Ende Januar hat sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit den Betreibern großer Onlineplattformen getroffen. Dabei forderte die SPD-Politikerin ihre Gesprächspartner auf, gegen Hasskriminalität und Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit den Neuwahlen am 23. Februar vorzugehen.
Correctiv hat mehr als 100 „Fake-Webseiten“ aufgedeckt
Das Recherche-Netzwerk Correctiv, das wegen der „Wannsee-Konferenz 2.0“ und dem Vorwurf falscher Berichterstattung vor Gericht steht, behauptete im Januar mehr als 100 solche Webseiten aufgedeckt zu haben, von denen aber die meisten noch nicht für konkrete Fakes genutzt wurden. Auf diesen sogenannten „Schläfer-Webseiten“ werden zunächst harmlose News verbreitet, ehe sie für eine Operation genutzt werden, um politisch Einfluss zu nehmen – erklärt Correctiv. Die Webseiten dienen als „Vorrat“ für mögliche Desinformation. Schon im US-Wahlkampf hatten Behörden eine verstärkte Einmischung durch diese Methode registriert.
Desinformation und KI-Fakes: Wie sicher ist die Bundestagswahl?
An dem Gespräch im Bundesinnenministerium nahmen Vertreter der Digitalkonzerne und Plattformbetreiber Google, Meta, Microsoft, TikTok und X teil. Im Mittelpunkt standen laut Ministerium Maßnahmen gegen gezielte Desinformationskampagnen, die zum Beispiel auf den Wahlprozess oder Kandidaten abzielen, und gegen Hasskriminalität wie Morddrohungen. Zudem ging es um die Kennzeichnung politischer Werbung und manipulierter Inhalte, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt wurden.
Doch wie hoch ist die Gefahr von Wahlmanipulationen in Deutschland tatsächlich?
Noch haben die deutschen Behörden keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefährdung. Allerdings sei „von einem grundsätzlichen Interesse zur möglichen illegitimen Beeinflussung von Wahlen durch fremde Staaten auszugehen“, hieß es aus Sicherheitskreisen in Berlin. Die Sicherheitsbehörden rechnen zum Beispiel mit Cyberattacken und weiteren Sabotageaktivitäten.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die sozialen Medien, insbesondere mit künstlicher Intelligenz (KI) erstellte, täuschend echt wirkende Bilder, Video- und Audiodateien. Das Ziel dieser Aktivitäten ist es, Wähler zu täuschen. Bei den Versuchen der ausländischen Einflussnahme sei „derzeit Russland der auffälligste Akteur“, hieß es aus Faesers Ministerium.
Der Verfassungsschutz hat eine Taskforce zur Lagebeobachtung und -analyse eingerichtet und tauscht sich auch mit Plattformbetreibern der sozialen Medien aus.
Faeser bisher unzufrieden mit Vorgehen der Plattformen
Faeser machte deutlich, dass sie mit dem aktuellen Vorgehen der Plattformen nicht zufrieden sei. „Straftaten wie Morddrohungen müssen schneller und konsequenter an Ermittlungsbehörden gemeldet und von den Plattformen gelöscht werden“, erklärte sie. „Und wir brauchen mehr Transparenz über die Algorithmen, damit diese nicht gefährliche Radikalisierungsprozesse insbesondere bei Jugendlichen befeuern.“
Bereits vor der Gesprächsrunde hatte die SPD-Politikerin klargemacht, dass sie durchaus Möglichkeiten sieht, auf das Handeln der Plattformen Einfluss zu nehmen. „Es geht auch darum, sie an ihre Verpflichtung zu erinnern, Hasskriminalität, schwerste Straftaten ganz schnell in ihren sozialen Medien zu löschen“, sagte sie den Sendern RTL und ntv. „Ich glaube schon, dass die Plattformbetreiber reagieren.“
Digital Services Act: Verpflichtung strafbare Inhalte anzuzeigen
Faesers Ministerium verwies auf bestehende rechtliche Vorschriften, die es einzuhalten gelte – etwa den Digital Services Act: Er verpflichtet Plattformen, die mindestens 45 Millionen Nutzer in der EU haben, unter anderem dazu, strafbare Inhalte an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden zu melden. Des Weiteren gälten die Verordnung zur Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte sowie die Verpflichtung zur Transparenz bei politischer Werbung.
