Wirtschaft

Bundestagswahl 2025: Das fordert die deutsche Industrie

Bundestagswahl 2025: Die deutsche Wirtschaft gerät ins Hintertreffen. Steigende Energiekosten, hohe Bürokratie und schleppende Investitionen setzen Unternehmen unter Druck. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schlägt Alarm: Ohne tiefgreifende Reformen droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Wie ernst die Lage ist und welche Maßnahmen helfen könnten – eine Analyse.
18.02.2025 17:13
Aktualisiert: 18.02.2025 17:13
Lesezeit: 5 min
Bundestagswahl 2025: Das fordert die deutsche Industrie
Wachstum für die deutsche Industrie: Ein Gabelstapler kratzt im Recycling-Zentrum von Novelis in Nachterstedt mit einem Schaber im Aluminium-Schmelzofen sogenannte "Krätze" von der Oberfläche von eingeschmolzenem und flüssigem Aluminium. (Foto: dpa) Foto: Klaus-Dietmar Gabbert

Der Standort Deutschland verliert dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zufolge an Wettbewerbsfähigkeit. Deutschlands mittelfristige Wachstumsaussichten sind mit 0,4 Prozent pro Jahr besorgniserregend schlecht. Bei vielen zentralen Standortfaktoren ist Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückgefallen. In Deutschland zu investieren, ist für viele Unternehmen nicht mehr attraktiv. Die Steuerbelastung ist im weltweiten Vergleich und gegenüber dem EU-Durchschnitt viel zu hoch. Folgerichtig sind die privaten Bruttoinvestitionen hierzulande auf unter zwölf Prozent gefallen, während sie in anderen europäischen Industrieländen wie Frankreich oder den USA über 13 Prozent liegen. Niedrige Investitionen in der Gegenwart bedeuten schwaches Wirtschaftswachstum in der Zukunft. Es gilt daher, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Industrie fordert: Schluss mit dem Status Quo!

Besonders betroffen ist die Industrie – ihre Produktion liegt heute deutlich niedriger als noch vor fünf Jahren, zuletzt hat sich der Rückgang sogar beschleunigt. Der BDI fordert von einer neuen Bundesregierung bessere Bedingungen, um wieder Wachstum zu ermöglichen. Denn der Standort Deutschland steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die laut BDI mehr als die Konsequenz der Pandemie und des Angriffskriegs auf die Ukraine ist. Die Probleme seien hausgemacht und das Ergebnis einer strukturellen Schwäche am Standort, mit der die Wirtschaft bereits seit 2018 zu kämpfen habe, sagt Peter Leibinger – der Anfang 2025 Siegfried Russwurm als BDI-Präsident abgelöst hat. Leibinger hält mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg: „Jahrelang haben Regierungen wichtige Reformen hinausgeschoben, Investitionen zurückgehalten und sich mit dem Status Quo begnügt.”

Mehr Wachstum für Deutschland

BDI-Präsident Leibinger macht deutlich, was die Industrie von der zukünftigen Regierung fordert: „Die Unternehmen brauchen zeitnahe Entlastungssignale und eine entschlossene Agenda für mehr Wachstum. Finanzielle Spielräume sind begrenzt, deshalb müssen im Haushalt klare Prioritäten gesetzt werden. Was Wachstum stärkt, muss Priorität bekommen. Öffentliche Investitionen in eine moderne Infrastruktur, in Transformation und die Widerstandskraft unserer Volkswirtschaft sind dringend erforderlich.” Der BDI hat ein Grundsatzpapier dazu erstellt. In den vier Kapiteln „Den Standort wieder wettbewerbsfähig machen“, „Den Staat modernisieren“, „Mit Innovationen erfolgreich sein“ und „Deutschland als starker Partner der Welt“ zeigt das Papier auf, wie die nächste Bundesregierung die Wirtschaftspolitik neu ausrichten kann.

