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Auswandern deutscher Fachkräfte: Mehrzahl glaubt nicht mehr an Wohlstand durch harte Arbeit

Karriere lieber im Ausland: Die Auswanderung junger Fachkräfte droht sich seit der Corona-Pandemie weiter zu beschleunigen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Junge Leistungsträger verlassen das Land, weil das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ des Standorts nicht mehr stimmt und Arbeit sich nicht mehr lohnt. Mit welcher Real- und Wirtschaftspolitik muss Deutschland gegensteuern?
04.03.2025 15:18
Lesezeit: 4 min
Auswandern deutscher Fachkräfte: Mehrzahl glaubt nicht mehr an Wohlstand durch harte Arbeit
Eine Umfrage von „Die Familienunternehmer“ und ein Gutachten von Ökonom Stefan Kolev bestätigen: Deutschland läuft zunehmend Gefahr, junge Leistungsträger durch Abwanderung ins Ausland zu verlieren. (Foto: dpa) Foto: Marcus Brandt

Karriere lieber im Ausland? Deutschland verliert an Attraktivität

Die Aussichten der deutschen Wirtschaft haben sich in den letzten drei Jahren mehr als deutlich eingetrübt. Verantwortlich dafür sind längst nicht nur die konjunkturellen Herausforderungen weltweit, sondern vor allem auch tiefgreifende strukturelle Probleme, wodurch der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur international an Anziehungskraft verloren hat.

Auch im eigenen Land verliert Deutschland für junge Arbeitnehmer an Attraktivität, wie eine aktuelle Online-Umfrage zeigt. Die Folge: Junge Leistungsträger verlassen das Land, weil das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ des Standorts nicht mehr stimmt und das Wirtschaftswachstum fehlt.

Mehrheit der 18- bis 25-Jährigen sieht berufliche Zukunft im Ausland

So sind unter den Befragten 18- bis 25-Jährigen nur noch 49 Prozent davon überzeugt, es in Deutschland durch Fleiß und harte Arbeit einmal besser haben zu können als ihre Elterngeneration. Während hingegen eine relative Mehrheit schon einmal, für sich in Erwägung gezogen hat, Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen. Das bestätigt die Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Insa im Auftrag des Verbands „Die Familienunternehmer“ im Dezember bei 1000 Bürgern zwischen 18 und 25 Jahren durchgeführt hat.

Generationenvertrag: Aufstiegsversprechen wackelt

Gemäß der Umfrage hegt etwa die Hälfte der Befragten Unbehagen am Standort Deutschland. So empfanden 55 Prozent der Teilnehmer die Aussage als „absolut“ oder „eher“ zutreffend, dass der Generationenvertrag, nach welchem die Jüngeren die Renten der Älteren erwirtschaften, inzwischen zu Ungunsten der jungen Generation gehe. Auch am Aufstiegsversprechen zweifeln die Jungen: Weniger als die Hälfte der Befragten gab sich davon überzeugt, dass sie es durch Fleiß und Arbeit in Deutschland einmal besser haben würden als ihre Eltern.

Eine relative Mehrheit von 46 Prozent der Befragten hat schon einmal in Erwägung gezogen, Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen (17 Prozent absolut, 29 Prozent eher). 54 Prozent der Befragten können sich vorstellen, eine berufliche Zukunft im Ausland aufzubauen. Die meistgenannten Gründe dafür sind geringere Steuern und Abgaben, Lebenshaltungskosten und finanzielle Aufstiegschancen.

Nur 11 Prozent der Teilnehmer stimmten der Aussage „absolut“ zu, dass die deutsche Politik die wirtschaftlichen Interessen ihrer Generation fair berücksichtige. Weitere 23 Prozent stimmten „eher“ zu, 56 Prozent hielten die Aussage für nicht zutreffend.

Abwanderung junger Leistungsträger: Wie kann Deutschland gegensteuern?

Ohne Gegensteuern läuft Deutschland zunehmend Gefahr, junge Leistungsträger durch Abwanderung ins Ausland oder „innere Emigration“ zu verlieren. Doch wie kann Deutschland die Abwanderung stoppen?

In einem parallel veröffentlichten Gutachten zum Thema, ebenfalls im Auftrag der Familienunternehmer, wirbt der liberale Ökonom Stefan Kolev (Ludwig-Erhard-Forum) unter dem Titel „Wohlstand für Junge“ für einen ordnungspolitischen Neustart. Er schlägt Maßnahmen zum wirtschaftspolitischen Gegensteuern vor, um die Attraktivität des eigenen Standortes für die junge Generation zu erhöhen.

