Der demografische Wandel in Deutschland setzt dem Arbeitsmarkt schwer zu. Die geburtenstarken Babyboomer verabschieden sich in die Rente und hinterlassen eine riesige Fachkräftelücke, die durch die jüngeren Jahrgänge nicht geschlossen werden kann. Dies wird das Produktions- und Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft stark gefährden. Wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) herausgearbeitet hat, wird sich das Problem nur durch eine gezielte Migration lösen lassen.
Nach den Berechnungen in der Studie würde das aktuelle Wachstumspotenzial von derzeit mageren 0,1 bis 0,4 Prozent sehr rasch auf null sinken, wenn die fehlenden Fachkräfte nicht durch Migration ersetzt würden. Um mittelfristig wieder ein Wachstumspotenzial von durchschnittlich 1,1 Prozent zu erreichen, müsste demnach eine Zuwanderung von Arbeitskräften in Höhe von 1,5 Millionen realisiert werden bis 2029. Durch die demografische Alterung der deutschen Erwerbsbevölkerung verliert der Arbeitsmarkt netto in den Jahren zwischen 2025 und 2029 jährlich ca. 300.000 Arbeitskräfte.
Inländisches zusätzliches Arbeitskräftepotenzial ist begrenzt
Diese Lücke kann durch das inländische Potenzial an Arbeitskräftereserven nicht geschlossen werden. Hier gibt es nach der Studie nur zwei Möglichkeiten, Reserven zu mobilisieren. Zum einen können Frauen noch stärker am Erwerbsleben teilnehmen und zum anderen können auch Berufstätige am Ende ihres Berufslebens noch weiter beschäftigt werden. Zwar hat die Berufstätigkeit von Frauen in den letzten Jahren stetig zugenommen, aber die Beschäftigungsquote liegt immer noch deutlich unter der von Männern, ferner üben viele Frauen auch nur Teilzeitbeschäftigungen aus.
Die Politik kann hier durch gezielte Maßnahmen, wie beispielsweise die Ausweitung der Kinderbetreuungskapazitäten, die Reform des Ehegattensplittings und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsanreizen für ältere Beschäftigte eine Grundlage schaffen, die zusätzliche inländische Beschäftigungspotenziale aktiviert. Dennoch werden auch diese Kapazitäten die Fachkräftelücke nicht schließen können. Deshalb wird eine gezielte Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte notwendig sein, um zukünftige Wachstumspotenziale für die deutsche Wirtschaft zu sichern, so die Studie weiter.
Mehr Erwerbsmigration durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Die Zuwanderung spielt im deutschen Arbeitsmarkt schon seit einiger Zeit eine bedeutende Rolle. Schon seit Anfang 2023 wird die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nur durch ausländische Arbeitskräfte realisiert.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, zuletzt 2023 reformiert, erleichtert qualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Es wurden Gehaltsschwellen gesenkt und neue Zugangswege wie die Chancenkarte eingeführt. Zudem ermöglicht eine Anerkennungspartnerschaft den Aufenthalt zur Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen.
Immer noch hohe Hürden bei der Einwanderung
In Befragungen ausländischer Fachkräfte, die ein Interesse an einer Erwerbsmigration nach Deutschland zeigen, wird jedoch deutlich, dass immer noch viele Hürden bei der Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland zu bewältigen sind. Neben bürokratischen Komplikationen in Bezug auf eine Visaerteilung und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse wird dabei auch eine fehlende Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche aus dem Ausland heraus genannt. Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein weiterer Hinderungsgrund für ausländische Fachkräfte, eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Aber auch aus Unternehmensbefragungen zeigen sich Probleme bei der Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften. Sowohl rechtliche als auch bürokratische Hürden und die schwierige Einschätzung ausländischer Berufsqualifikationen halten viele Unternehmen davon ab, aktiv Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben.
Ausländische Fachkräfte muss Deutschland auch halten können
Um den Arbeitskräftebedarf durch ausländische Arbeitnehmer mittelfristig zu sichern, bedarf es aber noch weiterer Maßnahmen, denn auch die in Deutschland bereits arbeitenden Erwerbsmigranten haben mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen, die in vielen Fällen dazu führen, dass sie das Land auch wieder verlassen. Aus Befragungen von Erwerbsmigranten in Deutschland geht hervor, dass 56 Prozent der befragten Personen mit Diskriminierung zu kämpfen haben - im Alltag und bei der Wohnungssuche. Zudem gäbe es zu wenig Unterstützung bei der Jobsuche für den Lebenspartner. Durchschnittlich 838.000 ausländische Arbeitskräfte aus der EU und dem Rest der Welt haben in den Jahren 2015 bis 2023 Deutschland jährlich auch wieder verlassen. Hier müssten auch gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitskräfte im Land zu halten.
Geflüchtete müssen qualifiziert werden
Auch die in Deutschland lebenden Flüchtlinge stellen mittelfristig ein wichtiges Potenzial für den heimischen Arbeitsmarkt dar. Diese nehmen im Schnitt deutlich später als die Erwerbsmigranten eine Arbeit in Deutschland auf. Sie kämpfen mit vorübergehenden Beschäftigungsverboten und langwierigen Asylverfahren, die erst einmal ihren Aufenthaltsstatus klären müssen. Hier könnten verkürzte Asylverfahren helfen, die im Jahr 2024 durchschnittlich 8,7 Monate dauerten. Durch die fehlende Vorbereitung auf einen Aufenthalt in Deutschland sind bei dieser Bevölkerungsgruppe auch kaum Deutschkenntnisse vorhanden. Ein ausreichendes Angebot an Sprachkursen ist hier besonders wichtig, ebenso wie eine Weiterqualifizierung. Aktuell arbeiten Flüchtlinge überproportional häufig in sogenannten Helferberufen. Die Nachfrage nach solchen Arbeitskräften wird nach der aktuellen Qualifikations- und Berufsprojektion (QuBE-Projekt) aber in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen. Hier gilt es, durch Aus- und Weiterbildungen Flüchtlinge für die kommende Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
Trotz der wirtschaftlich angespannten Lage in Deutschland bestehen bereits heute große Fachkräftelücken in der Pflege, Sozialpädagogik, Kinderbetreuung und in technischen Berufen.