DWN: Frau Reuter, Sie beschäftigen sich täglich mit Fragen an der Schnittstelle von Digitalisierung, Datenschutz und Künstlicher Intelligenz. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Wiebke Reuter: Ich berate meine Mandantinnen und Mandanten sowohl im Rahmen der Compliance-Beratung als auch bei rechtlichen Auseinandersetzungen. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt auf der Unterstützung beim Aufbau interner Strukturen, um gesetzliche Vorgaben effizient und rechtskonform umzusetzen. Darüber hinaus stehe ich meinen Mandantinnen bei gerichtlichen und außergerichtlichen Auseinandersetzungen beratend und vertretend zur Seite.
Inhaltlich umfasst meine Tätigkeit sowohl europäische als auch nationale Gesetzgebung zu sämtlichen Themen des Technologierechts und der Digitalisierung – von der Datenschutz-Grundverordnung über die KI-Verordnung bis hin zu weiteren relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen.
DWN: Warum rückt dieser Bereich zunehmend in den Fokus von Entscheiderinnen und Entscheidern
Reuter: Der Bereich ist so relevant, weil die technologische Entwicklung rasant voranschreitet. Oft ist die Versuchung groß, neue Lösungen schnell und ohne tiefgehende rechtliche Prüfung umzusetzen. Dennoch ist es essenziell, sich mit den rechtlichen Vorgaben auseinanderzusetzen. Denn nur wenn diese eingehalten werden, können die Vorteile neuer Technologien nachhaltig und ohne rechtliche Risiken genutzt werden.
DWN: Viele Unternehmen betrachten Daten und KI lediglich als Tool zur Zielerreichung. Warum greift dieses Denken zu kurz?
Reuter: Dieses Denken greift zu kurz, weil es Daten und KI auf eine rein operative Ebene reduziert, anstatt sie als strategische, transformative Faktoren zu begreifen. Zwar ist die Prozessoptimierung ein enormer Vorteil und kann im Unternehmen eine erhebliche Effizienzsteigerung bedeuten
DWN: Also geht es nicht nur um Effizienz, sondern auch um neue Geschäftsmodelle?
Reuter: Genau, bei der richtigen Nutzung von Daten und KI können nicht nur bestehende Prozesse und Geschäftsmodelle optimiert, sondern ganz neue Bereiche entwickelt oder erschlossen werden. Gerade in der Möglichkeit dieses Weiterentwickelns liegt ein erheblicher Teil der Innovationskraft. Darüber hinaus kann der Mehrwert von KI-Anwendungen erheblich gesteigert werden, wenn Unternehmen sich über die zu verwendenden Daten Gedanken machen und auf eine angemessene Datenqualität achten. Um also das Beste aus den technischen Möglichkeiten herauszuholen und gleichzeitig die rechtlichen Vorgaben nicht aus dem Blick zu verlieren, müssen KI und Daten als Teil der übergeordneten Unternehmensstrategie gedacht werden.
DWN: Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, eine datengetriebene Neugier im Unternehmen zu entwickeln – und wie sieht das in der Praxis aus?
Reuter: Datengetriebene Neugier im Unternehmen ist für mich insbesondere das kollektive Bestreben aller Beschäftigten über sämtliche Hierarchien, mit den Möglichkeiten zu experimentieren, welche Vorteile Daten bzw. neue Technologien im Alltag des Unternehmens aber auch bezogen auf das Geschäftsmodell bieten können.
DWN: Und wie fördert man diese Neugier?
Reuter: Eine erfolgreiche Umsetzung setzt insbesondere eine ausgewogene Mischung voraus: Zum einen gilt es, die Vorteile für die einzelnen Beschäftigten klar aufzuzeigen. Gleichzeitig muss das notwendige Wissen vermittelt werden, um den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit KI und Daten zu gewährleisten – sowohl im Hinblick auf mögliche Bedenken der Beschäftigten als auch auf rechtliche und ethische Grenzen. Zudem sollten praktische Möglichkeiten geschaffen werden, um KI-Anwendungen selbst auszuprobieren und deren Potenzial besser zu verstehen.
DWN: Wo stehen deutsche Unternehmen aktuell beim Thema Datenstrategie – und wo liegen die größten Hürden aus rechtlicher Sicht?
