Wirtschaft

Jeder dritte Fernzug kommt zu spät – ein Spiegelbild für den Zustand Deutschlands?

Die anhaltenden Verspätungen der Deutschen Bahn sind mehr als nur ein Ärgernis für Reisende – sie stehen sinnbildlich für die strukturellen Herausforderungen, die Deutschland in zentralen Bereichen bewältigen muss.
01.02.2025 09:47
Lesezeit: 3 min
Jeder dritte Fernzug kommt zu spät – ein Spiegelbild für den Zustand Deutschlands?
Ein ICE der Deutschen Bahn fährt über eine Bahn-Trasse in der Region Hannover (Foto: dpa). Foto: Julian Stratenschulte

Mit Verspätungen bei jedem dritten Fernzug ist die Bahn längst nicht mehr das Symbol für Effizienz und Zuverlässigkeit, das einst unser Land prägte. Und das ist nicht nur teuer für die Deutsche Bahn, im internationalen Vergleich stehen wir schlecht da: Länder wie die Schweiz, Spanien oder Italien zeigen, wie ein moderner und effizienter Bahnverkehr funktionieren kann.

Die europäischen Südstaaten, die einst wirtschaftlich schwächelten und als „PIGS“ etwas verspottet wurden, haben sich generell in den vergangenen Jahren revitalisiert. Ihre Wirtschaften wachsen, die Zuversicht ist nach Rom, Lissabon, Madrid und Athen zurückgekehrt. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie Reformen und klare Prioritäten positive Veränderungen bewirken können – eine Lehre, die auch für die Modernisierung der deutschen Infrastruktur relevant ist.

Die Schweiz investiert kontinuierlich in ihre Bahninfrastruktur und Zugflotten. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) nutzen hochmoderne Züge wie den Giruno, der besonders energieeffizient ist und für Hochgeschwindigkeitsstrecken ausgelegt wurde. Spanien glänzt mit einer der modernsten Hochgeschwindigkeitsflotten Europas, darunter die AVE-Züge, die Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/h erreichen. Auch neue Anbieter wie Ouigo und Iryo setzen auf innovative Zugmodelle. In Italien gehört der Frecciarossa 1000 zu den fortschrittlichsten Hochgeschwindigkeitszügen Europas – er ist umweltfreundlich, komfortabel und ebenfalls für extrem hohe Geschwindigkeiten ausgelegt.

Auch die Deutsche Bahn verfügt mit dem ICE über einen modernen Fernverkehrszug. Die neueste Version, der ICE 4, bringt es aber nur auf Höchstgeschwindigkeiten von 265 Kilometer pro Stunde. Beim ICE 5 soll das dann anders werden: Mit einer Länge von 400 Meter und einer Kapazität von rund 940 Sitzplätzen sollen die ICE 5 Züge eine Geschwindigkeit von mindestens 300 Kilometer pro Stunde erreichen. Problem: Aktuell möchte niemand den Zug der Zukunft bauen, die Bahn findet keinen Hersteller für den ICE 5 - auch das ist ein schlechtes Symbol für den Standort Deutschland.

Klar ist, dass die Ursachen für die Verspätungen und Herausforderungen der Deutschen Bahn vielfältig sind: Jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur, schleppende Investitionen und ein komplexes Geflecht aus organisatorischen Hürden belasten das System. Diese Probleme zeigen auf, wie wichtig es ist, klare Prioritäten bei der Modernisierung von Schienennetzen und Bahnhöfen zu setzen, um die Zuverlässigkeit und Attraktivität des Bahnverkehrs nachhaltig zu steigern.

Die europäischen Südstaaten als Vorbild?

Wenn die positive Entwicklung des Bahnverkehrs in anderen Industrienationen mit der Situation in Deutschland verglichen wird, sollten aber immer folgende Punkte im Hinterkopf bleiben: Bei der letzten Erhebung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2019 hatte das Schienennetz in Deutschland eine Länge von 33.422 Kilometern. Weder die Schweiz mit 3.236 Kilometern und Spanien mit 15.718 Kilometern noch Italien mit 16.779 Kilometern können damit mithalten. Selbst Frankreich, das flächenmäßig größer ist als Deutschland, hat ein Schienennetz mit einer Länge von lediglich 28.241 Kilometern.

Auch bei der Bevölkerungsdichte liegt Deutschland in Europa weit vorne, wie eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2021 zeigt: Mit 283 Einwohnern pro Quadratkilometer hat Deutschland mehr Einwohner pro Fläche als die Schweiz (220), Spanien (95), Italien (198) und Frankreich (123). In Deutschland müssen also mehr Menschen auf engerem Raum von A nach B gebracht werden.