Deutliche Worte richtete Faeser an den X-Chef Elon Musk. Dieser nehme Einfluss auf liberale Demokratien. „Er kritisiert nicht Putin, er kritisiert nicht China – sondern er kritisiert nur liberale Demokratien“, sagte die Ministerin auf RTL und ntv. Musk tue das nicht nur in Deutschland mit seiner Unterstützung für die AfD, sondern beispielsweise auch in Großbritannien. „Das ist wirklich zersetzend, und daran werde ich X natürlich erinnern.“
Desinformationen „erkennen und bekämpfen“
Bundesdigitalminister Volker Wissing (parteilos) forderte derweil die Europäische Union auf, im Umgang mit den großen Onlineplattformen standhaft zu bleiben. Er sehe die EU derzeit auf einem guten Weg, um gegen Desinformation im Internet vorzugehen, sagte Wissing im RBB Inforadio. So habe die zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen angekündigt, das Personal zur Überwachung der Plattformen zu verdoppeln: „Europäisches Recht machen wir – und nicht Herr Trump“, stellte Wissing klar.
Doch welche Arten der Desinformationen kursieren überhaupt im Netz? Beispiele sind auf der Internetseite der Bundeswahlleiterin aufgeführt. Dort ist zunächst der Begriff Desinformation definiert. Demnach handelt es sich um „nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die verbreitet werden, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen oder zu täuschen“. Für das „Erkennen und Bekämpfen“ von falschen Informationen ist die Bundeswahlleiterin zuständig. Eine zentrale Stelle, die sich mit dem Thema befasst, gibt es in Deutschland nicht.
Briefwahl anfälliger für Manipulation?
Auf der Seite sind auch nach Aussage der Bundeswahlleiterin häufig kursierende Falschaussagen rund um die Wahl aufgeführt. Dazu gehören unter anderem die Behauptung, dass es in Deutschland eine Wahlpflicht gebe. Wer diese missachtet, werde „in seinen Rechten beschränkt“. Auch gehe das Gerücht um, dass Briefwahlen leichter zu manipulieren seien. Dies auch deshalb, weil Wahlbeobachter bei der Auszählung der Stimmen nicht dabei sein dürfen. Alles unwahr, heißt es auf der Seite weiter, dazu liefert die Bundeswahlleiterin auch Antworten.
Theoretisch birgt die Briefwahl trotzdem mehr Risiken für Manipulationen als der Gang zur Wahlurne. Begründet wird das etwa damit, dass drei der fünf Wahlgrundsätze – nämlich frei, allgemein und unmittelbar – bei der Briefwahl schwerer kontrolliert werden könnten. Bisher sei ein groß angelegter systematischer Wahlbetrug per Briefwahl in Deutschland noch nicht bekanntgeworden. Das Anfordern der Unterlagen mit eigener Unterschrift sowie später die eigene Unterschrift samt eidesstattlicher Versicherung auf dem Wahlschein gelten als hohe Hürden.
Doch da inzwischen bis zu 60 Prozent der Stimmen per Briefwahl abgegeben werden, ist die Manipulation beim „Ankreuzen“ nicht ausgeschlossen, zum Beispiel bei älteren Menschen in Pflegeheimen. Und die Auszählung erfolgt in der Regel bereits am Wahltag ab 15 Uhr in einem schwer kontrollierbaren Verfahren.
Umfrage: Fast 68 Prozent halten virtuelle Angriffe für möglich
Offenbar glaubt aber die Mehrheit der Deutschen, dass virtuelle Angriffe einen Einfluss auf die Wahlen haben könnten. Laut „Statista“ gaben das bei einer Umfrage im Dezember vergangenen Jahres 67,9 Prozent der Befragten an. Demnach halten sie es für möglich, dass ein Cyberangriff und KI-gesteuerte Desinformationskampagnen den Ausgang als stark oder eher stark beeinflussen. Dabei sind die Anhänger der Grünen (82 Prozent) wesentlich skeptischer als die AfD-Wähler, von denen nur knapp 57 Prozent eine Beeinflussung des Wahlausgangs befürchten.
Übrigens:
Ursprünglich war die Briefwahl eine Ausnahmeregelung, die früher wegen der niedrigen Stimmenzahl nur begrenzt kontrolliert wurde. Heute ist sie der Normalfall, obwohl sie immer noch nicht den sonst durchaus strengen Kontrollmechanismen der Urnenwahl unterliegt.
Wer Zweifel am Wahlergebnis hat, kann diese auch anzeigen. Denn, um mögliche Fehler und Betrug aufzudecken, gibt es den Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages. Nach jeder Bundestagswahl nimmt er ab dem Wahltag Wahleinsprüche aus der Bevölkerung, von Parteien und von Wahlorganen zwei Monate lang entgegen.