Finanzen

Bürgergeld: Warum die Kosten trotz Reform weiter explodieren

Das Bürgergeld sollte mehr soziale Gerechtigkeit schaffen, doch zwei Jahre nach der Einführung steigen die Kosten und Empfängerzahlen weiter. Neben der Wirtschaftskrise und hohen Flüchtlingszahlen belasten ineffiziente Maßnahmen die Budgets. Ist eine Reform nötig, um die Ausgaben zu senken und die Zielsetzung zu erfüllen?
19.01.2025 11:08
Lesezeit: 4 min
Bürgergeld: Warum die Kosten trotz Reform weiter explodieren
Die Kosten für das Bürgergeld steigen 2025 auf über 45 Milliarden Euro – eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft. (Foto: iStock.com/Stadtratte) Foto: Stadtratte

Das Bürgergeld verfehlt sein Ziel – die Empfängerzahlen steigen und die Kosten nehmen sogar überproportional zu. Das ist die nüchterne Bilanz seit der Einführung vor zwei Jahren, als das Bürgergeld das ehemalige Hartz IV ablöste. Eine Bezugsberechtigung für das Bürgergeld haben generell Menschen, die zwar erwerbsfähig sind, jedoch ihren Lebensunterhalt nicht aus einem eigenen Einkommen generieren, sondern ihn auch aus anderen Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld, Wohngeld oder Kinderzuschläge decken. Bürgergeldempfänger müssen ferner mindestens 15 Jahre alt sein und ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.

Mehr als 3 Milliarden Euro Mehrausgaben

Im Jahr 2024 stiegen die Kosten für das Bürgergeld nach den Erhebungen des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung zwischen Januar und September um ganze 3,2 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr. Unter den Empfängern waren im September 2024 dabei 3,97 Millionen erwerbsfähig und damit mehr als im Vorjahresmonat mit 3,93 Millionen Beziehern. Die Zahl der erwerbsunfähigen Bürgergeldempfänger sank hingegen leicht von 1,54 Millionen Empfängern im September 2023 auf 1,49 Millionen in 2024.

Bürgergeld: Vielfältige Gründe für die Kostensteigerungen

Die gestiegene Zahl an erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehern ist aber nicht der ausschlaggebende Grund für den deutlichen Anstieg der Kosten. Auch die hohe Anzahl an geflüchteten Menschen aus dem Krisengebiet der Ukraine, sie einen Anspruch auf Bürgergeld sofort geltend machen können, trägt zu der Kostenexplosion maßgeblich bei, nach einer Analyse des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Zusätzlich treibt natürlich auch die anhaltende Wirtschaftskrise immer mehr Menschen in diese Sozialleistung. Die geplanten Maßnahmen, die eine Höherqualifizierung und eine Durchsetzung zu mehr Verbindlichkeit haben irgendwelche spürbaren Auswirkungen auf die Entwicklung gehabt, so RND weiter.

Keine Kapazitäten für Betreuung und Fortbildung

Das Jobcenter sei aufgrund von seiner begrenzten Kapazitäten gar nicht in der Lage gewesen, in großem Stil wirkungsvolle Maßnahmen durchzuführen. Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber berichtet zwar, dass durch Studien gezeigt wurde, dass gute Betreuung und Unterstützung sowie Qualifizierungsprogramme durchaus wirkungsvoll seien. Aufgrund der schwachen Kapazitäten ist aber die Anzahl der Bürgergeldempfänger in den Weiterbildungsprogrammen fast unverändert und viele Bezieher der Sozialleistung haben enorme Schwierigkeiten, überhaupt den Zugang zu einem Förderprogramm zu finden.

Massiver Kostenanstieg auch für 2025 erwartet

Obwohl die Regelsätze für das Bürgergeld fürs neue Jahr nicht erhöht wurden, wird für 2025 ein erneuter Anstieg bei den Bundesausgaben für diese Sozialleistung von knapp 10 Milliarden Euro erwartet. Jetzt wird auch bei den Sozialdemokraten ein härteres Durchgreifen gefordert. Bevor die Ampel-Koalition Geschichte wurde, hatte die alte Regierung bereits schärfere Bedingungen für den Bezug von Bürgergeld geplant, unter anderem höhere Sanktionen bei einer Ablehnung von Arbeitsmöglichkeiten.