Die deutsche Wirtschaft braucht ein positives Signal

Nichtsdestotrotz wird am Beispiel der Bahn deutlich: Die Entwicklung in Deutschland ist - nicht nur bei der Bahn - stehengeblieben. Die Maßnahmen in den anderen europäischen Ländern könnten die Bahn und auch das ganze Land inspirieren - von kontinuierlichen Investitionen in die Infrastruktur über die Entwicklung digitaler Technologien bis hin zu einer Führung, die sich konsequent an Leistung und Pünktlichkeit orientiert. Mit einer stärkeren Fokussierung auf diese Faktoren kann die Bahn nicht nur zuverlässiger werden, sondern auch wieder ein Symbol für Effizienz und Fortschritt werden.

Dieses Symbol ist zwingend notwendig, da die deutsche Wirtschaft weiterhin schrumpft und viele deutsche Unternehmer unter ähnlichen Problemen leiden. Jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur, schleppende Investitionen, Fachkräftemangel und ein lähmendes Dickicht aus Bürokratie. Viele kommen so an die Grenzen ihres wirtschaftlichen Handelns. Wieder einmal ist Innovationsgeist und Mut in der deutschen Wirtschaft gefragt. Für deutsche Unternehmer ist die gegenwärtige Lage somit eine große Herausforderung, aber auch eine Chance. Gerade jetzt sind innovative Lösungen gefragt, um den Reformstau zu durchbrechen. Digitalisierung und Automatisierung bieten dabei enorme Potenziale – so zum Beispiel für die Bahn durch die Entwicklung neuer Technologien zur Optimierung der Logistik oder durch Investitionen in nachhaltige Mobilitätslösungen.

Die Bedeutung für Deutschland

Der Zustand der Bahn ist somit ein Spiegelbild dafür, wie es um grundlegende Infrastrukturen in Deutschland insgesamt steht. Es ist dringend notwendig, gezielt und nachhaltig in diese Bereiche zu investieren, um sowohl das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit in unsere Wirtschaft als auch in moderne Verkehrssysteme zu stärken. Die Bahn und Deutschland haben das Potenzial, nicht nur pünktlicher, sondern auch wieder zukunftsweisend zu sein – Deutschland, ein Vorbild für den Fortschritt in einem sich wandelnden Europa. Ein schöner Gedanke!

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Deutsche Bahn: Warum die Generalsanierung Jahre dauern wird
24.04.2025

Unpünktlich, überlastet, marode: Die Bahn steckt fest. Die Bundesregierung will mit Milliarden gegensteuern – doch selbst optimistische...

DWN
Politik
Politik Peter Navarro: Der Mann hinter Trumps Zollhammer – Loyal bis zur Selbstaufgabe
24.04.2025

Er ging für Donald Trump ins Gefängnis. Jetzt zieht Peter Navarro hinter den Kulissen die Fäden im eskalierenden Handelskrieg zwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Dominanz auf Rädern: Warum der Lkw das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bleibt
23.04.2025

Während über grüne Logistik und die Renaissance der Schiene debattiert wird, bleibt der Lkw unangefochten das Rückgrat des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zukunft unter Druck: Die Wasserstoff-Fabrik von Daimler und Volvo gerät ins Stocken
23.04.2025

Mitten in der Energiewende setzen die Lkw-Riesen Daimler und Volvo auf Wasserstoff – doch der Fortschritt ihres Gemeinschaftsunternehmens...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Apple und Meta im Visier – Brüssel greift hart durch
23.04.2025

Apple und Meta sollen zusammen 700 Millionen Euro zahlen – wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das neue EU-Digitalgesetz. Die Kommission...

DWN
Politik
Politik Machtkampf in Washington: Will Trump Fed-Chef Powell stürzen?
23.04.2025

Trump plant möglicherweise die Entlassung von Fed-Chef Jerome Powell – ein beispielloser Schritt, der die Unabhängigkeit der...

DWN
Finanzen
Finanzen „Krise ist die neue Normalität“ – Warum kluge Investoren jetzt gegen den Strom schwimmen müssen
23.04.2025

Volatilität ist kein Ausnahmezustand mehr, sondern System. Warum Investoren jetzt mit Besonnenheit, Disziplin und antizyklischer Strategie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Digitaler Produktpass: Was die EU plant und was das für Firmen bedeutet
23.04.2025

Die Europäische Union will Ressourcen schonen und Emissionen und Abfälle reduzieren. Dafür plant sie den sogenannten digitalen...