Zentrale Forderungen der deutschen Industrie

Die wichtigsten Forderungen: ein wirtschaftlicher Neustart mit einem entschlossenen Bürokratierückbau, niedrigeren Energiepreisen, Investitionen in die Infrastruktur und einer klaren Strategie für die Stärkung der deutschen Innovations- und Forschungslandschaft. Der BDI empfiehlt in seinem Grundsatzpapier daher unter anderem:

  • Wettbewerbsfähige Energiekosten und eine langfristig gesicherte stabile Energieversorgung, unter anderem durch eine Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das europäische Mindestmaß sowie eine Begrenzung der Netzentgelte durch Bundeszuschüsse auf etwa 3 Cent je Kilowattstunde
  • Eine grundlegende Steuerreform, nach der die Gesamtsteuerbelastung für Unternehmen auf maximal 25 Prozent sinkt, einschließlich der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags, einer Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer und einer Abschaffung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen
  • Verbesserte, langfristig planbare Abschreibungsbedingungen und eine Investitionsprämie
  • Eine massive Infrastrukturoffensive mit einem Investitionsvolumen von 315 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastruktur, Bildungsförderung und den Gebäudesektor
  • Den Ausbau der digitalen Infrastruktur, damit Unternehmen die Potenziale wichtiger Zukunftstechnologien nutzen können, sowie eine stärker digitalisierte Verwaltung zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
  • Verbindliche Ziele für den Abbau von Bürokratie und Berichtspflichten sowie eine stärker vertrauensbasierte Regulierung
  • Verbesserung des Forschungstransfers durch professionelle Transferstrukturen, gezielte Förderprogramme und die vorrangige Berücksichtigung des 3,5-Prozent-Ziels für F&E-Ausgaben
  • Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch gezielte Exzellenzförderung und klar strukturierte Forschungsmissionen mit Wirtschaftseinbindung
  • Weitere Vertiefung des europäischen Binnenmarkts und Förderung des Freihandels durch pragmatische Abkommen
  • Stärkung von Resilienz und Souveränität durch höhere Verteidigungsausgaben sowie eine ganzheitliche Rohstoffstrategie zur Verringerung der Abhängigkeiten

Bürokratie als Wachstumsbremse

Besonders die in den letzten Jahren gestiegenen Bürokratielasten bremsen laut BDI das Wachstum erheblich. In einer Umfrage bezifferten Unternehmen jüngst die Bürokratiekosten in Deutschland auf durchschnittlich sechs Prozent ihres Umsatzes.

„Statt immer neuer Vorgaben braucht es endlich glaubwürdige Planungen, um Prozesse und Verfahren wirklich einfacher und schneller zu machen. Die nächste Bundesregierung muss bürokratische Vorgänge und unsinnige Vorgaben für die Unternehmen spürbar reduzieren“, forderte der BDI-Präsident. Drei von fünf Unternehmen leiden der Befragung zufolge besonders unter überbordender Bürokratie und wünschen sich dringend schnellere Genehmigungsverfahren und eine Entlastung von überdimensionierten Berichtspflichten. „Wenn die Politik hier nicht schnell und glaubwürdig handelt, werden immer mehr Unternehmen anderswo investieren, etwa im nahen osteuropäischen Ausland“, warnt Leibinger.

Daneben fordert der BDI von der künftigen Regierung angesichts geringer finanzieller Spielräume eine ehrliche Bestandsaufnahme und klare Prioritäten in den öffentlichen Haushalten. Ganz oben muss die Stärkung der Wachstumskräfte stehen. Zusätzliche öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Transformation und Resilienz sind dringend erforderlich.

Problem Investitionen Deutschland

„Der Umbau des deutschen Industriestandorts erfordert einen politischen und unternehmerischen Kraftakt, der am Ende nur mit einer erfolgreichen und leistungsfähigen Wirtschaft möglich ist. Dies braucht gute Rahmenbedingungen für die Unternehmen – und Vertrauen der Unternehmer in die Regierung“, sagt der BDI-Präsident. Befragt nach der Entwicklung der Investitionen in Deutschland in den letzten drei Jahren zögern Unternehmen vor allem bei den Erweiterungsinvestitionen: Der Anteil der Unternehmen, deren Investitionen rückläufig waren, ist höher als der Anteil der Unternehmen, die mehr investiert haben. Jedes vierte Unternehmen hat den Ergebnissen zufolge zuletzt nicht mehr investiert, weder darin, die Maschinen und Produktionsanlagen auf dem aktuellen Stand zu erhalten, noch sie zu ersetzen. Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen planen in den nächsten zwei Jahren nur noch etwa zwei Drittel der Unternehmen, deutlich seltener wird in die Erweiterung sowie Forschung und Innovationen investiert. Insbesondere kleine Industrieunternehmen investieren weniger.