Zusammenhang von Aus- und Einwanderung

Kolev betont den Zusammenhang von Aus- und Einwanderung. Oft heiße es, dass Deutschland 400.000 Einwanderer pro Jahr für den Arbeitsmarkt benötige, um das demografische Defizit und die Schrumpfung der erwerbstätigen Bevölkerung auszugleichen. Diese Zahl meine aber die Nettozuwanderung. 2021 habe man sie ungefähr erreicht, da 1,4 Millionen Menschen zu- und 1 Million ausgewandert seien. Würden weniger Menschen Deutschland verlassen, brauche man weniger Bruttozuwanderung. Das sei deshalb wesentlich, weil jeder brutto Zugewanderte von der Gesellschaft integriert werden müsse.

Das Gutachten zitiert Daten des Statistischen Bundesamts, wonach sich die Zahl der auswandernden deutschen Staatsbürger von 148.000 im Jahr 2014 auf 265.000 im Jahr 2023 fast verdoppelt hat. Höher, aber weniger stark gestiegen ist die Anzahl der Deutschland verlassenden Ausländer. Dass zudem die Nettozuwanderung aus Polen, Rumänien und Bulgarien in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft ist, zeigt laut Kolev, dass die relative Attraktivität Deutschlands für Migranten im Vergleich zu diesen drei Herkunftsländern deutlich nachgelassen habe.

Misstrauen und innere Emigration seit der Corona-Politik

Die junge Generation steht laut Ökonom Kolev unter erheblichem Druck. Die Pandemie habe bei ihr Zweifel geweckt, ob die politische Mitte immer in ihrem Sinne denke und handle, und die wirtschaftlichen Perspektiven hätten sich in den letzten drei Jahren massiv verdüstert. Bei mobilen Menschen steigere das die Wahrscheinlichkeit, eine berufliche Zukunft im Ausland zu suchen. Weniger Mobile könne man durch „innere Emigration“, durch Resignation, Radikalisierung und den Rückzug aus der aktiven Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft verlieren.

Unattraktives Preis-Leistungs-Verhältnis

Als Hauptursachen für diese Entwicklung nennt das Gutachten zum einen das erodierte Vertrauen in die staatliche Ordnung und deren Preis-Leistungs-Verhältnis, zum anderen die mangelnde wirtschaftliche Dynamik.

Junge Menschen empfänden die Kosten des Standorts als zu hoch und die Aufstiegschancen als zu gering. Ersteres illustrierte Kolev vor Journalisten mit einer Metapher: In Deutschland bezahle man für das Gesundheitswesen den Preis eines Daimlers, bekomme aber die Leistung eines Trabis. Als Stichwort nannte er endloses Warten von gesetzlich Versicherten auf einen Facharzt-Termin.

Will die Politik die Abwanderung junger Menschen reduzieren, muss sie folgerichtig das Verhältnis zwischen dem Preis in Form von Steuern, Abgaben und Bürokratiekosten und den staatlichen Leistungen wie Bildung und Infrastruktur verbessern, und sie muss die Wirtschaft dynamisieren.

Für beides nennt Kolev eine Vielzahl konkreter Empfehlungen, darunter zum Beispiel die Senkung direkter Steuern vor allem im „Mittelstandsbauch“ und steuerliche Anreize für Menschen, die freiwillig über das Rentenalter hinaus arbeiten. Auch die Ergänzung des Umlageverfahrens bei der Rente durch Elemente der Kapitaldeckung über die Börse wäre notwendig. Im Kern ist es eine langfristige, angebotsorientierte Agenda mit dem Schwergewicht auf Arbeit, Kapital und Innovation.

Deutschland braucht einen ordnungspolitischen Neustart

„Wohlstand für Junge“ bedeute kein Ausspielen von Jung gegen Alt, das ist Kolev wichtig: Ältere Mitbürger hätten ein existenzielles Interesse daran, dass die Jungen nicht auswandern würden. Denn sonst verliere das umlagefinanzierte Rentensystem Beitragszahler und jede Aussicht auf Rentenerhöhungen. Zudem würden viele Ältere nicht in einem Land leben wollen, aus dem ihre Kinder und Enkel verschwänden.

Dem nächsten Bundeskanzler empfiehlt Kolev eine „Ruck-Rede“, wie sie der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1997 gehalten habe und die genial gewesen sei. Er dürfe diese nicht nur über Zeitungen und den öffentlichen Rundfunk verbreiten, sondern müsse über soziale Netzwerke auch die Jungen erreichen.

Der Verband „Die Familienunternehmer“ und der Ökonom Stefan Kolev kommen zu dem Fazit, dass Deutschland dringend einen ordnungspolitischen Neustart braucht, um das Vertrauen der jungen Generation zurückzugewinnen und die Attraktivität des Standorts Deutschland zu erhöhen. Dies erfordert sowohl kurzfristige wirtschaftspolitische Maßnahmen als auch einen langfristigen kulturellen Wandel. Es geht um die potenziellen Leistungsträger für die Wirtschaft und Gesellschaft der Zukunft.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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