Reuter: Es gibt keinen einheitlichen Stand, wenn es um den Einsatz innovativer Technologien geht. Auch wenn deutsche Unternehmen vielleicht nicht durchweg eine Vorreiterrolle einnehmen, beobachten wir bei unseren Mandantinnen branchenübergreifend und unabhängig von der Unternehmensgröße ein grundsätzliches Interesse an innovativen Lösungen.
DWN: Was beobachten Sie bei Ihren Mandantinnen und Mandanten, woran hakt es in der Praxis konkret?
Reuter: In der Praxis scheitert es oft an einem fehlenden strategischen Gesamtblick. Dabei zeigen sich jedoch teils unterschiedliche Risikoaffinitäten: Während einige Unternehmen offen für neue Technologien sind und deren Potenzial frühzeitig ausschöpfen möchten, gibt es in anderen Organisationen stärkere Vorbehalte, sei es aufgrund regulatorischer Unsicherheiten oder einer grundsätzlich vorsichtigen Unternehmensstrategie.
Rechtliche Herausforderungen entstehen vor allem durch die Vielzahl an Rechtsgebieten, die bei der Einführung neuer Technologien eine Rolle spielen. Neben offensichtlichen Aspekten wie Datenschutz, der KI-Verordnung und Cybersicherheitsanforderungen müssen auch arbeitsrechtliche, urheberrechtliche und vertragsrechtliche Fragestellungen sowie allgemeine Haftungsrisiken berücksichtigt werden. Um hier den Überblick zu behalten, ist eine umfassende Auseinandersetzung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen unerlässlich.
DWN: Was müssen Entscheidende juristisch, aber auch kulturell verändern, um aus Daten echte Innovation entstehen zu lassen?
Reuter: Beides hängt natürlich stark davon ab, wo ein Unternehmen aktuell steht. Juristisch ist es unerlässlich, interne Strukturen zu schaffen, die einen geordneten Einsatz von innovativen Technologien unterstützen. Denn es ist schon aufwendig genug, die vielen unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben im Blick zu behalten. Ohne definierte Verantwortlichkeiten und Prozesse wird die Umsetzung fast unmöglich.
Kulturell ist ein Kernpunkt häufig, einen gesunden Ausgleich zu finden zwischen absoluter Euphorie und Tatendrang und teilweise sehr starken Ressentiments gegen entsprechende Innovation. Erfolgreich kann der Wandel aber nur sein, wenn alle Beschäftigten abgeholt werden und daher auch auf etwaige Bedenken eingegangen wird.
DWN: Welche Rolle spielt der Rechtsrahmen beim interdisziplinären Arbeiten – etwa zwischen IT, Legal, Produktentwicklung und Geschäftsführung?
Reuter: Erfolgreiche Innovation erfordert die enge Zusammenarbeit aller Stakeholder. Der rechtliche Rahmen setzt die regulatorischen Leitplanken, innerhalb derer – nach Ansicht des Gesetzgebers – Innovation stattfinden kann und soll. Im besten Fall dient er als Ausgangspunkt für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, bei der Legal, IT, Produktentwicklung und Geschäftsführung gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten.
Legal ist auf den Input von IT und Product angewiesen, um rechtliche Bewertungen fundiert vorzunehmen. Gleichzeitig ist es sinnvoll, Legal frühzeitig in die Produktentwicklung einzubinden, um rechtliche Anforderungen von Anfang an zu berücksichtigen – das spart Zeit und Kosten für nachträgliche Anpassungen
DWN: Ist juristisches Wissen überhaupt in allen Projektphasen erforderlich – oder reicht es, Legal erst am Ende einzubinden?
Reuter: Gerade das zeigt sich immer wieder in der Praxis: Wird Legal zu spät eingebunden, entstehen unnötige Reibungsverluste. Damit dieser Prozess reibungslos funktioniert, muss Legal komplexe Vorgaben praxisnah vermitteln, damit IT und Produktentwicklung sie umsetzen können. IT-Teams wiederum müssen technische Möglichkeiten verständlich machen, damit Legal sie bewerten kann. Die Produktentwicklung steht vor der Herausforderung, Usability und regulatorische Anforderungen in Einklang zu bringen.