„Die Unternehmen investieren nicht oder viel zu wenig im Inland. Die Unternehmen erwarten in der heißen Phase des Wahlkampfes klare Bekenntnisse aller Parteien zu einer investitionsfreundlicheren Politik. Die Unternehmen müssen Vertrauen entwickeln, dass die Politik den Ernst der Lage verstanden hat und bereit ist, konsequent und schnell zu handeln, um die gefährliche Abwärtsspirale aus ausbleibenden Investitionen und Wachstumsschwäche zu stoppen”, klagt der BDI-Präsident.

Planungsunsicherheit als größtes Problem bei Investitionen

„Das größte Problem ist die Ungewissheit“, betont Leibinger. „Wer nicht abschätzen kann, wie sich die Rahmenbedingungen hierzulande zukünftig entwickeln werden, investiert nicht in neue Fabriken und Anlagen. Es braucht deutlich mehr Planungssicherheit.“ Insbesondere für das verarbeitende Gewerbe müssten Unsicherheiten und Kostenbelastungen im Energiebereich reduziert werden, durch schnelle Entscheidungen bei der Kraftwerksstrategie und dauerhafte Entlastungen bei Netzentgelten und Stromsteuer.

Investitionen in zentralen Zukunftsfeldern wie Antriebswende, Energiewende, industrielle Automatisierung, Wärmewende, Digitalisierung und Gesundheitswesen eröffneten neue Geschäftsfelder mit enormen Wachstumspotenzialen, sagt Leibinger und fährt fort: „Bis 2030 werden allein in diesen Zukunftsfeldern voraussichtlich globale Umsätze von mehr als 15 Billionen Euro pro Jahr erzielt werden. Deutschland hat hier eine gute Ausgangssituation, um neue Industriewertschöpfung aufzubauen. Das kann aber nur gelingen, wenn die Wirtschaft diese kritische Phase übersteht. Dafür müssen schon jetzt im Wahlkampf die richtigen Signale gesetzt werden.”

EU und USA: Welchen Kurs soll Deutschland einschlagen?

Der BDI-Präsident sagt hinsichtlich der Zollandrohungen Donald Trumps: „Wir stehen vor einem Umbruch. Der Ton wird rauer und neue Zölle könnten die Wirtschaft in Deutschland und der EU empfindlich treffen.” Bei Zöllen drohe der EU ein Wachstumseinbruch. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft könne statt um minus 0,1 Prozent um fast ein halbes Prozent schrumpfen. In einer Welt zunehmender Unordnung müsse mit Besonnenheit gehandelt werden. „Es gilt eine kluge Balance zwischen Entschlossenheit und Flexibilität zu finden und die eigene Position strategisch neu auszurichten. Das Wichtigste wird sein, in eine transaktionale Beziehung zu treten und über strategisch wichtige Kompetenzen zu verfügen, die unser Partner nur bei uns findet.”

Mit Blick nach Brüssel betont Leibinger, es sei wichtig, dass Deutschland wieder eine selbstbewusstere Führungsrolle einnehme und Europa sich strategisch unabhängiger mache. „Wir müssen unsere Verhandlungsmacht nutzen, um wirtschaftliche Interessen effektiv zu vertreten und Allianzen für eine stärkere europäische Integration und Wettbewerbsfähigkeit zu schmieden. Die EU muss wissen, wohin sie gehen will, und dazu gehört, dass Deutschland mit einer ambitionierten wirtschaftspolitischen Agenda vorangeht."

Deutschland am Scheideweg

Leibinger macht deutlich, was auf dem Spiel steht: „Deutschland steht an einem Scheideweg – jetzt haben wir es noch in der Hand, können die richtige Richtung einschlagen und Wachstum wählen. Die Probleme sind groß, aber nicht unlösbar. Wir haben eine starke Basis, auf der wir aufbauen können. Unsere Unternehmen brauchen eine Bundesregierung, die mit Entschlossenheit, Stärke und Zutrauen die Entscheidungen trifft, die Deutschland als Industriestandort wieder auf Erfolg ausrichten.”

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Maximilian Modler

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Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.

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