Dies wird von Weber allerdings kritisch beurteilt. Seiner Meinung nach würden härtere Sanktionen dann zwar zu einer höheren Beschäftigung führen, jedoch die Arbeitssuchenden auch schnell in Jobs zwingen, die längerfristig keine Perspektive hätten und somit bald wieder in die Arbeitslosigkeit führen würden. Kritisch sei auch der Anteil an Bürgergeldbeziehern, die trotz einer regelmäßigen Arbeit auf die zusätzliche Sozialleistung angewiesen seien, um über die Runden zu kommen.

Sparpläne beim Bürgergeld im neuen Bundeshaushalt sind nicht realistisch

Für 2025 will der Bund insgesamt 2 Milliarden Euro Bürgergeld einsparen können und das, obwohl für 2025 eine steigende Arbeitslosigkeit erwartet wird. Insgesamt werden hier 25 Milliarden Euro für die Regelleistungen geplant, 11 Milliarden für die Beteiligung des Staates an Unterkunft und Heizung und rund 3,7 Milliarden für die Eingliederung in die Arbeit. Zusätzlich gespart werden soll bei der Verwaltung, die immerhin mit satten 5,3 Milliarden im Haushaltsplan veranschlagt ist. Die Gesamtkosten fürs Bürgergeld liegen damit bei ganzen 45,3 Milliarden Euro für 2025.

Kann da wirklich gespart werden?

Es ist nicht damit zu rechnen, dass im Jahr 2025 die Anzahl der Bürgergeldempfänger sinkt. Zwar wird die Höhe der Leistungen im Vergleich zu 2024 gleich bleiben – es gibt dann weiterhin 563 Euro für Alleinstehende und zwischen 1783 und 2011 Euro für vierköpfige Familien plus weitere Zuschüsse zu Unterkunft und Heizkosten. Allerdings tut die schlechte wirtschaftliche Lage ihr Übriges. Viele Menschen, die ihre Arbeit verlieren, werden nicht so schnell einen neuen Arbeitsplatz finden und werden damit auch vermehrt auf Sozialleistungen angewiesen sein.

Wirtschaftsprognosen gehen davon aus, dass auch nach zwei Jahren Stagnation keine Änderung im neuen Jahr zu erwarten ist. Das ist jetzt auch auf dem Arbeitsmarkt deutlich spürbar geworden. Seit Mitte 2020 steigt die Arbeitslosigkeit kontinuierlich an, und auch für 2025 wird mit einer weiteren Erhöhung gerechnet. Durch längere Zeiten der Beschäftigungslosigkeit besteht auch die Gefahr, dass immer mehr Menschen von der Versorgung über das Arbeitslosengeld I in die Grundsicherung rutschen werden, prognostiziert die Expertin Stefanie Seele vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).

Bezieher von Bürgergeld profitieren auch von anderen Leistungen

Bürgergeldempfänger profitieren hierzulande von einer Reihe weiterer Zuschüsse und Vergünstigungen. Neben den Zuzahlungen zur Unterkunft und Heizung können sie auch Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung erhalten und können bei Bewilligung durch das Jobcenter eine Erstattung für die Fahrtkosten zur beruflichen Weiterbildung in Anspruch nehmen. Wer in einer besonders schwierigen Lage ist, kann zusätzlich Sachleistungen in Form von Gutscheinen für Bekleidung oder Möbel erhalten. Außerdem erhalten Schwangere und Alleinerziehende zusätzliche Unterstützung, unter anderem auch in Form einer Erstausstattung bei einer Schwangerschaft.

Für Kinder gibt es ebenfalls eine Reihe von Zusatzleistungen, wie z. B. die Übernahme von Kosten für mehrtägige Klassenreisen; Mittagessen oder Ausstattungen zu Beginn eines neuen Schuljahres. Bei getrennt lebenden Eltern können die Kosten für größere Entfernungen als Mehrbedarf angemeldet werden, um das Umgangsrecht ausüben zu können.

In manchen Bundesländern gibt es ferner Vergünstigungen für den öffentlichen Nahverkehr und auch einen ermäßigten oder sogar freien Eintritt in Museen oder Schwimmbädern sowie kostenlose Bibliotheksausweise.

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