DWN: Kann der regulatorische Rahmen auch eine Innovationsbremse sein?
Reuter: Absolut, weil bestimmte regulatorische Vorgaben die Umsetzung neuer Ideen einschränken. In diesen Fällen ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders wichtig – nicht nur, um rechtliche Anforderungen frühzeitig zu berücksichtigen, sondern auch, um auszuloten, inwieweit eine Verschiebung der rechtlichen Grenzen möglich oder unter Abwägung der Risiken akzeptabel ist. In manchen Fällen wird ein mögliches rechtliches Risiko bewusst in Kauf genommen, weil der wirtschaftliche Vorteil als so erheblich angesehen wird. Solche Entscheidungen und Abwägungen können jedoch nur im engen Austausch zwischen den beteiligten Fachbereichen getroffen werden.
DWN: Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Praxis nennen, bei dem ein Unternehmen durch eine neue Datenstrategie Innovation ermöglicht hat?
Reuter: Ein konkretes Beispiel aus meiner Praxis ist die Einführung eines HR-Tools in Form eines Chatbots. Dieser Chatbot greift auf das Unternehmenswissen zurück und wurde entwickelt, um die Mitarbeiter der Personalabteilung zu entlasten und gleichzeitig die Effizienz im Umgang mit wiederkehrenden Aufgaben zu steigern. Das Beispiel zeigt, dass Innovation nicht immer gleich die Entwicklung des neuen ChatGPT sein muss, sondern auch in kleinen, überschaubaren Projekten bestehen kann.
DWN: Warum eignet sich gerade ein internes Tool wie ein HR-Chatbot gut als Einstieg?
Reuter: Der Chatbot beantwortet häufig gestellte Fragen der Mitarbeiter schnell und automatisiert und vereinfacht die Bearbeitung von Urlaubsanträgen und Zeiterfassung. Zunächst soll das Tool rein intern eingesetzt werden, was den Vorteil hat, dass der Aufwand überschaubar bleibt und eine schrittweise Einführung der Technologie möglich war. Dies stellte auch eine gute Möglichkeit dar, die Mitarbeiter an den Umgang mit KI-Lösungen heranzuführen und ihre Akzeptanz zu fördern.
Der Ansatz bot außerdem eine wertvolle Gelegenheit, sich langsam an Compliance-Aspekte heranzutasten, ohne sofort mit komplexen externen Anwendungen arbeiten zu müssen. Durch den internen Einsatz kann das Unternehmen die Lösung in einer sicheren, kontrollierten Umgebung testen und anpassen und hat dadurch eine risikoarme Möglichkeit für erste Learnings im Unternehmen, bevor größere Innovationen auf breiterer Ebene eingeführt werden.
DWN: Wie gehen erfolgreiche Unternehmen mit der Unsicherheit um, die neue Technologien wie KI oder Predictive Analytics rechtlich mit sich bringen?
Reuter: Wir beobachten eine sehr unterschiedliche Risikoaffinität bei unseren Mandantinnen. Einige sind aufgrund ihrer besonderen Beobachtung durch die Aufsichtsbehörden eher zurückhaltend und möchten zunächst abwarten, wie sich eine „Best Practice“ entwickelt. Andere hingegen setzen die Technologien trotz offener rechtlicher Fragestellungen ein und fokussieren dabei die potenziellen Vorteile. Grundsätzlich bietet rechtliche Unsicherheit auch Chancen. In Bereichen, in denen es noch keine etablierte Rechtsprechung oder klare Vorgaben von Aufsichtsbehörden gibt, bleibt stets ein gewisser Spielraum, in dem die Anwender selbst eine Marktpraxis entwickeln können. Diese Praxis kann dann als Ausgangspunkt für die zukünftige Auslegung und Interpretation der rechtlichen Vorgaben dienen.
DWN: Welche ersten Schritte empfehlen Sie Unternehmern, die 2025 ihre Datenstrategie neu ausrichten möchten – ohne rechtlich ins Schleudern zu geraten?
