, welche Anlagen – etwa mit intakten Lüftungen und Türen – wieder nutzbar gemacht werden können. Derzeit wird ein "nationales Schutzraumkonzept" entwickelt.
Laut Innenministerium arbeitet eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern daran. Ein Sprecher betonte jedoch, dass konkrete Ergebnisse Zeit bräuchten.
Was könnte das Konzept beinhalten?
Das Innenministerium erklärte, dass eine systematische Erfassung geeigneter Gebäude geplant sei. Dazu zählen auch private Immobilien wie Tiefgaragen oder Kellerräume, die als Schutzbunker genutzt werden könnten. Ziel ist eine Datenbank, die Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, über Apps und Kartendienste schnell den nächstgelegenen Schutzraum zu finden.
Weitere Überlegungen betreffen bauliche Anpassungen und Aufklärungskampagnen, um bestehende Keller besser als Schutzräume nutzen zu können. Wichtig sei laut Innenministerium vor allem die schnelle Erreichbarkeit solcher Räume.
Gibt es Pläne für flächendeckenden Bunkerbau?
Das scheint unwahrscheinlich. Ein Regierungsbericht von Februar verwies auf die "Konzeption Zivile Verteidigung" von 2016, die die flächendeckende Bereitstellung von Schutzräumen als unrealistisch bezeichnet. In einem Expertenbericht, der im Sommer bei der Innenministerkonferenz diskutiert wurde, heißt es, dass moderne Präzisionswaffen zentral gelegene Bunker für viele Menschen ungeeignet machten.
BBK-Präsident Ralph Tiesler betonte, dass es selbst früher nie mehr als Schutzräume für drei Prozent der Bevölkerung gab. Vertreter der Ampel-Koalition, darunter Innenministerin Nancy Faeser (SPD), setzen stattdessen auf Investitionen in Warnsysteme, Notstromversorgung, mobile Unterkünfte und IT-Sicherheit.
Wie sieht der Schutzbunker-Ausbau in anderen Ländern aus?
Polen hat im Frühjahr angekündigt, an der Grenze zu Belarus und Kaliningrad Bunker und Schützengräben zu errichten. Auch Finnland, ein neues Nato-Mitglied, wird oft als Vorbild genannt. Dort gibt es 50.500 Schutzbunker, die fünf Millionen Menschen Platz bieten – fast der gesamten Bevölkerung.
In der Hauptstadt Helsinki, mit ihren rund 900.000 Einwohnern, gibt es sogar mehr Bunkerplätze als Bewohner. Diese Anlagen stammen ebenfalls aus der Zeit des Kalten Krieges und sind nach wie vor einsatzbereit.