Politik

Migration nach Koalitionsvertrag: Kurswechsel von Union und SPD in der Migrationspolitik bleibt ungewiss

Merz hat spürbare Änderungen bei der Regelung von Einwanderung und Asyl angekündigt. Ob es dazu kommt, wird sich jedoch frühestens in einigen Monaten zeigen. CDU und CSU geben sich optimistisch.
11.04.2025 07:12
Aktualisiert: 11.04.2025 07:52
Lesezeit: 4 min
Migration nach Koalitionsvertrag: Kurswechsel von Union und SPD in der Migrationspolitik bleibt ungewiss
Migranten besteigen vor dem Strand von Gravelines in Nordfrankreich das Boot eines Schmugglers, der versucht, den Ärmelkanal zu überqueren. (Foto: dpa) Foto: Sameer Al-Doumy

Politiker von CDU und CSU sind trotz möglicher rechtlicher und praktischer Hürden zuversichtlich, dass der von ihnen angekündigte Kurswechsel in der Migrationspolitik gelingen wird. Der von Union und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag sei eine "verlässliche Grundlage", um die Zahl der Asylsuchenden kurzfristig weiter zu senken, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei versprach künftig regelmäßige Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien. "Darauf können sich die Deutschen verlassen", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung. Migrantenverbände zeigten sich indes erleichtert, dass einige von der Union geforderte Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht nun doch nicht kommen.

Geplante Neuregelungen im Überblick

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es: "Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen." Neue freiwillige Bundesaufnahmeprogramme wird es nicht geben. Mindestens zwei Jahre lang soll es keinen Familiennachzug zu Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus geben.

Um Herkunftsländer von Ausreisepflichtigen zu mehr Kooperation bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger zu bewegen, soll notfalls Druck ausgeübt werden – etwa über die Entwicklungszusammenarbeit, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sowie die Visa-Politik. Die von der Union als "Turbo-Einbürgerung" kritisierte Einbürgerung von besonders gut integrierten Ausländern bereits nach drei Jahren soll künftig entfallen.

Rückweisungen an der Grenze sorgen für Diskussion

Das Vorhaben, künftig auch Asylsuchende, gegen die keine Einreisesperre besteht, an deutschen Grenzen zurückzuweisen, stößt auch in Nachbarstaaten auf Skepsis. Dass der Vorbehalt, dies "in Abstimmung" mit den Nachbarn zu tun, den Plan verzögern könnte, weist Herrmann zurück. Zum einen dürfe jeder Staat an seinen Grenzen selbst bestimmen, wer einreisen dürfe und wer nicht. Vor allem aber wollten auch andere EU-Staaten eine Senkung der Flüchtlingszahlen. Er meint: "Da wird es überhaupt kein Problem geben."

Merz selbst hatte am Abend nach der Präsentation des Koalitionsvertrags bei "RTL Direkt" erklärt: "Wir werden das in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn machen. Und diese Abstimmung läuft." Ob das bedeute, dass künftig alle Asylsuchenden an den Grenzen abgewiesen werden, wollte er nicht sagen.

Im vergangenen Jahr hatten 229.751 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das waren rund 100.000 Asylerstanträge weniger als im Jahr zuvor.

EU-Streit um Drittstaatenregelung

Auf EU-Ebene wird derzeit über einen Punkt diskutiert, der womöglich in der bereits vereinbarten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) noch verschärft werden könnte. Konkret geht es darum, ob das sogenannte Verbindungselement aus dem Konzept des sicheren Drittstaats gestrichen wird. Vor allem die Grünen hatten das abgelehnt.

Bisher dürfen Asylsuchende laut GEAS-Reform nur in Drittstaaten überstellt werden, zu denen sie eine persönliche Verbindung haben – etwa weil sie früher einmal dort gelebt haben. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht nun, Deutschland werde auf europäischer Ebene eine Initiative zur Streichung des "Verbindungselements" starten. Allerdings hat sich bislang noch kein Staat gefunden, der bereit wäre, im großen Stil Asylbewerber aus Europa aufzunehmen.

Mehr Rückführungen durch Druck?

Dass Ausreisepflichtige Deutschland verlassen, war erklärtes Ziel auch der Ampel-Koalition. Tatsächlich stieg die Zahl der Abschiebungen in den vergangenen zwei Jahren. 2024 gab es laut Bundesinnenministerium 20.084 Rückführungen, nach 16.430 Abschiebungen im Jahr zuvor. Das Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie wurde jedoch auch 2024 nicht erreicht.

Das liegt unter anderem daran, dass es in den vergangenen Jahren nur eine Sammelabschiebung nach Afghanistan und keine nach Syrien gab. Beide Staaten zählen seit Langem zu den Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern in Deutschland. Vor allem daran, Straftäter und radikale Islamisten wieder dorthin bringen zu können, hat die Bundesregierung großes Interesse.

Bei einigen Herkunftsstaaten könnte die Aussicht auf strengere Visa-Regeln oder Handelshemmnisse, wie sie der Koalitionsvertrag für Länder vorsieht, die sich bei Rücknahmen verweigern, womöglich zu mehr Kooperationsbereitschaft führen. Doch ohne abgestimmtes europäisches Vorgehen dürfte die Wirkung solcher Drohungen begrenzt bleiben.

Abschiebungen in Krisenländer bleiben schwierig

Abschiebungen nach Afghanistan sind besonders kompliziert. Ende August 2024 wurden mit Hilfe von Katar 28 männliche Straftäter aus Deutschland nach Afghanistan gebracht. Seither gab es trotz Bemühungen der Ampel-Regierung keine weitere Abschiebung in das Land, das seit August 2021 wieder von den islamistischen Taliban kontrolliert wird.

Der CDU-Politiker Frei bleibt dennoch zuversichtlich. Der "Bild" sagte er, der Flug im Spätsommer 2024 habe schließlich bewiesen, dass es funktioniere. "Deswegen sind wir davon überzeugt, dass wir das auch zukünftig, dauerhaft und in wesentlich größeren Bereichen auch hinbekommen."

Mit Vertretern der Übergangsregierung, die sich in Syrien nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar al-Assad etabliert hat, gab es zwar erste Kontakte, die Abschiebungen in das arabische Land wieder denkbar erscheinen lassen. Doch noch ist die Lage dort so instabil, dass die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ende März einen geplanten Kurzbesuch in Damaskus absagen musste.

Kritik aus muslimischen Verbänden

Dass Deutschland im Koalitionsvertrag als "einwanderungsfreundliches Land" bezeichnet wird, sei ein Grund zur Erleichterung, sagt der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu. Gleichzeitig fordert er die Koalitionsparteien auf, bei der Vergabe der Kabinettsposten auch Menschen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen.

Die Co-Vorsitzende des Dachverbands, Aslihan Yesilkaya-Yurtbay, begrüßt zwar, dass ein klares Bekenntnis zum bedingungslosen Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Doch sie ergänzt: "Angesichts der explodierenden Zahlen im Bereich der rassistischen Übergriffe hätte ich mir gewünscht, dass auch Schwarze Menschen, Muslime und Sinti und Roma eine vergleichbare Berücksichtigung im Text erfahren."

Der Bundesvorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi, sagt: "Musliminnen und Muslime sind fester Teil dieses Landes. Ihre strukturelle Unsichtbarkeit im Koalitionsvertrag ist kein Zufall – sie ist ein politischer Mangel, der Konsequenzen haben wird."

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