Reuter: Es mag vielleicht simpel klingen, aber der wichtigste erste Schritt ist definitiv eine fundierte Planung. Es empfiehlt sich, zunächst mit einem überschaubaren Projekt zu starten, um intern zu klären, welche Strukturen und Prozesse notwendig sind, um die neue Datenstrategie erfolgreich umzusetzen. Sobald diese Grundlagen stehen, können darauf aufbauend größere Projekte realisiert werden. Die Anforderungen an eine rechtskonforme Umsetzung sind zu komplex, um sie einfach „on the go“ zu erfüllen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die frühzeitige Einbeziehung der Mitarbeitenden. Dies trägt nicht nur zur Akzeptanz der neuen Strategie bei, sondern hilft auch, mögliche Bedenken frühzeitig auszuräumen. Regelmäßiges Feedback aus den Reihen der Mitarbeitenden ist entscheidend, um herauszufinden, was als sinnvoll erachtet wird und wo es gegebenenfalls noch Schwachstellen gibt, die behoben werden müssen.
DWN: Sehen Sie regulatorische Entwicklungen auf EU- oder Bundesebene, die Unternehmen im Auge behalten sollten?
Reuter: Seit Februar 2025 sind erste Regelungen der KI-Verordnung in Kraft, insbesondere in Bezug auf KI-Literacy. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen bereits jetzt Maßnahmen ergreifen, um KI-Literacy im Unternehmen aufzubauen. Gleichzeitig sollten sie aufmerksam verfolgen, welche weiteren Richtlinien in Zukunft veröffentlicht werden, die bei der Auslegung der KI-VO unterstützen. Auch wenn die Mehrzahl der Regelungen der KI-VO erst im August 2026 in Kraft tritt, ist es ratsam, bei der Implementierung von KI-Lösungen bereits jetzt auf die Vorgaben zu achten.
Im Datenschutzrecht bleibt der Drittlandtransfer ein relevantes Thema, besonders da das Abkommen zwischen der EU und den USA schwankt. Zudem sind Beschwerden gegen chinesische Unternehmen anhängig, die angebliche Verstöße gegen Vorgaben zum Drittlandtransfer betreffen. Bis Ende des Jahres wird die EU-Kommission zudem ihre Digitalgesetze überprüfen, wobei auch Anpassungen an der DSGVO möglich sind. Aktiv dafür setzt sich unter anderem Max Schrems ein, der sich für strengere Vorgaben für große Plattformen und eine Entlastung kleinerer Unternehmen starkmacht.
DWN: Was kann Deutschland von datengetriebenen Unternehmen im Ausland lernen – und wo sind wir besser als unser Ruf?
Reuter: Deutschland und die EU zeichnen sich durch eine relativ starke Digitalregulierung aus, was zwar einen gewissen Schutz bietet, aber auch zu einem Innovationshemmnis führen kann – insbesondere im Vergleich zu Ländern, die entweder weniger rechtliche Vorgaben haben oder deren Regulierung weniger streng gehandhabt wird. Aber auch in den „regulierten“ Ländern gibt es zum Teil eine stärkere politische Förderung, und auch die kulturelle Akzeptanz von Innovationen, insbesondere im Bereich der digitalen Transformation, kann dort höher sein. Das betrifft insbesondere auch Bereiche wie digitale Infrastruktur. Dies kann dazu führen, dass Unternehmen in diesen Staaten schneller auf neue Technologien und Geschäftsmodelle reagieren können.
Die doch sehr starke Regulierung in Deutschland kann aber auch ein Qualitätsmerkmal darstellen. Während in anderen Ländern oft eine größere Risikobereitschaft in Bezug auf den Datenschutz herrscht, setzt Deutschland – zusammen mit der EU – auf einen starken Schutz der Bürgerrechte. Dies schafft Vertrauen bei den Nutzern und kann damit auch ein Wettbewerbsvorteil sein – gerade in Zeiten der Unsicherheit bezüglich Datensicherheit in Drittländern wie den USA oder China.
DWN: Frau Reuter, vielen Dank für das Gespräch.
Info zur Person: Wiebke Reuter ist Fachanwältin für Informations- und Technologierecht und Mitglied der Practice Area Technology, Media & Telekommunikation bei Taylor Wessing. Sie begleitet internationale Konzerne und Mittelständler bei der rechtskonformen Umsetzung komplexer Digitalisierungsprojekte, insbesondere mit Bezug zu Künstlicher Intelligenz (KI).