Gewerkschaften locken immer häufiger mit dem gewissen Extra
Ein freier Tag, zusätzliches Weihnachtsgeld oder höhere Erfolgsprämien – alles exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder: In der deutschen Tariflandschaft werden solche Boni immer häufiger ausgehandelt.
Bei den zahlreichen Tarifverhandlungen im Land zeigt sich ein klarer Trend: Besondere Vorteile werden zunehmend nur für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart. Vorreiter war die Chemie-Industrie, die im vergangenen Sommer in einem großen Flächentarifvertrag zusätzliche freie Tage festlegte – allerdings nur für Mitglieder der IG BCE. Seitdem taucht die Forderung nach einem "gewissen Extra" immer öfter auf, sei es auf betrieblicher Ebene, wie jüngst bei Mercedes-Benz, oder im Flächentarif, etwa bei den aktuellen Verhandlungen im öffentlichen Dienst.
Ärger über Trittbrettfahrer
Tarifabschlüsse gelten streng genommen nur für Mitglieder der Gewerkschaft, die den Vertrag ausgehandelt hat. Doch Arbeitgeber wenden die Ergebnisse meist auf alle Beschäftigten an, was zunehmend für Unmut sorgt. Kritisiert werden vor allem "Trittbrettfahrer", die ohne Mitgliedsbeiträge zu zahlen von den Tarifverträgen profitieren. Diese Beiträge betragen in der Regel ein Prozent des Bruttogehalts. Zudem können sich Nichtmitglieder Arbeitskämpfen entziehen, während Gewerkschafter streiken.
Nadine Boguslawski, Tarifvorständin der IG Metall, bringt es auf den Punkt: "Unsere Kolleginnen und Kollegen empfinden es zu Recht als ungerecht, wenn Arbeitgeber gewerkschaftliche Errungenschaften wie mehr freie Zeit oder höhere Prämien auch an Nichtmitglieder weitergeben."
Kaum Kontrolle möglich
Arbeitgeberverbände warnen davor, dass exklusive Gewerkschaftsboni Belegschaften spalten könnten. Einheitliche Regeln und Löhne seien essenziell für den Betriebsfrieden. Zudem seien Arbeitgeber nicht verpflichtet, für Gewerkschaften Mitglieder zu werben. Deshalb gelten die Tarifverträge oft für alle Beschäftigten. Doch sobald Gewerkschaftsboni vereinbart sind, besteht die Gefahr, dass auch sie an alle gezahlt werden. "Ehrlich gesagt, verhindern können wir das nicht", gesteht ein Gewerkschaftsvertreter.
Viele frühere Versuche, exklusive Vorteile für Mitglieder durchzusetzen, hatten keinen nachhaltigen Erfolg. "Wir nutzen das Instrument 'Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder' kaum", sagt ein Sprecher der IG Bauen-Agrar-Umwelt. Eine Ausnahme bildet die Baustoffbranche in Rheinland-Pfalz, wo zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage für Gewerkschafter gefordert werden. Im Gebäudereinigungshandwerk blieb der Versuch, die Abschlüsse zumindest für Gewerkschaftsmitglieder allgemeinverbindlich zu machen, bisher erfolglos.
Gesamtmetall lehnt ab
Beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall stößt die IG Metall mit ihrer Forderung nach exklusiven Vorteilen auf Widerstand. "Für den Flächentarifvertrag lehnen wir jedweden Gewerkschaftsbonus kategorisch ab", betont Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. "Allerdings wissen wir von Haustarifen oder Sanierungsvereinbarungen, in denen solche Boni wirtschaftlich Sinn ergeben. In diesen Fällen übersteigen die Einschnitte für alle Beschäftigten oft die Vorteile, die dann ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommen."
Dennoch sind exklusive Mitgliedervorteile in der Metallbranche nicht unbekannt, betont auch Gewerkschafterin Boguslawski: "In mehreren Hundert Betrieben profitieren Zehntausende IG Metall-Mitglieder bereits von vielfältigen Boni – von Gesundheitsbeihilfen über Zuschüsse zur betrieblichen Altersversorgung bis hin zu extra Einmalzahlungen oder zusätzlichen Abfindungen. Eine breitere Umsetzung wäre ein Zeichen des Respekts gegenüber den Beschäftigten und der Sozialpartnerschaft."
Chemie-Partner setzen auf Vertrauen
Im Flächentarif der deutschen Chemie-Industrie haben IG BCE und Arbeitgeber erstmals einen zusätzlichen freien Tag exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart. Neben allgemeinen Gehaltssteigerungen wurde damit ein exklusiver Vorteil für Gewerkschafter in einem großen Flächentarifvertrag festgeschrieben. Voraussetzung ist der Nachweis der Mitgliedschaft beim Arbeitgeber. Zudem gibt es bei Mitgliedsjubiläen einen weiteren freien Tag.
Oliver Heinrich, Verhandlungsführer der IG BCE, berichtet: "Das war ein dickes Brett zu bohren. Doch wir konnten die Arbeitgeber überzeugen, dass dies die Tarifbindung stärkt. Andernfalls hätten wir härtere Tarifauseinandersetzungen riskiert." Die Chemie-Arbeitgeber akzeptierten den Kompromiss, auch weil damit die branchenspezifische Schlichtungsvereinbarung fortgeschrieben wurde, die bisher Streiks verhinderte.
Die Umsetzung laufe reibungslos, sagt Heinrich. "Bis Ende März können Mitglieder ihre Bescheinigung beim Arbeitgeber einreichen. Jedes Mitglied entscheidet selbst, ob es den freien Tag in Anspruch nimmt. Bislang sehen wir nicht, dass Arbeitgeber ihn ohne Nachweis gewähren." Kontrollen sind nicht vorgesehen. "Wir trauen uns", sagte IG BCE-Chef Michael Vassiliades über das Verhältnis zu den Arbeitgebern. Nach seinen Angaben sind etwa 35 Prozent der 585.000 Tarifbeschäftigten Mitglied der Gewerkschaft und haben nun Anspruch auf den Bonus-Tag.
Türanhänger als Werbemittel
Um die Mitgliederzahl zu steigern, ließ die IG BCE sogar Türanhänger mit der Aufschrift "Ich habe heute meinen Gewerkschaftstag. Hol dir deinen!" drucken. Die Kampagne zeigte Wirkung: Die Zahl der Neueintritte stieg im vergangenen Jahr um elf Prozent auf gut 35.300. Auch in den aktuellen Verhandlungen im öffentlichen Dienst, die an diesem Wochenende fortgesetzt werden, fordert Verdi nun einen zusätzlichen freien Tag nur für Gewerkschaftsmitglieder.